Mit Holzgas Kohle scheffeln
In Ternitz steht die aktuell wohl modernste Kraft-Wärme-Kopplungsanlage Österreichs. Neben Strom und Wärme fällt in dem auf Holzgas basierenden Kraftwerk als Nebenprodukt auch hochwertige Holzkohle an. STEFAN NIMMERVOLL war zur Besichtigung eingeladen.
An sich ist die Holzvergasung ja eigentlich ein alter Hut. Bereits vor 200 Jahren hat man die Tatsache genutzt, dass im Rahmen der sogenannten Pyrolyse Gas austritt, wenn man Holz bei stark reduziertem Sauerstoffgehalt erhitzt. Dieses kann dann in unterschiedlichen Varianten zur Gewinnung erneuerbarer Energie verwendet werden. Weil fossile Rohstoffe aber leicht verfügbar und billig zu haben waren, setzte sich die Technologie damals nicht durch. Seit die Menschheit jedoch händeringend nach Möglichkeiten sucht, ihren Treibhausgasausstoß zu reduzieren, ist das fast vergessene System wieder hochaktuell geworden.
In Anlagen wie jener in Ternitz wird das Produktgas direkt verbrannt und in Strom und Wärme verwandelt. Möglich ist aber auch die Aufbereitung zu einem Rohstoff, der ins Erdgasnetz eingespeist wird. Über ein spezielles Verfahren kann das Gas zudem in Treibstoff verwandelt werden. Mit diesem Holzdiesel könnten zum Beispiel die 420.000 Traktoren Österreichs angetrieben werden. Im Versuchsmaßstab ist diese Umwandlung schon problemlos möglich. Derzeit ist das Landwirtschaftsministerium auf der Suche nach einem Standort für ein „5-Megawatt-Reallabor“, in dem das System auf seine Praxistauglichkeit getestet werden kann. Dieser soll noch im Jahr 2021 gefunden werden.
Das technologische Rückgrat für die Energieproduktion aus Holzgas stammt schon heute oft aus Österreich. So hat die Firma Syncraft aus Schwaz in Tirol in den letzten Jahren bundesweit fünf Kraftwerke errichtet und zeichnet auch für die Anlage in Niederösterreich verantwortlich. Die weltweite Nachfrage nach ihrem Konzept ist überwältigend. Zum dritten Mal in Folge konnte die 2009 als Spin-Off der Unternehmerische Hochschule in Innsbruck, dem MCI, gegründete Firma so ihren Umsatz verdoppeln. „Derzeit setzen wir 25 Kraftwerkseinheiten um; allerdings wegen der bisher überschaubaren Rahmenbedingungen nur wenige davon in Österreich, sondern anderswo, bis nach Japan“, erzählt Geschäftsführer Marcel Huber. Mit der Umsetzung des Erneuerbaren Ausbau Gesetzes könnte das innovative Unternehmen aber bald wieder vermehrt in seinem Heimatland aktiv sein. „Um die Ziele der Bundesregierung zu erreichen, wird es jedenfalls dringend notwendig sein, erneuerbare Energie bereitzustellen und gleichzeitig CO2 zu binden“, so Huber.
Der dafür erforderliche Rohstoff war zuletzt in Hülle und Fülle vorhanden: In manchen Regionen hat sich das Borkenkäferholz meterhoch aufgetürmt. Die minderwertige Ware konnte nur zu obszön niedrigen Preisen abgesetzt werden. Mit der vermehrten Nutzung als Biomasse wäre eine preisliche Talsohle für Schadholz eingezogen. Bäuerliche Betriebe könnten Teil regionaler Energiekreisläufe und die Basisabnahme von Waldhackgut gesichert werden. „Wir brauchen jeden Tag rund sechs Tonnen Hackschnitzeln. Neunkirchen ist mit 59 Prozent Waldfläche ein Forstbezirk. Deshalb beziehen wir das Holz von Waldwirtschaftsgemeinschaften und Forstwirten aus der Umgebung“, sagt Andreas Posch, einer der Betreiber der Anlage in Ternitz. Diese liefert 400 kW Strom und 600 kW Wärme, die in das Fernwärmenetz der EVN eingespeist wird. Zusätzlich entsteht hochqualitative Holzkohle, die Posch über die Syncraft an die Firma Alpenkohle in Landeck im Tiroler Oberland verkauft.
Dort ist man überzeugt, zukunftsträchtige Nischen für ein Präparat, dem bisher wenig Bedeutung zugemessen wurde, gefunden zu haben. „Die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig“, meint Geschäftsführer Benjamin Hupfauf. Er hat das Startup 2019 gemeinsam mit zwei Kollegen gegründete und bietet die Begleitung bei der Zertifizierung und beim Vertrieb von Holzkohle an. In der Landwirtschaft können seine Produkte als Bodenverbesserer, als Stabilisatoren für Biogas und Gülle oder als Zusatz in Futtermitteln eingesetzt werden. Das derzeit öffentlichkeitswirksamste Erzeugnis sind Grill-Holzkohle-Briketts mit garantierter Abstammung aus den Alpen. Damit lassen sich nachhaltigkeits-affine Kunden perfekt ansprechen. „Wir können so importierte Grillkohle mit zweifelhafter Herkunft ersetzen“, erläutert Hupfauf.
Bei der Verbrennung unter dem Rost wird das im Laufe des Wachstums der Bäume gebundene CO2 aber wieder frei. Der nächste logische Schritt ist es daher, die Inhaltsstoffe langfristig zu stabilisieren. So gibt es Versuche, den Kohlenstoff in Asphalt oder Beton unterzumengen. Auf Agrarflächen bindet das Material Wasser und Nährstoffe und verbessert den Humusgehalt. „Dieses Prinzip ist schon seit Ewigkeiten bekannt. Noch unsere Großeltern haben selbst geköhlert und ihre Böden damit aufgebessert“, so der Umwelttechnologe. Mit dem Mineraldünger geriet dieses Wissen aber in Vergessenheit. Besonders rasch wirksam ist die Vorgehensweise bei ausgelaugten Böden, wie es sie in Österreich glücklicherweise in dem Ausmaß eher selten gibt.
Ansonsten ist die Ausbringung von Kohle ein langfristiges Projekt, das erst über den Handel mit CO2-Zertifikaten richtig interessant wird. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist das ein Rechenbeispiel. Hupfauf: „Für Zertifikate werden tagesaktuell 25,15 Euro pro gebundener Tonne CO2 bezahlt. In einer Tonne Holzkohle sind zirka drei Tonnen davon enthalten. Momentan sind damit also 75 Euro zu erzielen.“ Die Kosten pro tausend Kilo Kohle belaufen sich, je nach Qualität, zwischen 200 und 600 Euro. Die Einbringung ist also für sich allein betrachtet kein Geschäft. Experten gehen aber davon aus, dass der Preis für die Tonne CO2 bis zum Jahresende auf 100 Euro klettern wird. Mittelfristig sei sogar eine weitere Kursexplosion erwartbar. Damit könnten Bauernhöfe zu lukrativen Kohlenstoffsenken und die Wälder zu den Rohstofflieferanten dafür werden.
Für energieintensive Industrien wird diese Entwicklung zu einem gewaltigen Kostenfaktor werden. Sie werden irgendwann richtig viel Geld für ihre Verschmutzungsrechte zahlen müssen. Syncraft-Geschäftsführer Marcel Huber: „In Österreich ist der Druck noch gering. In Deutschland macht man sich schon viel mehr Gedanken, wie man Stein- und Braunkohle ersetzen könnte.“ Hier eröffnet sich ein gewaltiger Markt für nachhaltige Alternativen. „Wir werden zwar den Bedarf der VOEST nicht abdecken können. Da fahren jeden Tag ganze Züge voller fossiler Kohle hinein. Dafür hätten wir gar nicht genug Wald.“ Zu Spezialanwendungen, etwa in der Metallurgie bei Legierungen, gibt es aber interessante Forschungsprojekte. Noch kann der Rohstoff mit einem Preis von 60 bis 100 Euro pro Tonne Steinkohle jedenfalls nicht mithalten. Schon das Ausgangsprodukt Holz kostet pro Tonne mehr. Noch, wie Marcel Huber unterstreicht: „Wenn fossile Energie endlich ordentlich besteuert wird, schaut es anders aus.“