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Zuckerrübe 2023: Versuch und Irrtum

Eigentlich müsste den Rübenbauern preisbedingt nach Feiern zumute sein. Das Neonics-Verbot stellt den gesamten Sektor aber in Frage. Wie geht es weiter? Ein Gespräch mit Rübenbauernpräsident ERNST KARPFINGER und dem für Rohstoff verantwortlichen Agrana-Vorstand NORBERT HARRINGER.

Wie sehr hat die die Entscheidung, die Notfallzulassung von Neonicotinoiden nicht mehr gestatten, überrascht?

Karpfinger: Wir waren wie vom Blitz getroffen. Ich habe von dem Verfahren in Belgien lange gar nichts gewusst, obwohl wir im europäischen Rübenbauernverband CIBE gut vernetzt sind. Das ist offensichtlich unterschätzt worden. Und die EFSA hat 2021/22 17 Notfallzulassungen in elf Ländern geprüft und alles für OK befunden. Damit war ich eigentlich beruhigt.

Harringer: Wir sind davon ausgegangen, dass die positive Stellungnahme seitens der Generalanwaltschaft vom Gericht entsprechend gewürdigt wird. Vor allem in Hinblick darauf, dass wir bei der Anwendung von Neonicotinoiden immer sehr behutsam vorgegangen sind.

Zunächst war es gar nicht sicher, ob das Urteil zu einem belgischen Anlassfall für Österreich überhaupt Relevanz hat.

Karpfinger: Die EU-Kommission hat mitgeteilt, dass kein Spielraum besteht. Auch ein renommierter EU-Rechtsexperte aus Österreich sieht keine Möglichkeiten.

War das Saatgut so kurz vor Saisonstart nicht längst gebeizt?

Harringer: Wir haben auch in den letzten Jahren immer bis zur Genehmigung der Notfallzulassung gewartet. Es war also noch nichts gebeizt.

In anderen Ländern aber schon. Was wird dort jetzt geschehen?

Karpfinger: Dort sind die nationalen Notfallzulassungen schon früher gekommen. Dann kam erst das EuGH-Urteil. Das Saatgut müsste jetzt eigentlich vernichtet werden. Wir hören aber, dass dieses wohl mit allen Konsequenzen angebaut wird, weil es schlicht kein anderes gibt. Welche Sanktionen es dafür geben wird, wissen wir nicht.

Könnte sich Österreich dann nicht auch einfach darüber hinwegsetzen?

Karpfinger: Wir hatten das Saatgut eben noch nicht gebeizt. Die Gretchenfrage wäre sowieso gewesen, ob Österreich dann den Mut gehabt hätten, sich über das Urteil hinwegzusetzen. Wir reden hier von 12 bis 13 Mio. Euro, die, wenn nicht, zu Sondermüll geworden wären. Dann wäre das Problem noch größer gewesen und wir würden jetzt ganz ohne Saatgut dasitzen.

37.000 Hektar waren für heuer schon kontrahiert. Können Bauern bei den geänderten Rahmenbedingungen noch aussteigen?

Harringer: Wenn jemand bei den drastisch verschlechterten Rahmenbedingungen nicht anbauen will, passiert ihm gar nichts. Wir bitten unsere Vertragslandwirte aber, es zumindest zu versuchen.

Karpfinger: Die Hagelversicherung bezahlt nicht nur bei Wiederanbau von Rüben, sondern auch bei Nachbau anderer Kulturen. Die Versicherungssummen sind sogar erhöht worden, weil das Saatgut teurer geworden ist. Damit sind im Wesentlichen die Kosten bezahlt und man kann es relativ risikolos versuchen. Einen zweiten Anbau von Zuckerrüben bei Rüsselkäferbefall wird es aber heuer wahrscheinlich nicht geben: Wenn der Käfer am Feld ist, wird er nicht verschwinden.

Sehen Sie die Bereitschaft der Rübenbauern, heuer trotzdem Rüben anzubauen?

Karpfinger: Was uns derzeit hilft, ist der hohe Rübenpreis. Das ist der Unterschied zu den Krisenjahren. Damals haben wir zwar die Neonics bekommen, aber der Preis war schlecht. Jetzt ist es genau umgekehrt.

Wie groß ist denn der Schädlingsdruck laut Larvenscreening?

Karpfinger: Die Anzahl ist zunächst immer geringer geworden und im letzten Jahr wieder etwas gestiegen. Das wäre aber noch nicht besorgniserregend, wenn wir die Neonics hätten. Auf 15.000 Hektar, also dem halben niederösterreichischen Anbaugebiet, sind die Insekten latent da. Da wird man begleitend mit Pheromonfallen und Kübeln arbeiten müssen. Wirklich helfen wird aber nur Glück mit dem Wetter.

Die Neonicotinoide sind grundsätzlich schon 2018 verboten worden. Hätte man nicht damals schon alles daran setzen müssen, so schnell wie möglich davon wegzukommen?

Harringer: Wir haben natürlich versucht, Alternativen zu finden. Mit m-RNA-Technologie kann man zum Beispiel etwas ausrichten; allerdings erst in einigen Jahren. Für die Zwischenzeit hat es eigentlich das probate Mittel einer Notfallzulassung gegeben.

Mit einer enormen Kraftanstrengung ist es für die vorige Saison gelungen, die geforderten 38.000 Hektar Anbaufläche zusammenzukratzen. War das aus heutiger Sicht vergebene Liebesmüh?

Harringer: Nein. Wir haben gesehen, dass wir bei entsprechenden Rahmenbedingungen in der Lage sind, die Rübenmenge für den Betrieb von zwei Zuckerfabriken aufzubringen. Damit konnten wir auch 300 Arbeitsplätze aufrechterhalten.

Kommt das Ende für die Zuckerfabrik Leopoldsdorf jetzt mit einem Jahr Verzögerung?

Harringer: Wir bleiben in Hinblick auf einen erfolgreichen Rübenanbau 2023 und eine Auslastung beider österreichischer Zuckerfabriken zuversichtlich, denn das hohe Rübenpreisniveau wird anhalten.

Die Rübenanbau ist schon in den letzten Jahren Richtung Feuchtgebiet gewandert. Hat man einst die falsche Fabrik zugesperrt?

Karpfinger: Enns war viel zu klein. Das wäre auch heute keine Alternative mehr gewesen.

Harringer: Wenn das Anbaugebiet immer mehr nach Westen wandert, sind wir von unseren österreichischen Fabriksstandorten her nicht optimal aufgestellt. Wir haben im laufenden Jahr in Oberösterreich knapp über 8.000 Hektar kontrahiert. Damit sind wir aber ziemlich an der Obergrenze für Rübenanbau angelangt. Wir dürfen nicht davon ausgehen, dass wir dort irgendwann einmal das Weinviertel oder das Marchfeld kompensieren werden.

Kann es die Marke „Wiener Zucker“ auch ohne österreichische Rüben geben?

Harringer: Nur österreichischer Zucker ist Wiener Zucker.

Aber den Einsatz von Rohrzucker könnte die Agrana schon forcieren.

Harringer: Wir haben in Europa mehrere Raffinieren, mit denen wir die Lücke auf rund eine Million Tonnen Zucker, die uns aus den Rüben fehlen, heute schon mit Rohrzucker auffüllen. Das auszuweiten ist möglich, wird aber immer eine wirtschaftliche Abwägung sein.

Die Agrana hat sich in den letzten Jahren stark diversifiziert. Inwieweit braucht der Konzern die Rübe überhaupt noch?

Harringer: Die Diversifizierung war der Garant dafür, dass wir trotz der Misere beim Zucker in den letzten Jahren positiv reüssieren konnten. Der Rübenzucker ist immanenter Bestandteil der Marke Agrana. Wir werden daran festhalten. Mit welcher Menge wir das können, werden die nächsten Monate zeigen.

Ersatz würde über das Handelsabkommen Mercosur ohnehin hereinkommen.

Karpfinger: Es wird nicht beim Zucker bleiben. Wenn wir uns so weiterbewegen und den Pflanzenschutz, wie neuerdings von NGOs gefordert, sogar um 80 Prozent reduzieren sollen, werden wir uns in Europa auch mit anderen Dingen nicht mehr selbst versorgen können. Es beginnt mit Spezialkulturen. Am Ende werden auch einfachere Kulturen wie der Weizen stehen. Da ist vielleicht gar kein Zufall, dass gleichzeitig Mercosur verhandelt wird, um 500 Mio. Europäer ernähren zu können.

Bei der Generalversammlung des Rübenbauernbundes hat es von den Bauern heftige Schelte für Landwirtschaftsminister Totschnig gegeben. Was hat er falsch gemacht?

Karpfinger: Nichts. Er ist aber der erste Ansprechpartner für die Bauern, der den Unmut mitbekommen hat. Die Adressaten sollten jene sein, die das Neonicverbot betrieben haben und das sind eindeutig die Umwelt-NGOs.

Was muss die Politik jetzt tun?

Harringer: Wir begrüßen jede Unterstützung für die Landwirte, damit die Zuckerrübe angebaut wird. Der Herr Bundesminister hat dazu zwei Millionen Euro zugesagt. Wir müssen jetzt gemeinsam überlegen, wie diese Gelder am sinnvollsten eingesetzt werden. Dann brauchen wir einen Forschungsboost, um die Zeitspanne zur Erarbeitung von Alternativen beim Pflanzenschutz auf ein Minimum zu reduzieren.

Karpfinger: Wir brauchen von der Politik Rechtssicherheit, wenn Landwirte die Rüben nicht durchbringen und eine andere Kultur nachbauen müssen. Zwar haben wir nicht mehr das Problem, dass keine blühenden Kulturen mehr nachgebaut werden dürfen, weil ja keine Neonics verwendet werden. Wenn Mais nachgebaut wird, gibt es das Problem der Getreide-Mais-Fruchtfolgeobergrenze. Wenn ich Sojabohnen anbaue, dürfte ich noch nicht gedüngt haben. Da werden wir Ausnahmen brauchen.

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rueben.at

Interview: STEFAN NIMMERVOLL