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Wolfszonen-Kritik: Mattle muss sich beweisen

Nach zahlreichen Rissen kochen in Tirol die Emotionen beim Thema Wolf hoch. Der Verein „Weidezone Tirol“ ließ mit harscher Kritik an der ÖVP aufhorchen. STEFAN NIMMERVOLL hat mit dessen Obmann STEFAN BRUGGER über Versäumnisse, Lösungsvorschläge und die Erwartungen an den neuen Landesparteiobmann Anton Mattle gesprochen.

Wo befinden sich ihre Schafe gerade und wie sind sie vor Angriffen von Wölfen geschützt?

Meine Schafe sind auf der Hochweide im Königstal bei Hochgurgl. Sie gehen frei, wie sie immer schon frei gegangen sind. Wir haben einen Hirten, der alle paar Tage hinaufschaut. Wir haben aber weder einen Herdenschutzhund noch einen Zaun.

Welche Rückmeldungen bekommen Sie im aktuellen Almsommer von ihren Mitgliedern?

Der Verlauf ist katastrophal, die Stimmung ist am Boden. Wir haben in Nord- und Osttirol fast täglich Risse. Fast täglich rufen uns auch Bauern an, dass sie von der Alm wieder abfahren.

Sie treten dafür ein, Weidezonen zu etablieren, in denen Wölfe einfacher entnommen werden können. Wie könnte das konkret ausschauen?

Wir fordern eine Zonierung mit geografisch abgesteckten Gebieten, wo die Nutztiere Recht auf Leben haben. Dabei sehen wir drei Zonen: Zone 1, wo Wolf und Bär ganzjährig geschützt sind. Zone 2, wo sie nach einem Managementplan entnommen werden dürfen und Zone 3, wo sie ganz klar geschossen werden dürfen.

Wie könnte man das abgrenzen?

Da hat die Landwirtschaftskammer gute Vorarbeit geleistet und erarbeitet, wo ein Schutz möglich ist. Auf 99 Prozent der Almen ist dies unmöglich; auf Heimweiden aber sehr wohl. Die Hochalmen wären also zum Beispiel Zone 3.

Und wo könnte man Beutegreifer akzeptieren?

Es gibt sehr viel Karstland und Wald, wo wir keine Nutztiere haben. Dort sind Bereiche, die man als Zone 1 definieren kann.

Sie berufen sich auf internationale Vorbilder wie die Rentierzucht der Samen. Sie ist immaterielles UNESCO-Weltkulturerbe. Ist es möglich, da Parallelen zur traditionellen Almwirtschaft zu ziehen?

In Schweden hat man entschieden, dass man im Süden des Landes Wölfe zulässt. In der Mitte und im Norden gibt es Rentiere, von denen die indigene Bevölkerung der Samen seit Jahrtausenden lebt. Dort will man keine Wölfe. Das akzeptiert die EU. In der Union gilt aber der Gleichbehandlungsgrundsatz. Die Transhumanz, also der Übergang der Schafe von Süd- nach Nordtirol, ist genauso Weltkulturerbe. Ein anderes Beispiel aus Frankreich: Dort werden im Departement Avignon Lacon-Weideschafe gehalten, aus deren Milch der Roquefort hergestellt wird. Im letzten Jahr wurden dort knapp 50 Wölfe abgeschossen, ohne groß jemanden zu fragen oder um eine Ausnahmegenehmigung anzusuchen.

„Problemwölfe“ werden auch heute schon zum Abschuss freigegeben. Der Weg bis zum Bescheid ist aber weit.

Wir brauchen ab Rissgeschehen binnen 24 Stunden eine Abschussgenehmigung.Die Abläufe in Tirol dauern viel zu lang. Vom Riss, bis etwas passiert, vergehen 30 Tage. Die Landesregierung gibt dann Bescheide heraus, die beeinsprucht werden können.  Bis ein solcher in Rechtskraft tritt, ist der Wolf schon an Altersschwäche gestorben. Daher muss man stattdessen zu Verordnungen übergehen. Sie treten in Rechtskraft, sobald sie erlassen werden.

Vielen Bauern wäre es wohl am liebsten, den Wolf in Mitteleuropa wieder komplett auszurotten. Braucht es da nicht mehr Realismus im Bauernstand?

Komplett ausrotten wird man die großen Raubtiere – dazu zähle ich auch Bär, Luchs und Goldschakal – nicht mehr können. Das muss auch nicht sein. Aber wir müssen ihnen ganz klar Grenzen aufzeigen. Der Wolf ist ein hochintelligentes Tier. Er lässt sich erziehen. Wo er geschossen wird, meidet er auch Siedlungen. In der Schweiz hat das Berner Rudel die Scheu vorm Menschen völlig verloren und reißt am helllichten Tag Hunde im Dorf. Selbst der WWF sagt dort, dass das Leittier und zwei Jungwölfe geschossen werden müssen.

Wolfsbefürworter meinen, dass es viel mehr Hirten geben müsste und das die Auszahlung der AMA-Prämie zur Behirtung nicht konsequent genug ist.

Den Hirten aus den Heidi-Büchern, der Tag und Nacht bei der Herde ist, gibt es nicht mehr. Das Hirtenwesen war nicht so romantisch, wie sich das manche vorstellen. Früher sind die Buben armer Bauernfamilien auch zum Hirten geschickt worden, damit sie weg sind vom Futtertrog, weil es daheim zu wenig zum Essen gegeben hat. Die haben unter härtesten Bedingungen arbeiten müssen. Der Hirte heute ist ein Beobachter der Herde, der für kurze Zeit nachschaut, ob die Tiere gesund sind.

Könnte man das nicht wieder ändern, wenn die öffentliche Hand dafür bezahlt?

Wir finden im Tourismus keine Köche, Kellner und Zimmermädchen. In öffentlichen Bädern muss der Chef selber den Bademeister machen, weil das sonst keiner mehr will. Wo sollen wir dann Hirten hernehmen?

Wie würden Sie denn die Stimmungslage zum Thema Beutegreifer innerhalb der Tiroler Bevölkerung einschätzen?

Sie kippt immer mehr. Seit die Raubtiere in die Dörfer kommen, ändert sich der Zugang, Auch die Leute aus der Stadt bekommen langsam mit, dass es gar nicht so lustig ist, wenn sie am Wochenende mit dem Mountainbike durch den Wald fahren oder auf der Alm ein Picknick machen und auf einmal der Wolf oder der Bär daherkommt.  Auch die Bilder, die hergezeigt werden, haben sich verändert: Am Anfang hat man den Wolf eher wie einen freilaufenden Schäferhund dargestellt. Jetzt werden auch gemetzelte Schafskadaver gezeigt.

Momentan beschränken sich die Auswirkungen dennoch meist auf die Almbauern. Glauben Sie, dass tatsächlich Menschen angegriffen werden?

Die Wissenschaft sagt, dass ein gesunder Wolf nichts angreift, was größer ist als er. Bei Kindern ist das schon fraglich. Und wenn man das Pech hat, einem Rudel zu begegnen, das Welpen bei sich hat, wird er, wie jedes andere Tier auch, seinen Nachwuchs verteidigen. Wir dürfen aber nicht nur in Schwarz oder Weiß denken und vom Schlimmsten ausgehen. Es reicht schon, wenn Wanderer einen Kadaver finden und die Fotos in die sozialen Medien stellen. Am nächsten Tag ist das dann in Deutschland in der Zeitung. Da müssen wir uns fragen, ob das die Botschaft des Tourismus sein will.

Der Anlass für die Gründung des Vereines war ja, dass sie mit den offiziellen Institutionen wie der Landwirtschaftskammer und dem Land Tirol nicht zufrieden waren. Was sind ihre Kritikpunkte?

Kurz zusammengefasst: Im Land Tirol reden wir seit acht Jahren über den Wolf. Wir sind heute noch gleich weit wie damals. Es werden nur Alibihandlungen gesetzt.

Sie haben über die Oppositionsparteien SPÖ, FPÖ, Liste Fritz und Neos einen Dringlichkeitsantrag zu dem 3-Weidezonen-Plan im Landtag eingebracht. Nehmen sich diese mehr um die Sorgen der Landwirtschaft an als die eigentliche Bauernpartei ÖVP?

Die usrprünglichste Heimat der Weidezone Tirol ist die ÖVP. Tirol ist im Herzen schwarz und wir als Bauern gehören dazu. Deshalb sind wir zu Beginn zum Bauernbund gegangen und haben unsere Wege erklärt. Die Antwort war in der Quintessenz: „Damit gewinnt man keine Wahlen. Wenn wir darauf eingehen, platzt die Koalition und die Grünen schauen besser aus als wir.“ Landeshauptmann Platter hat mir gesagt, dass es dafür keine Mehrheit um Landtag gibt. Ich habe geantwortet, dass ich ihm die Mehrheit besorge. Bei meinen Vorschlägen sind alle Oppositionsparteien mitgezogen. Von der schwarz-grünen Landesregierung wurde unser Antrag aber über einen Abänderungsantrag weggelegt. Dadurch haben wir den Almsommer 2023 aufgrund des Fristenlaufes eigentlich schon verloren. Deshalb werfen wir der ÖVP eine Hinhaltetaktik zu Gunsten des Koalitionspartners vor. Da wedelt der grüne Schwanz mit dem schwarzen Hund.

Aus Initiativen wie der ihren sind auch schon politische Gruppierungen entstanden. Wird es die Weidezone Tirol irgendwann als Fraktion geben?

Wir haben binnen eines Jahres knapp 17.000 Unterstützer gesammelt. Deshalb wurden wir einerseits mehrfach aufgefordert, eine Partei zu gründen und bei der Landtagswahl zu kandidieren. Mit nur einem Thema in eine Wahl zu gehen, ist mir aber zu schade. Da habe ich zu viel Hochachtung vor dem hohen Tiroler Landtag. Andererseits hat es Angebote von Oppositionsparteien gegeben, an wählbarer Stelle auf deren Liste zu gehen. Bis jetzt habe ich das immer abgelehnt.

Der mutmaßlich neue Landeshauptmann Anton Mattle ist selbst Bauer aus einem hochalpinen Tal. Haben Sie mit ihm schon über das Thema sprechen können?

Er hat mir per Handschlag versprochen, dass er sich einsetzen wird. Er hat intensiv zugehört, viele Fragen gestellt und ich habe durchaus den Eindruck, dass er es ernst meint.

Wie kann es weitergehen?

Die einzige Chance ist, dass wir jetzt schon Texte vorarbeiten, damit der neue Landtag gleich im Februar Beschlüsse fassen kann. Sonst haben wir vor August nichts in Rechtskraft. Diesem Vorgehen hat die Landwirtschaftskammer grundsätzlich zugestimmt. Wir haben also ein Manifest vorbereitet und den maßgeblichen Persönlichkeiten vorgelegt. Toni Mattle hat dieses unterschrieben. Wir werden ihm nun etwas Raum geben, damit er sich beweisen kann.

www.weidezone.tirol

Stefan Brugger ist Schafbauer und Hotelier in Sölden im Ötztal. Er war Gebietsobmann im Schafzuchtverband und Obmannstellvertreter bei der Tiroler Lamm- und Wollverwertungsgenossenschaft. Seit dessen Gründung im Vorjahr ist er Obmann des Vereines „Weidezone Tirol“.