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Ressource mit Aha-Effekt

Mutter Natur gibt vor, dass aus jedem zweiten Ei ein Hahn schlüpft, der für die Landwirtschaft von eher geringem Wert ist. Über die Verwendung als Futter für Zoos und Falknereien werden die Küken sinnvoll verwertet. Der Bedarf dabei ist viel größer als erwartet.

Die Horrorvorstellung hat sich in den Köpfen vieler Mitmenschen tief verankert. Süße kleine Wollknäuel werden an einem Fließband aussortiert und lebendigen Leibes dem Schredder zugeführt. Zwar ist diese Art der Vernichtung von männlichen Küken von Legehennenrassen in Österreich längst Vergangenheit. Lange wurden die ausselektionierten und mit CO2 eingeschläferten Nestlinge aber auch bei uns teilweise der Tierkörperverwertung zugeführt. Das hatte mit einer Branchenvereinbarung im Jahr 2021 ein Ende. 2022 wurde der Einsatz als Futterküken auch im Tierschutzgesetz anerkannt. Seither baut der Sektor auf ein 3-Säule-Modell von Verwendung als Nahrung für Fleischfresser, der Aufzucht und der Früherkennung im Ei.

„Als wir bei den Verhandlungen zu der Vereinbarung erhoben haben, wie groß der Bedarf in Falknereien und Zoos ist, war das für uns ein richtiges Aha-Erlebnis“, sagt der Geschäftsführer der Österreichischen Frischeier Erzeuger Gemeinschaft, Benjamin Guggenberger. Rund 16 Mio. Küken werden an alle möglichen Arten von Tieren, vom Greifvogel über den Storch bis hin zum Erdmännchen, verfüttert. Im Vergleich dazu werden, je nach Jahr neun bis 10 Mio. männliche Hühner ausgebrütet. Zieht man die 1,3 Mio. Bio-Küken, die per Definition aufgezogen werden müssen, ab, ergibt das einen Eigenversorgungsgrad von rund 50 Prozent. Österreich muss also Eintagesküken einführen, um seine Zootiere ernähren zu können. Die Lücke kann mit dem Überschuss aus den Brütereien aber verkleinert werden. Aus einem Abfallprodukt ist laut Guggenberger also eine wertvolle Ressource geworden.

Die größte heimische Brüterei ist die Firma Schropper. Drei Viertel aller Küken entstammen den Hallen des Produzenten aus Gloggnitz im südlichen Niederösterreich. Sie werden nach der händischen Selektion und Tötung mittels Gas zunächst auf ein Grad gekühlt und dann entweder frisch abgegeben oder tiefgefroren. Monatlich wird die Ware von einem Tierparkversorgungsunternehmen am deutschen Bodenseeufer abgeholt und von diesem dann europaweit vertrieben. „Unsere Küken haben eine so hohe Qualität, dass sie sogar zum englischen Königshaus gehen“, erzählt der Leiter der Abteilung Geflügel bei Schropper, Christian Eichtinger. Bis zu zehn Cent erhält er pro Küken. Die Hahnenküken sind damit von einer finanziellen Belastung zumindest zu einem Nullsummenspiel geworden.

Erfasst wird jedes einzelne erbrütete Jungtier in einer Datenbank des Qualitätsgeflügeldienstes, QGV. Ebenso mussten sich 140 Falknereien, 37 Zoos und Tierparks, fünf Storchenaufzuchtstationen, fünf Tierschutzhäuser und drei Zoofachhändler registrieren, um die Mengenströme abbilden zu können. Der QGV gibt auch einen jährlichen Futterkükenreport heraus. „Die Bereitstellung von Eintagesküken unter bestmöglicher Vermeidung internationaler Transporte ist ökologisch sinnvoller Tierschutz“, heißt es darin. Der Bericht blickt auch über die Grenzen nach Deutschland, wo das Töten männlicher Legeküken gänzlich verboten wurde. „Jene Futterküken, die von deutschen Verwendern gebraucht werden, müssen aus anderen Ländern importiert werden“, mahnt der QGV vor ähnlichen Ideen in Österreich. Ein gewisser Anteil der Hähne wird in der Bundesrepublik aufgezogen. Für die Masse an Bruteiern hat sich aber die Früherkennung durchgesetzt. „Kleinere und mittelständische Brütereien mussten wegen der enormen Kosten dafür zwangsläufig zusperren.“

Beim Marktführer Schropper könnte man mit rund einem halben Jahr Vorlaufzeit auf die Selektion schon im Ei umstellen. Verbunden wäre das aber ebenso mit zusätzlichen Kosten, so Christian Eichtinger. „Das Ei würde beim Endkunden um maximal zwei Cent teuer werden. In der Vorproduktion würden sich die Kosten aber verdrei- bis vervierfachen. „In Österreich verlangt dies derzeit aber weder der Handel noch der Konsument.“ Auf absehbare Zeit will man also ohne Detektion im Ei auskommen. Mit fortschreitender Weiterentwicklung der eingesetzten Technologien werden die Kosten aber sinken. Irgendwann werden also auch hierzulande wahrscheinlich nur mehr Hennen schlüpfen. Ein Wegfall der Männchen würde aber auch die soeben erst neu erschlossene Nische der Futterküken betreffen. „Dann müsste noch mehr aus dem Ausland importiert werden. Oder es müsste mit großem Ressourceneinsatz extra Mäusebabys gezüchtet und dann getötet werden.“

Die Effizienz stellt die Branche auch bei der Aufzucht der Hähne, wie sie in der biologischen Landwirtschaft und bei einigen Programmen des Lebensmitteleinzelhandels betrieben wird, in Frage. Sie setzen aufgrund ihrer Genetik kaum Fleisch an und brauchen viel Energie für recht wenig Output. „Aus Gründen der Nachhaltigkeit ist die Aufzucht mit einem großen Fragezeichen zu versehen“, sagt Benjamin Guggenberger. Wolle man alle erbrüteten Brüder mästen, müsste man dafür die Fläche von 506 Tennisplätzen mit Ställen verbauen. „Wir sehen derzeit keine Notwendigkeit vom eingeschlagenen Weg der Futterküken wegzugehen. Alles andere wäre eine Verschwendung von Ressourcen.“

STEFAN NIMMERVOLL