„Bei Energielenkung an erster Stelle“
Nach dem Aufstieg von Norbert Totschnig zum Landwirtschaftsminister ist der junge Waldviertler DAVID SÜSS als neuer Bauernbunddirektor bestellt worden. STEFAN NIMMERVOLL hat mit ihm über politisch brennende Themen gesprochen.
Jahrelang hat der Bauernbund beklagt, dass Lebensmittel zu billig sind. Muss man mit dieser Aussage angesichts der aktuellen Inflation jetzt vorsichtiger sein?
Lebensmittel dürfen etwas kosten. Wir reden von zehn Prozent der Haushaltsausgaben. Das ist ein sehr niedriger Wert. Die Konsumenten waren verwöhnt, dass sie bislang wenig ausgeben mussten. Das wird sich zum Teil ändern. Trotzdem sind Lebensmittel leistbar.
Für Geringverdiener anscheinend nicht immer.
Die Regierung hat unzählige Maßnahmen geschaffen, um schnell Geld über Einmalzahlungen und über den Steuer- und Sozialversicherungsbereich in die Haushalte zu bringen. Und wir müssen sorgsamer mit den Lebensmitteln umgehen. Mehrere hundert Euro pro Haushalt und Jahr landen in der Tonne. Man kann Geld sparen, indem man sinnvoll und überlegt einkauft.
Soll die Umsatzsteuer auf Lebensmittel reduziert oder nachgelassen werden, wie es die SPÖ vorschlägt?
Ein Aussetzen lehnen wir klar ab. Wir wollen treffsichere Maßnahmen, anstatt nach dem Gießkannenprinzip zu handeln. Zudem zeigt ein Blick nach Deutschland, dass ein Aussetzen der Steuer beim Konsumenten nicht ankommt, sondern die dadurch höheren Margen von den Konzernen eingestreift werden.
Was kann man sonst gegen die Inflation tun?
Wir müssen sie an der Wurzel packen, dort wo sie entsteht. Das Landwirtschaftsministerium hat daher ein 110 Mio. Euro schweres Versorgungssicherungspaket für die Bauern geschnürt. Dieses Geld wird im Dezember ausbezahlt.
Höherpreisiges werden jedenfalls nicht mehr so verkauft wie vor der Krise. Ist das eine Gefahr für den Feinkostladen Österreich?
Aufgrund der Teuerung werden Premiumprodukte wie Bio oder Tierwohl weniger nachgefragt. Deshalb schauen wir, dass in allen Segmenten der Wertschöpfungskette, von preiswert bis Premium, österreichische Ware drinnen ist.
In der Energiewirtschaft redet man von Krisengewinnern, die dank der erhöhten Preise große Gewinne einfahren. Gibt es so etwas auch in der Lebensmittelwirtschaft?
In der Landwirtschaft haben wir immer das Ziel verfolgt, von unseren Produktpreisen leben zu können. Es tut gut, wenn zum Beispiel die Getreidepreise eine entsprechende Höhe erreichen. Zugleich muss man aber auch schauen, wie sich die Kosten für Betriebsmittel entwickelt haben. Im Endeffekt bleibt vom höheren Umsatz nicht viel übrig. Das ist der große Unterschied zu den Übergewinnen in der Energiewirtschaft.
Ist die aktuelle Situation ein Anreiz dafür, auf eine weniger Input-getriebene Produktionsform umzustellen und den Einsatz von Import- und Kraftfutter und mineralischen Dünger zu überdenken?
Es ist das Gebot der Stunde, uns unabhängiger von allen importierten Betriebsmitteln zu machen. Unsere heimische Landwirtschaft zeichnet ein Wirtschaften in Kreisläufen und eine flächengebundene Tierproduktion aus.
Der Bauernbund argumentiert gegen einen Verkauf der Düngerproduktion in Linz an ausländische Investoren. Sie sind Jurist. Lassen sich so einfach wieder nationale Bevorzugungen hochziehen?
Wettbewerb ist wichtig und hat uns immer vorangebracht. Der geplante Borealis-Verkauf ist aber ein Musterbeispiel dafür, wie wir uns in Abhängigkeiten begeben. Der Düngemittelmarkt ist jetzt schon stark monopolisiert. Mit der Standortgarantie hat es aber zumindest einen ersten Etappensieg gegeben. Zusätzlich gibt es eine kartellrechtliche Prüfung.
Zur Produktion von Dünger braucht es Gas. Wird es dieses dafür im Winter überhaupt geben?
Von der Bundesregierung gibt es die klare Vorgabe, dass die Gasspeicher bis zum Herbst zu 80 Prozent gefüllt werden müssen. Da sind wir auf einem guten Weg. Daneben müssen wir unsere Hausaufgaben machen. Biogas wäre eine Möglichkeit, um einen Teil unserer Abhängigkeit zu verringern. Die grüne Energieministerin hat in dieser Sache aber den ganzen Sommer verschlafen.
Ist der Umstieg in einer solchen Zeit möglich, dass er noch zur Bewältigung der aktuellen Krise beitragen kann?
Es wäre in den letzten Jahren schon sehr viel mehr möglich gewesen. Bis 2030 könnten wir zehn Prozent unseres Gasverbrauchs durch grünes Gas ersetzen, bis 2040 rund ein Drittel. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Frau Ministerin Gewessler ist aufgerufen, rasch nachzulegen und die entsprechenden Rahmenbedingungen zu fixieren.
Welchen Platz nimmt die Landwirtschaft ein, wenn es zu einer Energielenkung kommt?
Sie ist systemrelevant, deshalb muss sie an erster Stelle stehen. Die Menschen müssen ernährt werden. In der Lebensmittelproduktion ist das Thema aber sehr vielschichtig. Neben der Primärproduktion wird auch die Molkerei Gas brauchen. Auch der Joghurtbecher muss hergestellt und die Supermärkte müssen beliefert werden.
Darf man die großzügigen Fristen bei der Abschaffung der Vollspaltenböden als Verhandlungserfolg des Bauernbundes verbuchen?
Als massiven Verhandlungserfolg. Wir haben es erstmals geschafft, den Schweinebauern eine langfristige Perspektive zu bieten und Rechtssicherheit zu schaffen. Jeder, der investiert, weiß, dass er seinen Stall in den kommenden 23 Jahren so betreiben kann.
Was genau nun als Standard kommen wird, ist aber erst Gegenstand von Verhandlungen. Kann es da noch zu unangenehmen Überraschungen kommen?
In den nächsten Jahren wird es eine wissenschaftliche Aufbereitung unter Einbeziehung der Praktiker und Verbände geben. Wir werden mit Argusaugen darauf schauen, dass das mit Hausverstand, Praxisnähe und unter Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeit erfolgen wird.
Die Grünen sind für den Kompromiss von ihrer Basis stark kritisiert worden. Wie ist es gelungen, den Koalitionspartner zu überzeugen?
Wir arbeiten mit den Grünen gut zusammen und versuchen immer, sie über die bäuerlichen Anliegen aufzuklären und ihnen den bäuerlichen Alltag zu zeigen. Gemeinsam ist es uns beim Tierwohlpaket gelungen, die Balance zwischen dem Wunsch nach mehr Tierwohl und den Anforderungen der Betriebe zu halten.
Die ÖVP malt ja immer wieder das Schreckgespenst einer Austro-Ampel wie in Deutschland an die Wand. Wie würde eine Landwirtschaftspolitik ohne den Bauernbund in Regierungsverantwortung ausschauen?
Ich war fünf Jahre im Parlament beschäftigt und habe die anderen Parteien genau beobachtet. Die SPÖ betreibt Neiddebatten über angebliche Privilegien der Landwirtschaft. Die Freiheitlichen haben jegliche Glaubwürdigkeit verloren, als sie 2019 gegen eine Strafbarkeit der Stalleinbrüche gestimmt haben. Und die NEOS verstehen von der Landwirtschaft ohnehin nur Bahnhof. Die Aussichten wären also düster. Wenn die Maßnahmen der Bundesregierung greifen, wird sich aber auch die Stimmungslage wieder zu Gunsten der ÖVP drehen.
Warum ist die so, wie sie ist?
Wir leben in bewegten Zeiten. Corona und die Teuerung bringen europaweit alle Regierenden unter Druck. Wichtig ist, dass wir rasch gegensteuern und dass die Maßnahmen bald greifen. Dann wird sich die allgemeine Situation wieder verbessern. Das wird auch auf die Meinungsumfragen zu Gunsten der ÖVP einzahlen.
Wird die aktuelle Regierung bis zum Ende der Gesetzgebungsperiode halten?
Davon gehe ich aus.
Welche Schulnote geben Sie der Regierung für ihre Performance?
Ich würde sagen ein Gut.
Ihr Vorgänger als Bauernbunddirektor, Norbert Totschnig, ist seit wenigen Monaten Landwirtschaftsminister. Wie oft müssen sie ihn an seine Forderungen, die er im Bauernbund gestellt hat, erinnern?
Er kennt die Anliegen der Bäuerinnen und Bauern und weiß auch, was in den Wahlprogrammen des Bauernbundes drinnen steht. Er hat ja maßgeblich daran mitgearbeitet. Davon wird nicht alles gelingen, aber vieles.
Es heißt, dass in der Post-Kurz-Ära die Bünde und die Länder wieder an Gewicht gewonnen haben. Hat der Bauernbunddirektor Süß mehr Einfluss als es seine Vorgänger hatten?
Wir haben schon unter Sebastian Kurz auf Augenhöhe mit dem Parteiobmann gearbeitet. Da hat sich unter Karl Nehammer nichts geändert.
Ein wichtiges bäuerliches Sprachrohr ist die Landwirtschaftskammer. Ist die Sozialpartnerschaft unter Nehammer wieder gestärkt?
Sie wird sicherlich weiterhin an Bedeutung gewinnen. Das ist in turbulenten Zeiten auch notwendig. Der gesellschaftliche Konsens wird wichtiger werden.
Unlängst hat es in einem ORF-Beitrag geheißen, dass ein Liter Milch so klimaschädlich ist wie ein Liter Benzin. Muss sich die Landwirtschaft in den Medien mehr Gehör verschaffen, damit so etwas nicht zur besten Sendezeit verzapft wird?
Wir haben sofort einen Brief an die zuständige Redakteurin verfasst und konnten einen Termin für eine Aussprache vereinbaren. Für die Zukunft ist wichtig zu hinterfragen, wer zu Wort kommt. Wir haben viele agrarische Experten, die sich äußern könnten. Wir werden es nicht mehr akzeptieren, dass solche Beiträge als Werbesendungen für NGOs gemacht werden.
Das Landwirtschaftsministerium sucht bei heiklen Themen augenscheinlich den direkten Kontakt zur Kronen Zeitung. Ist das auch eine Strategie des Bauernbundes, um mit Themen wie dem Tierschutz oder dem Wolf in die breite Öffentlichkeit zu kommen?
Exklusivgeschichten gehören zum journalistischen Alltag. Natürlich ist es unser Anspruch, unsere landwirtschaftlichen Themen möglichst breit auch in den Tageszeitungen abzudecken. Die Kronen Zeitung ist da ein wichtiger Bestandteil.
Land schafft Leben und Hannes Royer wurden finanziell großzügig aus den Budgets der Bauernbündlerin Elisabeth Köstinger und der Bauernbund-Agrarlandesräte unterstützt und haben dann mit der Bauernbund-kritischen AGÖ zusammengearbeitet. Hat man sich da einen Kuckuck ins Nest gesetzt?
Land schafft Leben hat eine wichtige Aufgabe in der Konsumenteninformation und seit kurzem auch in der Frage der Aus- und Weiterbildung der Lehrer in den Schulen. Die AGÖ ist eine Einkaufsgemeinschaft, die Probleme diskutiert. Land schafft Leben hat mit der AGÖ wahrscheinlich zu wenig Gemeinsamkeiten gehabt. Deshalb ist diese Zusammenarbeit gescheitert. Ich rufe alle Beteiligten auf, künftig noch mehr zu versuchen, konsensual im Sinne der Bäuerinnen und Bauern zu arbeiten.
Immerhin wurde bei der Auftaktveranstaltung der AGÖ vor 1.800 euphorisierten Bauern laut gefordert, die Zukunft selbst zu gestalten. Vertrauensbeweis für den Bauernbund ist der überwältigende Besuch keiner.
Im Bauernbund verfolgen wir einen anderen Ansatz: Wir wollen zu den Problemen auch Lösungen finden. Unser Vorteil ist, dass wir vom Gemeinderat bis zur Bundesregierung überall vertreten sind und auch Maßnahmen umsetzen können. Der Bauernbund hat übrigens bundesweit 236.000 Mitglieder.
David Süß (33) stammt aus Schrems, wo er gemeinsam mit seiner Familie einen Betrieb mit Fokus auf Stärkekartoffeln und Kompostierung betreibt. Er ist Absolvent des Francisco Josephinums in Wieselburg und hat Rechtswissenschaften studiert. Süß war Generalsekretär der Österreichischen Jungbauernschaft und Referent für Land- und Forstwirtschaft im ÖVP-Parlamentsklub. Er ist auch Mitglied des Stadtrates von Schrems.