Verstoß ist kein Kavaliersdelikt
Die Coronakrise hat die Abhängigkeit mancher Landwirtschaftssektoren von Saisonarbeitern aus dem Ausland gezeigt. Der Vorsitzende des Landarbeiterkammertags, ANDREAS FREISTETTER, kämpft für deren faire Behandlung. Ein Gespräch mit STEFAN NIMMERVOLL
Bald beginnt die neue Saison auf den Gemüsefeldern. Werden wir diesmal genug Arbeitskräfte haben?
Andreas Freistetter: Wir laufen Gefahr, dass es wieder problematisch wird. Es wurden zwar österreichweit zirka 3.000 Saisonarbeiter aus Drittstaaten genehmigt. Aufgrund der Coronasituation wird deren Anreise aber nicht einfach sein. Es wird auch mit negativen Testergebnissen Quarantänesituationen geben. Bei manchen Herkunftsländern wird sich sogar die Fragen stellen, ob eine Einreise überhaupt möglich ist.
Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?
Wir weisen seit Jahren darauf hin, dass wir den Arbeitskräftebedarf mehr aus Österreich selbst abdecken müssen. Ein Hinderungsgrund dafür ist, neben dem niedrigen Verdienst, die zeitlich beschränkte Beschäftigung. Ein Spargelbauer braucht die Leute nur für ein paar Wochen, genauso der Gemüse- und der Weinbauer. Unser Ansatz ist daher, Leute so auszubilden, dass sie in mehreren Sparten der Land- und Forstwirtschaft arbeiten können. Damit würden wir ganzjährige Arbeitsplätze schaffen und die Attraktivität der Jobs steigern. Eine landwirtschaftliche Organisation könnte die Leute dann je nach Bedarf unterschiedlichen Sektoren zur Verfügung stellen.
Muss nicht mehr bezahlt werden, damit Inländer solche Aufgaben wieder übernehmen würden?
Es ist ein Faktum, dass sich viele Österreicher um 1.500 Euro brutto 40 Stunden pro Woche schwere Arbeit nicht antun wollen. Wir haben in Niederösterreich zumindest eine Anhebung des Kollektivvertragslohns um mehr als zehn Prozent erreicht. Mittelfristig müssten wir auf 1.700 Euro kommen. Das geben die Preise für die Produkte aber glaubhaft nicht her. Es braucht also eine gerechtere Aufteilung zwischen dem Verkaufspreis der Lebensmittel, den Erzeugern und den unselbstständigen Arbeitnehmern.
Im Vorjahr hat das Landwirtschaftsministerium Freiwillige für die Arbeit auf den Höfen gesucht. Kann man denn auf die Schnelle Leute für die Landarbeit einschulen?
Das war sicher eine gut gemeinte Aktion, hat in der Praxis aber nur leider sehr eingeschränkt funktioniert. Die fachlichen Anforderungen wurden unterschätzt. Spargel schneiden kann ich nicht in einer Woche lernen. Zudem waren viele dabei, die gemeint haben, dass sie sich ein paar Stunden auf ein Feld stellen und dann wieder heimgehen. Mit Zehnstundentagen ab 6 Uhr in der Früh haben die Leute nicht gerechnet. Dementsprechend bescheiden war der Erfolg.
Immer wieder werden Arbeitsbedingungen und Bezahlungsmodelle angeprangert, die nicht dem entsprechen, was man sich in Österreich erwarten würde und erlaubt ist. Sind das schwarze Schafe oder hat Ausbeutung in gewissen Sektoren System?
So wie in jeder Branche gibt es schwarze Schafe, doch sie werden weniger. Manche meinen aber immer noch, dass es nicht so schlimm ist, wenn sie einen Teil der Löhne netto auszahlen oder die Unterkunft nicht entsprechend ist. Um dagegen konzentrierter vorgehen zu können, machen wir seit zehn Jahren Vernetzungstreffen zwischen der Finanzpolizei, dem AMS und der Gesundheitskasse. Wir legen Informationsblätter in 12 Sprachen auf und fahren mit Dolmetschern auf die Betriebe hinaus, um die Betroffenen über ihre Rechte aufzuklären. Es muss allen klar sein, dass es hohe Strafen gibt und das Risiko groß ist, erwischt zu werden, wenn man sich nicht an die Vorgaben hält.
Trotzdem hört man hinter vorgehaltener Hand oft die Aussage: „Die wollen ja so viel arbeiten, damit sie ordentlich verdienen.“
Natürlich kommen die Leute, um möglichst gut zu verdienen. Viele wissen, welche Bedingungen sie erwarten. Wir verstehen auch, dass die Ernte harte Arbeit ist und Saisonarbeiter Leistung erbringen müssen, damit sie dem Betrieb etwas bringen. Dennoch gibt es Spielregeln. Sich nicht an Gesetze und Normen zu halten, ist kein Kavaliersdelikt.
Haben Saisonarbeiter überhaupt Interesse, sich von der LAK vertreten zu lassen?
Das haben sie. Die Herausforderung ist nur, zu ihnen vorzudringen und ihnen ihre Rechte in ihrer Sprache zu erklären. Wir merken auch, dass eine neue Generation an jungen Leuten kommt, die sehr daran interessiert ist, dass sie so behandelt wird, wie es der Hausverstand verlangt und in Mitteleuropa üblich sein sollte.
Das Wachstum der Höfe sorgt dafür, dass viele landwirtschaftliche Betriebe erstmals in die Situation kommen, Leute anzustellen.
Wir sehen an unseren Mitgliedszahlen, dass die Zahl der unselbstständig Beschäftigten in der Landwirtschaft kontinuierlich wächst – wenn man die letzten Jahre betrachtet mitunter sogar im zweistelligen Prozentbereich. Österreichweit sind das mittlerweile mehr als 100.000 Personen. Deshalb ist es wichtig, dass den jungen Hofübernehmern in der Ausbildung schon mitgegeben wird, dass sie auch einmal Arbeitgeber sein werden. Auch von der Landwirtschaftskammer wünschen wir uns, dass sie sich in der Beratung dieses Themas annehmen.
Das Bild des klassischen Landarbeiters hat früher noch ganz anders ausgesehen. Ist das Image der Branche gut genug, um die richtigen Leute zu gewinnen?
Wir müssen die Berufsbilder neu denken. In der Forstbranche hat es zum Beispiel ewig „Holzknecht“ geheißen. Jetzt ist es der Forstfacharbeiter oder Forstwirtschaftsmeister. Das Niveau der Ausbildung eines Facharbeiters ist oft bereits mit dem eines Maturanten oder eines „kleinen Akademikers“ vergleichbar. Das müssen wir auch in Kampagnen darstellen.