Nur zu reden, ist zu wenig!
30 Jahre lang ist trotz durchgängiger ÖVP-Regierungsbeteiligung bei der Umsetzung einer ökosozialen Politik wenig weitergegangen. Jetzt bewegt sich etwas, meint der Präsident des Ökosozialen Forums, STEPHAN PERNKOPF. Die Grünen würden aber zu wenig dafür tun – und mit Teilen der ÖVP gibt es „Missverständnisse“.
Anfang des Jahres hat die Wintertagung des Ökosozialen Forums stattgefunden. Welche Erkenntnisse ziehen Sie aus dem Online-Format?
Stephan Pernkopf: Wir haben aus der Not eine Tugend gemacht und die Veranstaltung sehr professionell online übertragen. In Summe haben wir mehr als doppelt so viele Zuseher gehabt als bisher bei den normalen Präsenzveranstaltungen. Wir freuen uns, wenn wir uns nächstes Jahr wieder real treffen können. In Zukunft wird es aber weiterhin zusätzlich ein Digitalformat geben.
Wie stark war der Schub für die Digitalisierung durch Corona generell in der Landwirtschaft?
Die Landwirtschaft ist bei der Digitalisierung sehr weit vorne dabei. Wir brauchen dafür aber schnell funktionierendes Internet für jeden Betrieb. Auch der Handyempfang muss überall stabil sein. Hier gibt es Gespräche mit den Telekomunternehmen, deren Unterstützung die Landwirtschaft braucht.
Alle reden momentan von der neuen Bedeutung der Herkunft als Folge der Krise. Gleichzeitig erleben wir eine große Corona-Müdigkeit. Flacht die Nachfrage nach Regionalem schon wieder ab?
Es besteht die Gefahr, dass manche bald wieder vergessen, wie es ist, wenn die Grenzen zu sind. Wir arbeiten deshalb an einem Konzept, wie wir sie daran erinnern können. Zentral ist dabei die Herkunftskennzeichnung. Da werden wir nicht lockerlassen.
Mit dem Vorschlag von Gesundheitsminister Anschober ist die Landwirtschaft nicht zufrieden.
Das, was der Kollege Anschober vorgelegt hat, ist unzureichend. Ich sehe nicht ein, warum ich als Konsument nicht wissen darf, was wo drinnen ist. Das ist nur fair. Ich habe kein Problem damit, wenn jemand auf ein anderes Produkt hingreift. Auf einem französischen Rotwein steht auch drauf, dass er aus Frankreich ist. Das muss überall so sein.
An sich spiegelt eine schwarz-grüne Koalition aber das Optimalbild einer ökosozialen Allianz wider, oder?
Das Bild ist in letzter Zeit etwas ramponiert worden. Die Grünen sprechen dauernd von Klimaschutz, tun aber nichts. Beim Erneuerbaren Ausbau Gesetz geht nichts weiter. Allein die baureifen Projekte, in die hier sofort investiert werden könnte, machen 1,5 Mrd. Euro aus. Beim grünen Gas sind es 1,8 Mrd. bis 2030. Das ist gelebte Bekämpfung der Wirtschaftskrise. Und jeder Kubikmeter grünes Gas aus der Landwirtschaft ersetzt einen Kubikmeter fossiles Gas und ist somit gut. Es schlägt dem Fass den Boden aus, dass in Pischelsdorf Biosprit erzeugt wird, die Beimischung von E10 zwar zugesagt, aber immer noch nicht umgesetzt ist. Das würde von heute auf morgen minus 200.000 Tonnen CO2 und minus 20 Prozent Feinstaub bedeuten. Stattdessen wird der Biosprit in andere Länder geführt und dort beigemischt. Das hat mit Hausverstand nichts zu tun. Nur zu reden, ist zu wenig.
Auch die Umsetzung einer ökosozialen Steuerreform ergeht sich momentan vor allem in Überschriften. Müssen Sie da nicht auch die eigene Partei in die Pflicht nehmen?
Die Investitionsprämie von sieben und 14 Prozent ist gelebte ökosoziale Steuerungspolitik. Die Investitionsanträge in der Landwirtschaft haben sich in den letzten Monaten verdoppelt. Das ist ein gutes Zeichen. Darüber hinaus erwarte ich mir aber weitere massive Fortschritte. Covid-bedingt war das nicht oberste Priorität. Wir werden Gespräche mit dem Finanzminister und dem Vizekanzler führen.
Hinter Ihnen hängt ein Bild von Leopold Figl. Die Idee der ökosozialen Marktwirtschaft stammt von Josef Riegler; beide eingesessene Bauernbündler. Innerhalb der ÖVP gibt es ja durchaus Schattierungen zwischen Türkis und Schwarz. Wo verorten Sie sich?
Die Volkspartei Österreich ist türkis – und es gibt die blau-gelbe Volkspartei Niederösterreich, bei der ich in meinem Hauptberuf LH-Stellvertreter bin. Wir dürfen das Erbe von Figl und Riegler fortsetzen und ausbauen. Bei der Umsetzung einer ökosozialen Politik sind wir 30 Jahre lang gegen die Wand gelaufen. Jetzt bewegt sich etwas. Wenn wir uns in drei Jahren wieder treffen, werden wir eine lange Liste an Dingen haben, die dann schon umgesetzt sind.
Der Präsident der Industriellenvereinigung, Georg Knill, auch eher dem ÖVP-Lager zuzurechnen, hat zum Freihandelsabkommens Mercosur gemeint: „Wir lassen uns bewusst von einer kleinen Klientel die Zukunft verbauen.“ Sind die Bauern in der Partei Bremser?
Das Nein zum Mercosur ist ja nicht nur die Position der Landwirtschaft, sondern auch jene des Bundeskanzlers. Die Industrie ist sehr wichtig. Es kann aber nicht alles auf dem Altar der Liberalisierung geopfert werden. Es sei allen ins Stammbuch geschrieben: Ohne Landwirtschaft wären wir arm beieinander. Das hat die Krise gezeigt. Das sollten auch die obersten Vertreter der Industrie so sehen.
Fürchten sich die Bauern, wie Knill meint, vor dem Markt?
Vielleicht sollten wir wieder einmal das persönliche Gespräch suchen. Da gibt es, glaube ich, einige Missverständnisse.
Mercosur wird also so nicht kommen?
Da sehe ich momentan keine Möglichkeit. Die Produktion von Lebensmitteln muss generell regional passieren. In Südamerika für die Südamerikaner und bei uns für die Europäer. Eine Bäuerin hat das einmal sehr einfach auf den Punkt gebracht: Rindfleisch und Erdbeeren müssen nicht fliegen.
Müsste es dann folgerichtig nicht auch gleichzeitig ein Ende haben, dass europäisches Schweinefleisch nach China fliegt?
Das könnte man verkürzt so sehen. Da geht es aber hauptsächlich um Nebenprodukte, die bei uns nicht nachgefragt werden und dort einen Markt haben. Bei Mercosur sollen aber Produkte hereinkommen, die wir bei uns zur Genüge haben.
Ist es nicht ein bisschen schizophren, einerseits so wenig Agrarimporte wie möglich haben zu wollen, andererseits aber auf Gedeih und Verderb von Sojaimporten aus Südamerika abhängig zu sein?
Da gibt es mit Donau Soja eine gute Entwicklung. Ich bin sehr optimistisch, dass sich der Sojaanbau in den nächsten Jahren massiv steigern lässt. Unser Ziel muss es sein, alles, was geht, in Europa zu produzieren.
Als Antwort auf den steigenden Bedarf schlagen Sie eine „nachhaltige Intensivierung“ in Europa vor.
Dafür bin ich vor allem von den Grünen massiv kritisiert worden. Die haben anscheinend immer noch nicht verstanden, dass wir schauen müssen, dass uns die europäischen und österreichischen Bauern ernähren. Wir wollen unsere eigene Landwirtschaft nicht über den Welthandel aushöhlen. Sonst wird die Erzeugung in emissionsintensivere Gebiete ausgelagert.
Nachhaltigkeit wird in Europa meist aus dem Blickwinkel des Umweltschutzes gesehen.
Wenn die ökonomische Grundlage fehlt, wird auch der Umweltschutz nicht funktionieren. Das vergessen die meisten. Das ist vielleicht keine sexy Botschaft, aber die Realität.
Wenn Sie eine Schulnote für den Green Deal von Ursula von der Leyen vergeben müssten, was bekommt die Kommission für den Entwurf von Ihnen?
Vom Konzept her befriedigend. Wenn die Umsetzung gut gemacht wird, kann sich das auf ein Gut oder Sehr gut verbessern. Wenn sie schlecht gemacht wird, kann die Note auch zurückfallen. Daher werden wir den handelnden Personen in Brüssel sehr genau auf die Finger schauen.
Ist der Entwurf nicht eigentlich ein Schritt in Richtung einer ökosozialen Position?
Ja. Der Green Deal darf aber nicht dazu führen, dass sich die Blühstreifen ins Endlose ausweiten und die Kondensstreifen dafür mehr werden, weil die Produkte eingeflogen werden.