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Die Kehrseite der Förder-Medaille

Der steirische Apfel hat seinen Glanz verloren. Jahrelang nicht kostendeckende Preise und wiederkehrender Frost machen den Bauern schwer zu schaffen. Eine Stimmung zwischen Ratlosigkeit und Resignation macht sich breit, ortet STEFAN NIMMERVOLL

Es ist schon wieder passiert. Die kalten Nächte in der zweiten Hälfte des April haben das eintreten lassen, was den steirischen Apfelbauern schon zuvor schlaflose Nächte bereitet hat: Nachdem es nach Ostern bereits 30 Grad gehabt hatte und die Bäume um gute zwei Wochen früher als normal geblüht hatten, haben erneut Spätfröste massive Schäden angerichtet. Die Österreichische Hagelversicherung spricht in einer ersten Schätzung von insgesamt 56 Mio. Euro, das meiste davon im Obstbau und in der Steiermark. „Seit 2016 haben wir permanent mit Frost zu kämpfen. Davor hatten wir meistens nur einzelne, kleinräumige Frostereignisse “, seufzt der Präsident des Bundesobstbauverbandes, Manfred Kohlfürst, beim Lokalaugenschein. Doch der immer frühere Vegetationsbeginn steigert das Risiko von Frostschäden immens. „Das war heuer kein Austrieb, sondern eine Explosion“, beschreibt der Steirer.

Der erneute Totalverlust in vielen Anlagen trifft die Apfelbauern in der grünen Mark in einer Phase, in der der Sektor ohnehin in einer tiefen Krise steckt. „Ich bin seit 35 Jahren Obstproduzent und habe den Betrieb von eineinhalb auf 15 Hektar erweitert“, sagt Manfred Reisenhofer aus dem „Apfeldorf“ Puch bei Weiz, „das in den ersten 25 Jahren aufzubauen war nicht so anstrengend, wie es in den letzten zehn Jahren zusammenzuhalten.“ Dabei hat es nach dem EU-Beitritt einen richtiggehenden Boom gegeben. Neue Plantagen wurden angelegt (nicht immer nur in optimalen Lagen, wie sich jetzt zeigt). Viele Bauern haben massiv investiert. Gefördert wurde vieles aus Mitteln der Europäischen Union. „Das EU-Geld war schön, eine Überförderung der Branche in Europa belastet allerdings den Markt“, so Reisenhofer, der auch Obmann der Erzeugergemeinschaft Obst Steiermark ist.

„Die Frost-Ausfälle hauen uns noch einmal eine auf den Deckel. Manche sind am Verzweifeln“, konstatiert der Obsthändler Ferdinand Leopold aus Studenzen. Auch er kann von besseren Zeiten berichten, in denen Äpfel aus Österreich zu guten Preisen ins Ausland verkauft wurden. Das war, bevor Polen als großer Produzent seine Flächen immens ausgeweitet hat. Und bevor 2014 das Russland-Embargo in Kraft getreten ist, das die für dort gedachten Äpfel auf den europäischen Markt gespült hat. „Die Polen fahren uns in vielen Märkten um die Ohren. Auch die Südtiroler machen vor allem bei der Sorte Golden Delicious großen Preisdruck.“ Durch die Kriegswirren im Nahen Osten seien zudem wichtige Handelswege teilweise blockiert, analysiert Leopold. Dass in dieser Situation beim Beitrittskandidaten Serbien mit EU-Mitteln massiv in die Ausweitung der Apfelproduktion investiert wird, sorgt hierzulande für Kopfschütteln. Denn in guten Erntejahren muss auch von der steirischen Menge ein gewisser Teil exportiert werden.

Die Handelsketten würden zwar zu hauptsächlich heimische Äpfel ins Regal legen, sich bei den Preisen aber am europäischen Niveau orientieren. „Wir versuchen unseren Kunden den Ernst der Lage zu vermitteln. Die Bauern geben WO, wenn sich nichts ändert“, sagt Leopold. Manfred Kohlfürst kann die Dramatik der Krise in Zahlen festmachen: „Früher hat es in der Fachschule immer eine Klasse mit rund 30 Kindern von Obstbauern gegeben. Jetzt sind es zwei oder drei – und die kommen oft von Direktvermarktungsbetrieben, die aufgrund der höheren Wertschöpfung wirtschaftlich meistens besser dastehen.“ Die Höfe werden derzeit schlichtweg so gut wie gar nicht an die nächste Generation übergeben – auch in der Apfelmetropole Puch nicht.

„Aus der ganzen Gemeinde ist derzeit ein einziger Nachfolger in der Schule. Namhafte Betriebe mit 20 Hektar hören auf“, erzählt Manfred Reisenhofer. Er rechnet, dass in zehn Jahren maximal 60 Prozent der Bauern noch aktiv sein werden. Auch am eigenen Betrieb ist die Nachfolge noch unklar. „Wir haben unseren Töchtern nichts vorgejammert und schaffen es trotzdem nicht, sie zu motivieren“, so der 54-jährige. „Wenn dem Erntehelfer in der Stunde mehr bleibt als dem Chef, muss man akzeptieren, dass sie lieber arbeiten gehen.“

Reisenhofer möchte seine Anlagen trotzdem so pflegen, dass er sie im Falle des Falles in gutem Zustand an einen Pächter übergeben kann. Einen solchen zu finden wäre aktuell aber schwierig. Eher werden die Obstgärten gerodet. Von 2014 bis 2023 ist die Apfelfläche in der Steiermark deshalb bereits von 5.789 auf 4.784 Hektar zurückgegangen. Vor allem schlechte Lagen werden aufgegeben. Dazu kommen permanente Ernteverluste durch den Frost. Dieser Rückgang zieht auch strukturelle Überkapazitäten im nachgelagerten Bereich nach sich, was den Sektor weiter belastet. „Wir vermieten unsere Läger anderweitig und sind ins Logistikgeschäft eingestiegen“, erzählt Ferdinand Leopold. Er hofft auf eine Trendwende, die sich zumindest bei den roten Sorten im Vorjahr schon abgezeichnet hat. „Wir brauchen Produzentenpreise von 60 Cent pro Kilo, dann können unsere Obstbauern leben.“

Die Branche möchte den Inlandskonsum ankurbeln und hat dazu die Kampagne „Apfel essen nicht vergessen“ gestartet. Denn der Pro-Kopf-Verbrauch lag einmal um fünf Kilo höher. „Wenn jeder Österreicher einen Apfel pro Monat mehr isst, würde uns das entlasten. Wenn jeder einen Apfel pro Woche mehr isst, können wir nicht mehr liefern“, rechnet Manfred Kohlfürst vor. Auch an die Politik hat man Wünsche. Vor allem die Lohnkosten müssten geringer werden. „Wir fordern ein System wie in Deutschland, Frankreich oder Südtirol, wo für Erntehelfer für einige Wochen nur die Unfallprämie bezahlt werden muss, und werden mit unserem Modell an die nächste Bundesregierung herantreten.“ Zudem müsste klar gekennzeichnet werden, wenn Apfelsäfte mit Konzentrat aus China hergestellt werden. „Wenn diese aus Österreich kommen, haben wir einen zusätzlichen Absatzkanal für mindere Qualitäten.“ Auch hohe Investitionen in die Frostbekämpfung werden nötig sein, auch wenn das wegen des enormen Wasserbedarfes nicht überall möglich sein wird. Manfred Reisenhofer macht sich selber Mut: „Es gibt Betriebe, die mit dem Rücken zur Wand stehen, und nicht mehr gerettet werden können. Mit Unterstützung der öffentlichen Hand und der Konsumenten wird es aber eine Zukunft für den steirischen Apfel geben.“