Borkenkäfer: Seitentäler nicht zu retten
Die Wälder in Osttirol und Teilen Oberkärntens sind stehend KO. Drei aufeinander folgende Schadensereignisse haben das Feld für den Borkenkäfer aufbereitet. Die Stimmung schwankt zwischen Resignation und Hoffnung.
Oktober 2018, November 2019, Dezember 2020. Bezirksforstinspektor Erich Gollmitzer kann die Schicksalstage für Osttirols Forstwirtschaft genau aufzählen. 710.000 Festmeter Holz hat der Sturm Vaja geworfen und gebrochen. Im Jahr darauf folgten mehrere Italientiefs mit Rekordniederschlagsmengen und einer Kombination aus viel Schnee und Regen, die abermals unzählige Bäumen brechen ließ. Erneut fielen 800.000 Festmeter an Schadholz an. Zu allem Überdruss sorgte das Tief Virpy im darauffolgenden Jahr nochmals für 700.000 Festmeter an Verlusten. „Die nachhaltige Nutzung für den Bezirk liegt bei ungefähr 230.000 Festmetern pro Jahr“, erläutert Gollmitzer beim Besuch von BLICK INS LAND. Die Wahrscheinlichkeit, dass drei derartige Ereignisse direkt aufeinander folgen, gehe statistisch betrachtet eigentlich gegen Null, meint er.
Für die Förster und Waldbauern im Süden der Republik war es mit Wind- und Schneebruch aber beileibe nicht getan. „Den ersten Schaden konnten wir noch aus eigener Kraft zur Gänze aufarbeiten. Auch beim zweiten Ereignis hatten wir, zu Beginn der Coronapandemie, ausreichend Arbeitskräfte zur Verfügung, weil wir die einzigen in ganz Tirol waren, die unter dem Stichwort ,kritische Infrastruktur´ im Wald arbeiten durften“, sagt der Forstinspektor. 760.000 Festmeter wurden aufgearbeitet, aber Millionen Baumwipfeln nicht mehr herausgebracht. „Außerdem war klar, dass ein weiteres derartiges Ereignis nicht mehr zu bewältigen sein wird.“ Nach dem dritten Tiefschlag binnen drei Jahren war die Entfernung des Schadholzes nicht mehr schaffbar; auch weil man aufgrund später Schneefälle nicht ins Gelände konnte. Gollmitzer kann sich gut an den „Horrortag“ im Juli 2021 erinnern, als auf einen Schlag der Borkenkäferbefall in den Wäldern sichtbar wurde. 2021 wurden 1.700 Nester, im Jahr darauf nochmal 1.800 gefunden.
Das Ergebnis sind ganze Talschaften, in denen weite Teile der Fichten braun und dürr sind. Der Gemeindewaldaufseher von Dölsach, Franz Mietschnig, organisiert in Normalzeiten die Ernte von 4.000 bis 5.000 Festmetern pro Jahr. Der Sturm hat ihm 2018 binnen zwei Stunden 40.000 Festmeter an Kalamitätsholz beschert, der Borkenkäfer binnen zwei Jahren 20.000 weitere. „Wir rechnen damit, dass nochmals 40.000 Festmeter dazukommen. Dann sind alle Fichten weg“, zuckt er mit den Schultern. Nester zu suchen, bringe gar nichts mehr. Jetzt geht es für die 120 Waldbesitzer in seinem Einzugsgebiet nur noch darum, die Bäume irgendwie wegzubringen. Dafür wird fast rund um die Uhr gearbeitet. Im extrem steilen und unwegsamen Gelände sind oft Sonderlösungen nötig. Die Waldbauern selber wären nicht in der Lage, diese Arbeiten zu erledigen und die Infrastruktur aufzustellen.
Die extremen Bedingungen verursachen aber auch hohe Kosten. „90 Prozent sind Seilbringungen“, berichtet Hans Gumpitsch. Er ist Obmann des Maschinenringes Osttirol und fährt mit seinen Gespannen Holz in die Sägewerke ab. Bei Bringungskosten jenseits der 50 Euro waren die Holzpreise in den vergangenen Jahren oft nicht einmal kostendeckend. „Ich kenne Bauern, die ihren gesamten Wald verloren haben und nach der Lieferung einen Zahlschein vom Sägewerk bekommen haben.“ Jetzt ist der Preis besser, was beim Ausfall des Erlöses aus dem Forst für eine ganze Generation aber bestenfalls ein schwacher Trost sein kann. Auch Waldaufseher Mietschnig erzählt von Bäumen, die nur mehr ein Fünftel ihres ursprünglichen Wertes erbracht haben. Zumindest werde dank der starken Verarbeitungsindustrie in der Region derzeit alles, was geschlägert werden muss, aufgenommen. Auch der zwangsläufig hohe Anteil an Energieholz kann in den Biomasseanlagen genutzt werden. Aufgrund des großen Befallsgebietes drängt aber Ware aus den gesamten Südalpen bis weit in den italienischen Teil der Dolomiten hinein auf den Markt.
Im Vorjahr ist Erich Gollmitzer das Wagnis eingegangen, ein für die Region völlig unübliches Nasslager zu errichten und damit Platz für 60.000 Festmeter zu schaffen. Damit konnte Qualitätsware gepuffert werden. Beim Brennholz, dessen Wert zwischenzeitlich ins Bodenlose abgestützt war, hat man von der Preisrallye des vergangenen Winters profitieren können. Förster aus allen Regionen Tirols haben im Frühjahr 2022 „Zeit gespendet“, um Befallsgebiete aufzuspüren. Alle Nester wurden digital kartiert und Satellitenbilder ausgewertet. Letztlich waren die gigantischen Ausmaße der Schädlingsverbreitung aber zu gewaltig. „Wir können nur mehr die Wucht des Borkenkäfers abfedern, ihn aber nicht mehr aufhalten“, so der Bezirksforstinspektor. Für heuer wird es daher eine noch klarere Priorisierung der Aufarbeitung geben. Objektschutzwälder bei Straßen und Siedlungen sollen mit aller Macht erhalten werden, frisch betroffene Schutzwälder durchforstet werden. „In Seitentälern und am Talschluss können wir keine Maßnahmen mehr setzen. Von der einen Million Festmeter, die heuer dazu kommen wird, werden wir das meiste stehen lassen müssen.“ Dort sollen die dürren Bäume im nächsten Vierteljahrhundert ohne menschlichen Eingriff die Schutzfunktion erfüllen. Im bewohnten Gebiet wird es Wildbachverbauungen und Steinschlagnetze – und wohl auch die ein oder andere Sperre von Wanderwegen – brauchen.
An sich bleibt Osttirol aber, anders als das in den letzten Jahren stark betroffene Mühl- und Waldviertel, ein bevorzugter Standort für die Fichte. „Wir haben ein Schluchtenklima, in dem sie im Optimum wächst“, ist der Dölsacher Förster Franz Mietschnig überzeugt. Dennoch haben sich auch hier die Bedingungen verändert. 2022 hat ein Drittel des Niederschlages gefehlt und es war im Durchschnitt um drei Grad zu warm. Bis vor fünf Jahren war es auch für Experten nicht vorstellbar, dass der Borkenkäfer bis auf die Waldgrenze hinaufgeht. Gesunde Bäume hätten das aber verkraftet, ist Mietschnig überzeugt: „Bei einem derartig gehäuften Auftreten von Kalamitäten wäre aber jedes Gebiet in Österreich intensiv vom Borkenkäfer betroffen.“ Eine gewisse Mitverantwortung kann man den Forstwirten dennoch bei der Struktur der Wälder nicht absprechen, räumt Forstinspektor Gollmitzer ein: „Wir haben jahrelang gepredigt, dass die Bauern Bäume entnehmen sollen. Der Wald wurde aber als Sparkasse betrachtet und ist überaltert.“ Im Defreggental gebe es dementsprechend Bestände mit 250 Jahre alten Fichten, die nun flächig ausgefallen sind, weil sie nicht mehr genug Widerstandskraft hatten.
Insgesamt hofft man auf die wissenschaftliche Erkenntnis, dass sich eine Borkenkäferepidemie nach spätestens sechs Jahren von selbst totläuft und sich die Zeit mit intensiver Bekämpfung auf drei Jahre verkürzen lässt. Folglich könnte es ab 2024 zu einer Verbesserung der Situation kommen. Der Dölsacher Gemeindewaldaufseher hofft, dass zumindest die jetzt noch gut aussehenden Jungbestände überleben. Parallel zu seinen forstlichen Tätigkeiten gilt es aber auch die Landwirte bei der Stange zu halten und zur Waldpflege und Wiederaufforstung anzuhalten. „Als Förster ist man mittlerweile auch so etwas wie ein Psychologe“, so Mietschnig. Auch Erich Gollmitzer sieht die Motivation am Tiefpunkt. Bei vielen sei Ratlosigkeit eingekehrt. Parallel zum großen Aufräumen setzt man aber schon junge Pflanzen; je eine Million in den Jahren 2022 und 2023. Damit wird ein Zehntel aller Setzlinge Österreichs im kleinen Bezirk Lienz in die Erde gesteckt. Gollmitzer: „Wir gestalten heute die Wälder der Zukunft. In einigen Jahren werden wir internationalen Delegationen zeigen, wie man einen klimafitten Forst aufbaut.“