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Alte Bohnensorten suchen Platz bei dir

Wissenschaftler wollen vergessene Bohnen aus aller Welt retten. Dazu brauchen sie deine Beteiligung. Es gibt Buschbohnen, Stangenbohnen, Feuerbohnen, Kidneybohnen und dicke weiße Bohnen – das war’s, oder? Bei Weitem nicht. Denn von den Hülsenfrüchten, die ursprünglich aus Mittel- und Südamerika stammen, sind weltweit mehrere Zehntausend Sorten bekannt. „Doch viele alte davon sind aus dem Blick geraten. Das Wissen über sie geht leider immer mehr verloren“, sagt Kerstin Neumann. Die Biologin arbeitet am Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung im sachsen-anhaltinischen Gatersleben. Allein in der dortigen Genbank lagern in Einweckgläsern in Kältekammern bei –18°Celsius etwa 8.300 Bohnenmuster – die drittgrößte Bohnensammlung der Welt.

Die Samen sind auf Sammelreisen zusammengetragen worden, stammen von Forschungsinstituten, Züchtern oder Privatleuten. „Darin steckt ein riesiges, bislang ungenutztes Potenzial. Das wollen wir ändern“, sagt Neumann. Dafür koordiniert sie das europaweite „Increase“-Experiment, das nicht von Wissenschaftlern in Laboren, sondern von Privatleuten in ihren Gärten, auf Balkonen oder in Hinterhöfen durchgeführt wird. Bis Anfang Februar kann man sich dazu mit der App „INCREASE CSA“ anmelden.

Teilnehmer erhalten sechs Saatgutsäckchen: Fünf davon enthalten alte, unerforschte Bohnensorten, von denen mitunter noch nicht einmal ein Name bekannt ist. Im sechsten Sackerl befinden sich Bohnensamen der Kontrollgruppe. Sie blüht verlässlich am zeitigsten und hilft den Forschern bei der Auswertung der Daten, um Wachsen und Gedeihen der unbekannten Sorten einschätzen zu können. Erhoben werden diese mithilfe der kostenlosen App „Increase CSA“, die sich die Teilnehmer aufs Handy laden. Mit ihr dokumentieren sie, wann sie die Bohnen aussäen, wann die Pflänzchen aufgehen, blühen, reifen und wie viel sie ernten. Wer möchte, kann zudem auch Merkmale wie Blattform und Wuchstyp oder die Farbe und Größe der Blüten, Hülsen und Samen erfassen.

Die Wissenschaftler sind nur an den Fotos und Merkmalen interessiert. Die Ernte darf und soll gegessen werden. „Wir hoffen, dass selber Samen gewonnen und untereinander getauscht werden“, sagt Kerstin Neumann. 1.075 alte Sorten sollen so in ganz Europa wieder angebaut und verbreitet werden. Das Projekt startete 2020 und wird voraussichtlich 2026 enden. Bislang haben sich mehr als 7.000 Menschen in 27 Ländern daran beteiligt. „Das geht von Südspanien bis in den Norden Schwedens“, sagt Neumann. Die Forscher wollen damit einerseits ein breites Bewusstsein für die große Biodiversität von Ackerpflanzen schaffen. Denn wer vermutet schon bei einer so simplen Pflanze wie der Gartenbohne einen derartigen Variantenreichtum? Andererseits dient das Experiment dazu, Ertrags- und Blühdaten aus verschiedensten Anbauregionen zu sammeln. „Das wäre uns ohne die Mithilfe der Bürger so gar nicht möglich“, sagt die Biologin.

„Wir wollen wissen, wo man welche Sorte anbauen kann, wie sie mit den dortigen Bedingungen zurande kommt, ob sie trotz später Blüte noch reift und ob sich der Anbau lohnt.“ Sie ist überzeugt: Gerade in Zeiten heißer und trockener Sommer, mit denen manche handelsüblichen Sorten schwer zurechtkommen, kann sich eine Rückbesinnung auf alte, hitzeresistentere Sorten lohnen. Man muss sie nur finden. „Wir sehen auch eine erhöhte Nachfrage nach Hülsenfrüchten“, erklärt Kerstin Neumann. Der Bedarf nach klimafreundlichen, pflanzlichen Eiweißquellen, zu denen Bohnen gehören, wächst stetig – nicht nur unter Vegetariern und Veganern. Zudem haben Hülsenfrüchte einen hohen Anteil an Folsäure, Kalium und Magnesium und sättigen lange, was sie für Menschen mit Gewichtsproblemen interessant macht.

Welche Sorten in den Samensackerln landen, ist dem Zufall überlassen. Ein Blick in die Samendatenbank verrät aber, dass die halbe Welt zu Besuch im heimischen Garten sein kann. Denn die Saatbohnen stammen aus Honduras, Chile, Peru, Costa Rica und anderen Ländern Mittel- und Südamerikas sowie aus allen Ecken Europas. Kerstin Neumann selbst hatte in ihrer Überraschungspackung Saatgut aus Georgien. Das blühte sehr spät, erst Ende August, wurde aber trotz erster Nachtfröste im Oktober noch reif. „Und selbst, wenn die Pflanzen eingehen, ist das für uns ein relevantes Ergebnis“, sagt die Wissenschaftlerin.

Anmeldung und Registrierung bis 28. Februar mit der App „INCREASE CSA“.