Südtirol erprobt Zaun gegen Wölfe
Auf der Kirchbergalm im Südtiroler Ultental, direkt an der Grenze zum Trentino, verzeichnete man im vergangenen Jahr rund 40 vom Wolf gerissene Schafe. Heuer werden dort erstmals Herdenschutzmaßnahmen erprobt. Die kürzlich im Land Tirol eingerichtete „Steuerungsgruppe Herdenschutz und große Beutegreifer“ hat sich vor Ort darüber informiert.
„Wir setzen bei diesem Thema auf Erfahrungsaustausch und einen gemeinsamen Weg“, bedankte sich Landeshauptmann-Stellvertreter Josef Geisler bei seinem Südtiroler Amtskollegen Landesrat Arno Schuler anlässlich des Lokalaugenscheins. Von den natürlichen Gegebenheiten und der Struktur der Almwirtschaft her ähneln sich Tirol und Südtirol in wesentlichen Bereichen. Während in Nord- und Osttirol aber bislang nur einzelne Wölfe durchgezogen sind, steht dieses Raubtier in Südtirol bereits in der Tür. In Nonsberg, in rund 30 Kilometer Entfernung zur Kirchbergalm, lebt bereits ein Wolfsrudel. 200 Kilometer weiter in der Schweiz zählt man ebenfalls zwei Rudel. Allein in Italien gibt es über 2.000 Wölfe.
700 Schafe und Ziegen sowie 210 Rinder weiden auf der hochalpinen Kirchbergalm im Ultental, die sich über 1.800 ha bis auf 3.000 Meter Seehöhe erstreckt. Noch sieht man vom Herdenschutz erst ein paar Holzpflöcke. In unmittelbarer Nähe der Schäferhütte wird demnächst ein 1,40 Meter hoher Holzzaun mit 400 Laufmetern errichtet. Der Holzzaun wird um einen von Strom durchflossenen Netzzaun auf zwei Meter Höhe aufgestockt. Kommt der Wolf, sollen die im weitläufigen Almgebiet verstreuten Schafe und Ziegen zusammengetrieben werden und die Nächte sicher in diesem Pferch verbringen. Weiden Kälber in der Nähe, kommen diese in der Nacht ebenfalls in den Pferch.
„Für einen kurzen Zeitraum kann das eine Verbesserung sein“, glaubt der Obmann der Alminteressentschaft, Paul Schwienbacher. Andere Herdenschutzmaßnahmen wie Schutzhunde seien in dem bei Radfahrern sehr beliebten Gebiet schwierig. Das tägliche Einpferchen hält Schwienbacher im hochalpinen Gelände weder für machbar noch für sinnvoll: „Da stürzen beim Zusammentreiben mehr Tiere ab, als vom Wolf gerissen werden.“
Dass Herdenschutz im alpinen Gebiet eine mehr als große Herausforderung ist, darüber sind sich alle einig. Auch Südtirol steht hier erst am Anfang. „Einen wolfsfreien Alpenraum wird es nicht mehr geben, so ehrlich müssen wir sein“, begründet Schuler die Anstrengungen Südtirols. Diese zielen zum einen auf eine Änderung des Schutzstatus für große Beutegreifer sowie auf eine Regelung zur Entnahme ab. Während Österreich seit 2012 über einen Managementplan für große Beutegreifer verfügt, der nur unter bestimmten Voraussetzungen auch die Entnahme von „Problemtieren“ ermöglicht, musste Südtirol aufgrund des Fehlens einer nationalen Regelung zur Selbsthilfe greifen und ein eigenes Gesetz erlassen. Herdenschutz ist auch hier die Voraussetzung. 25 Förderanträge für Schutzmaßnahmen sind bislang in Südtirol eingegangen. 250.000 Euro wurden dafür budgetiert. Seit dem heurigen Jahr wird die Errichtung von mobilen Schutzsystemen, sprich Zäunen, auf Almen mit bis zu 100% unterstützt.
Während in weiten Teilen des Alpenbogens keine Almwirtschaft mehr betrieben wird und ganze Dörfer aufgelassen wurden, hat die Bewirtschaftung der Almen in Nord-, Ost- und Südtirol einen enormen Stellenwert für die Landwirtschaft und die Pflege der Landschaft. 2.200 Almen gibt es in Tirol, 1.300 sind es in Südtirol. In Summe verbringen rund 270.000 Rinder, Schafe, Ziegen und Pferde den Sommer auf der Alm. Wie schnell sich die Präsenz des Wolfes auf die Almwirtschaft auswirkt, zeigt sich ebenfalls am Beispiel der Kirchbergalm im Südtiroler Ultental: Nach den Rissen im vergangenen Jahr wurden um 120 Schafe weniger aufgetrieben.
Im Bild: Der Obmann der Alminteressentschaft, Paul Schwienbacher, Südtirols LR Arno Schuler und LHStv Josef Geisler (von li.) beim Lokalaugenschein.