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Bergmähder in Gefahr

Reportage Österreich ist bei der Schaffung von Natura-2000-Schutzgebieten säumig und hat deshalb ein ­EU-Vertragsverletzungsverfahren am Hals. Die Bundesländer müssen nachnominieren – nicht immer ohne ­Konflikte. Ein Fallbeispiel aus Kärnten.

Eine „Gunstlage“ schaut anders aus: Hinter Ingolsthal, einem Seitengraben des Metnitztales, liegt Gwerz. Mühevoll haben dort einige Bauernfamilien über Generationen dem entlegenen Bergland Nutzflächen abgerungen. Nun sehen einige davon gerade deshalb ihr Auskommen hoch in den Gurktaler Alpen gefährdet. Denn weil durch die jahrhundertelange Bewirtschaftung eine wertvolle Kulturlandschaft entstanden ist, soll diese als Natura-2000-Gebiet unter besonderen Schutz gestellt werden. Eine wirtschaftliche Weiterentwicklung werde dann nicht mehr möglich sein, befürchten die Bergbauern.

Einer von ihnen ist Manuel Krainbucher: „Am 17. Februar 2016 haben wir von der Kärntner Landesregierung einen eingeschriebenen Brief erhalten, mit der Möglichkeit, binnen 14 Tagen eine Stellungnahme abzugeben“, erinnert er sich. Auf den Bergmähwiesen seines Hofes gedeihe der Goldhafer. Deshalb werde man die Flächen an die EU-Kommission melden, um dort ein Natura-2000-Schutzgebiet auszuweisen. Eine Fachexpertise dazu sei bereits eingeholt worden, die ökologisch wertvollen Flächen – etwa auch am elterlichen Hof von Krainbuchers Partnerin Alexandra – seien bereits erhoben, hieß es in dem Schreiben weiter. Krainbucher fühlte sich überfahren: „Zwar hat es im Herbst 2015 ein Vorgespräch über einen möglichen Vertrags­naturschutz in Ingolsthal gegeben. Ich habe aber nie mitbekommen, dass jemand meine Flächen begutachtet hätte.“

Seither ist der Landwirt zutiefst verunsichert: „Ich habe den Betrieb 2013 übernommen und auf 1.300 Meter Seehöhe in einen Laufstall für zehn Milchkühe investiert, um diesen im Vollerwerb zu führen.“ Jetzt sehe es so aus, als wenn er so nicht weiterwirtschaften könnte. „Was tun, wenn ich künftig mit dem ersten Schnitt bis Juli warten muss, bis der Goldhafer seine Samen gestreut hat? Mit überreifen Gräsern kann ich keine Silage machen!“ Eine solche Naturschutz-Auflage passe vielleicht für sehr extensive Betriebe, „aber nicht für meine Art der Bewirtschaftung“. Auch ob er künftig noch seine Rindergülle ausbringen dürfte sei ungewiss – zumindest einem Maßnahmenkatalog zufolge, der kurz im Internet kursierte und mittlerweile wieder offline gestellt wurde. „Seither sagt uns niemand mehr etwas, weil alles unter den Datenschutz fällt“, so der Bauer.

Das bestätigt indirekt auch Kärntens Umweltlandesrat Rolf Holub. Er ist für die Nominierung der Natura-2000-Gebiete zuständig. „Das Umweltinformationsgesetz sowie das Kärntner Informations- und Statistikgesetz regeln klar die Weitergabe von Umweltdaten“, lässt der Landespolitiker und Grüne über seinen Sprecher ausrichten. Aufgrund „sensibler Daten“ habe man die Studien wieder vom Netz nehmen und durch eine Kurzzusammenfassung ersetzen müssen. Der Langbericht sollte „nur für denjenigen, den es betrifft, einsehbar sein“. Dass es zu keiner Einbindung der betroffenen Bauern, wie eigentlich im Jahr 2000 im Landtag beschlossen, gekommen sei, begründet Holubs Büro mit „den engen zeitlichen Vorgaben“ im EU-Vertragsverletzungsverfahren. Man habe in 40 neuen Gebieten über das geplante Vorgehen informieren müssen. „Hierbei ist gerade in den größeren Gebieten wenig Raum für die erschöpfende Erklärung von individuellen Detailfragen gewesen“, wird beteuert. Im eingangs erwähnten Ingolsthal sei aber in jedem Fall eine weitere Information und Aufklärung „unerlässlich“. Und: Eine zeitgemäße Bewirtschaftung des Bodens werde jedenfalls „immer möglich“ sein, versichert der Umweltpolitiker.

Mario Deutschmann, Rechtsexperte bei der LK Kärnten, vertritt gut zwei Dutzend betroffene Betriebe um Ingolsthal mit 133 Hektar Grünland in der geplanten Schutzzone. Er übt harsche Kritik: „Es ist weder bekannt, auf welchen Flächen sich der Goldhafer genau befindet, noch welche Einschränkungen es später geben wird.“
Die Möglichkeit von Entschädigungszahlungen sei zwar im Sommer ins Landesnaturschutzgesetz aufgenommen worden, die konkrete Umsetzung aber noch völlig offen. Besonders ärgerlich: Die Betroffenen würden vom Amt stets nur Schimmelbriefe erhalten, mit identen Formulierungen für alle geplanten Schutzgebiete in Kärnten.

Ohnehin, so Deutschmann, seien Goldhaferwiesen typisch für extensive Bergregionen und kommen häufig vor. Seine Vermutung: Kärnten ist mit gerade einmal sechs Prozent der ausgewiesenen Landesfläche bundes­weites Schlusslicht bei den Natura-2000-Gebieten. Nach der Rüge aus Brüssel brauchte es rasch neue Gebiete, die man unter Schutz stellen könnte. Und so habe man einfach Gegenden hergenommen, über die etwa für das Programm Leader schon Daten vorhanden waren. Manuel Krainbucher: „Dann müsste aber das gesamte Metnitztal geschützt werden, weil der Goldhafer hier überall vorkommt.“ Der Landwirt besitzt auch ein halbes Hektar Wiese in der angrenzenden Steiermark. Dort kratzt das Thema niemanden.

Kärntens LK-Präsident fordert derweil „klare wissenschaftliche Belege, bevor Gebiete unter Schutz gestellt werden“. Johann Mößler: „Wir stehen dazu, dass außergewöhnliche Schutzgüter besonderen Schutz genießen sollen, wo sie nachweislich vorkommen und nicht nur vermutet werden. Wir sind aber strikt gegen großflächige Ausweisungen auf dem Rücken der Grundeigentümer, um die EU-Kommission zu beruhigen.“ Das neue Naturschutzgesetz sei zwar eine gute rechtliche Grundlage für Entschädigungen, allerdings seien die Grundeigentümer damit nicht genügend eingebunden.

Die LK Kärnten fordert daher die Erstellung von Gebietsmanagementplänen mit den Eigentümern. Dem kann auch Holub einiges abgewinnen. „Ein solcher Prozess könnte seine Umsetzung in einem beiderseitig freiwilligen Vertragsnaturschutz haben“, heißt es aus seinem Büro. Dies würde die Akzeptanz von Natura 2000 erhöhen und könne als flankierende Maßnahme zu einer verpflichtenden Gebietsausweisung verstanden werden.

Generell müsse der Naturschutz sicherstellen, dass die Bergmähder (nicht nur) von Ingolsthal weiterhin bewirtschaftet werden, betont man im Umweltreferat des Landes. Dort ist man sich auch bewusst, dass die Gefahr besteht, dass die mühevoll zu bewirtschaftenden Wiesen infolge von Hofaufgaben zunehmend verschwinden. Das befürchtet auch Manuel Krainbucher: „Die Bergmähwiesen sind nur deshalb entstanden, weil wir Bauern sie bewirtschaften.“ Bürokratische Einschränkungen würden für den einen oder anderen das Argument zum Aufhören sein. „Und pachten wird eine Fläche im Natura-2000-Gebiet kaum jemand wollen.“ Sollten die Flächen dann allerdings verwalden, wäre das Ziel des Schutzes verfehlt.

Dabei dürfte sich der allfällige Vollzug der befürchteten Naturschutzauflagen ohnehin noch länger hinziehen. So braucht es dazu einen Regierungsbeschluss, um mögliche Natura-2000-Gebiete an die EU-Kommission zu melden. Mit einem solchen ist vor den nächsten Landtagswahlen im Frühjahr 2018 nicht zu rechnen. In der Regel dauert es ein Jahr, bis man in Brüssel überhaupt über deren Eignung entscheidet. Erst dann kann mit der Erstellung der Gebietsmanagementpläne begonnen werden. Theoretisch hat Kärnten ab dem Okay aus Brüssel sechs Jahre Zeit, genaue Definitionen auszuarbeiten. Das Natura-2000-Schutzgebiet Hohe Tauern wurde beispielsweise beim EU-Beitritt Österreichs 1995 nach Brüssel gemeldet und befindet sich nach wie vor in Ausarbeitung. Trotzdem will Manuel Krainbucher nicht jahrelang in Unsicherheit leben: „Ich will jetzt wissen, ob es für meine junge Familie hoch oben am Berg eine Zukunft gibt.“

STICHWORT NATURA 2000

Natura 2000 ist ein zusammenhängendes Netz von Schutzgebieten innerhalb der Europäischen Union, das seit 1992 nach den Maßgaben der „Fauna-Flora-Habitat“-Richtlinie errichtet wird. Sein Zweck ist der länder­übergreifende Schutz gefährdeter wildlebender heimischer Pflanzen- und Tierarten und ihrer natürlichen Lebensräume. In das Schutzgebietsnetz werden auch für den Vogelschutz ausgewiesene Gebiete integriert. Das Natura-2000-Netzwerk umfasst ein Fünftel der Landfläche und mehr als 7 Prozent der Meeresfläche der EU. Bis 2015 wurden in Österreich 219 Gebiete nominiert, davon waren insgesamt 196 Gebiete rechtlich verordnet. Die Benennung der Gebiete ist Bundesländer-Kompetenz. Bereits 2013 leitete die EU ein Vertragsverletzungsverfahren ein, weil in Österreich zu wenige Schutzgebiete ausgewiesen seien. Eine Nachreichung von 80 möglichen Natura-2000-Gebieten reichte Brüssel nicht. EU-Umweltgeneraldirektor Frank Vassen schickte im Februar eine Auflistung von 700 möglichen Gebieten, die in Frage kommen. Seither herrscht in vielen Bundesländern helle Aufregung und ein Gerangel darum, wo Natura- 2000-Gebiete entstehen sollen.

STEFAN NIMMERVOLL