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„Land unter“ gegen Hochwasser

Im Tiroler Inntal sind landwirtschaftliche Flächen ein knappes und teures Gut. Der Flächendruck durch Siedlungen, Gewerbe und Industrie auf das Agrarland ist groß. Dass jetzt auch der Hochwasserschutz Raum für sich beansprucht, lässt die Wogen hochgehen. STEFAN NIMMERVOLL war vor Ort.

Wenn jemand „Wasserfischer“ in seinem Hofnamen führt, dann ist der Bezug zum Element offenkundig. Und tatsächlich ist es nur ein Katzensprung vom Milchviehstall von Alfred Enthofer bis zum Ufer des Inn. Seit Jahrhunderten lebt die Familie aus Strass im Zillertal mit dem Fluss und den Gefahren, die von ihm ausgehen. „Deshalb haben wir kein Problem, wenn ein bisschen Wasser auf unseren Feldern steht“, erzählt der Bauer beim Besuch von BLICK INS LAND. Was in den nächsten Jahren im Unterinntal entstehen soll, will Enthofer aber nicht akzeptieren. Kommt es so, wie aktuell geplant, muss er den Großteil der Flächen seines Hofes als „optimierten Retentionsraum“ (Retention: lat. retinere = zurückhalten) für den Hochwasserschutz zur Verfügung stellen. Bei einem HQ 100 (einem Ereignis, wie es rechnerisch alle hundert Jahre eintritt) würden mehr als drei Meter Wasser auf seinen Feldern stehen. Sein Anwesen würde mit einem sechs Meter hohen Damm „eingemauert“ werden, befürchtet Enthofer.

Notwendig geworden sind diese Maßnahmen, weil das Land Tirol nach einer verheerenden Überflutung in Wörgl im Jahr 2005 die Gefahrenzonen angepasst hat. Plötzlich lagen Dörfer, Höfe und Gewerbegebiete in der Gelben oder gar in der Roten Zone. Dort darf nichts mehr gebaut werden. Die Entwicklung ganzer Gemeinden ist damit zum Erliegen gekommen. Der Druck auf die Bürgermeister, rasch Gegenmaßnahmen zu setzen, ist groß. In drei Teilbereichen (oberes, mittleres, unteres Unterinntal) ist man daher bemüht, Wasserverbände zu gründen, um rasch Hochwasserschutzbauten errichten zu können. Denn gelingt es, das Wasser in definierten Retentionsräumen zu halten, können die Gefahrenzonenpläne wieder adaptiert werden. Überall dort, wo die Flut nicht mehr hinreicht, könnten dann wieder Siedlungs- und Verkehrsprojekte umgesetzt werden.

Das empfinden Bauern wie Josef Ampferer als schwachen Trost. Er müsste, wie rund 400 weitere Landwirte im Unterinntal, auf den Flächen seines Nebenerwerbsbetriebs in Münster eine Dienstbarkeit für den Hochwasserschutz ins Grundbuch eintragen lassen. Die fruchtbarsten Gründe des Unterinntals würden so geopfert, klagt er. Dadurch würden sie massiv an Wert verlieren: „Optimierte Retentionsflächen sind unverkäuflich. Wer kauft sich schon eine Last?“ Außerdem sei keine Betriebserweiterung mehr möglich. Nicht einmal einen Stadl dürfe man in diesem Gebiet errichten. „Viele Bauern wirtschaften momentan noch in Dorflage. Das ist nicht mehr zeitgemäß. Wohin soll die nächste Generation aussiedeln, wenn außerhalb gar nicht mehr gebaut werden darf?“

Um gegen das Projekt anzukämpfen, haben Enthofer und Ampferer gemeinsam mit rund 200 Mitstreitern den „Verein zur Förderung und zum Erhalt des Hochwasserschutzes in Tirol“ gegründet. Sie sind überzeugt, dass es alternative Lösungen gibt. „Wir sind nicht gegen den Hochwasserschutz. Auch am Inn muss etwas getan werden“, legt Alfred Enthofer Wert darauf, nicht als Verhinderer hingestellt zu werden. „Es kann aber nicht sein, dass Sicherheit für viele auf Kosten einiger weniger geschaffen wird.“ Nutzen und Lasten müssten auf ganz Tirol aufgeteilt werden. Mit „alpiner Retention“, also Staubecken in den Seitentälern, könne man dort schon rund zehn Prozent der Wassermenge zurückhalten und zugleich Energie gewinnen. Das würden Gutachten belegen, so Enthofer. Vom Land Tirol beauftragte Studien gehen hingegen nur von einer Rückhaltekapazität von 1,5 Prozent aus. „Wenn man in Seitentälern des Inntals Rückehaltebecken baut, wirken sie zudem nur, wenn es dort regnet. Regen, der dazwischen fällt, kann ungehindert abfließen“, heißt es darin.

Es liege in der Natur der Sache, dass die Landwirtschaft mit dieser Situation keine große Freude habe, zeigt der zuständige Landeshauptmannstellvertreter Josef Geisler Verständnis. „Mir wäre es auch lieber, wenn es anders ginge.“ Grundsätzlich seien aber nur Flächen herangezogen worden, die jetzt schon bei einem Hochwasser überflutet werden. „In der Planung wird außerdem höchstmögliche Rücksicht auf eine geringe Grundinanspruchnahme und die Sicherung der Bewirtschaftbarkeit genommen.“ Weiters hält das Land Tirol fest, dass nach einer Überflutung der Ernteentgang und die Rekultivierung der Fläche zu 100 Prozent entschädigt und Ersatzfutter zur Verfügung gestellt werde. Für die Eintragung des Rechts, die Fläche auf 70 Jahre für den Hochwasserschutz nutzen zu können, und die daraus resultierende Verkehrswertminderung, sollen die Bauern eine einmalige Entschädigung bekommen.

Gebiete, auf denen dauerhafte Bauwerke wie Dämme errichtet werden, sollen den Bauern abgelöst werden. Auch Tauschflächen als Ersatz werden angeboten. Der Landeskulturfond führt dazu aktuell Einzelgespräche mit Grundeigentümern, die ihr Land verkaufen wollen. Dabei handle es sich allerdings meist um Flächen, die heute verpachtet seien und damit ihren Bewirtschaftern ebenso verloren gingen, so Josef Ampferer. „Das Land wird so viele Ersatzflächen gar nicht bereitstellen können“, meint er. Denn schon in Münster brauche man 25 Hektar nur für die Dämme. Dem hält Landeshauptmannstellvertreter Geisler entgegen, dass im unteren Unterinntal 44 Hektar angekauft wurden: „Damit können wir den gesamten Bedarf in dieser Region decken.“ Im mittleren Unterinntal, wo Enthofer und Ampferer leben, würden Verhandlungen und Verkehrswertschätzungen laufen.

Zudem halten Befürworter des Projekts den Kritikern entgegen, dass die Schaffung der Retentionsflächen längst nicht nur ein Nachteil für die Bauern sei. „Wo rote Zonen und Retentionsräume ausgewiesen sind, wird es nicht mehr so einfach möglich sein, Gewerbegebiete und Industriezonen zu widmen“, so ein Insider. Bisher sei man damit eher großzügig – und oft zu Lasten der Interessen der Bauern umgegangen. Das, und die vom Land forcierte Widmung landwirtschaftlicher Vorsorgeflächen „garantiert den Fortbestand der Bewirtschaftung in einem Gebiet, in dem großer Siedlungsdruck und eine rasante Wirtschaftsentwicklung den Markt für Grund und Boden unter Druck gebracht haben.“

www.hochwasserschutz-unterinntal.at

www.hochwasserschutztirol.at