Foto: AMA-Marketing/Thomas Meyer

Geisterfahrer unterwegs

Das AMA-Gütesiegel steckt in einer Vertrauenskrise. Das neue Management der AMA-Marketing GesmbH steht vor großen Herausforderungen. Die Turbulenzen bieten aber auch die Chance, das System zu reformieren und mir neuen Inhalten aufzuladen.

Zu beneiden ist Christina Mutenthaler-Sipek vermutlich nicht. Zum Jahreswechsel hat die Niederösterreicherin die Geschäftsführung der AMA-Marketing übernommen – und das in einer Phase, in der sich die Organisation in einer veritablen Krise befindet. Vom Verein gegen Tierfabriken veröffentlichte Videos rücken vor allem die Hendlmast erneut in ein schiefes Licht. Auch aus dem Schweinebereich waren zuvor skandalöse Haltungsbedingungen öffentlich geworden. „Das AMA-Gütesiegel ist tot“, stellte daraufhin ein Genossenschaftsfunktionär in einem Leserbrief an die Salzburger Nachrichten nüchtern fest.

Das kann und will Mutenthaler-Sipek so nicht akzeptieren. „Die Bilder sind nicht entschuldbar. Das geht aus Konsumentensicht gar nicht“, meinte sie am Rande der Grünen Woche in Berlin, bei der die AMA-Marketing einen Messeauftritt unterhielt. Die große Mehrheit der Bauern würde aber zum Wohle der Tiere arbeiten. „Jeder Fall ist einer zu viel. Die Zahl der Betriebe, die wir aus dem Gütesiegelprogramm ausschließen mussten, liegt mit 59 im Jahr 2022 aber im Promillebereich.“ 70 Prozent der Konsumenten haben den Zahlen der AMA zufolge Vertrauen in das Siegel. In der kritischen, belesenen und urbanen Zielgruppe ist das aber derzeit laut der neuen Geschäftsführerin nicht mehr der Fall.

„Viele Konsumenten und Partner sind verunsichert“, räumt auch der Präsident der Landwirtschaftskammer Österreich, Josef Moosbrugger ein, „die medialen Berichte über inakzeptable Zustände auf einzelnen Betrieben, die selbst für die allermeisten bäuerlichen Betriebe unerklärlich sind, schaden dem AMA-Gütesiegel und erschüttern das Vertrauen der Konsumenten.“ Man müsse alles tun, um dieses zurückzugewinnen. Missstände seien nicht zu verteidigen. „Aus meiner Sicht braucht es einen Verhaltenscodex in der Landwirtschaft, damit das, was für die meisten Bäuerinnen und Bauern ohnehin selbstverständlich ist, von allen gelebt wird“, so der Vorarlberger.

„Geisterfahrer beschädigen das Image unserer gesamten Branche“, bestätigt der Leiter für Strategie und Unternehmensentwicklung in der AMA-Marketing, Michael Scheuch. Er sprach beim AMA-Forum in Wien wörtlich von „Vertragsbrüchen und Amokläufen beim Tierschutz“. Die härteste Währung sei das Vertrauen. „In der Vergangenheit wurde Qualität vor allem technologisch-prozessual definiert. Diese ist heute eine Selbstverständlichkeit. Mittlerweile geht es um emotionale Aspekte wie das Tierwohl und die Nachhaltigkeit.“ Hier müsse man mehr Transparenz hineinbringen. Ein erster Schritt dazu ist die neue Webseite haltung.at, über die man bessere Einblicke in die unterschiedlichen Haltungsformen bieten will. Dort sollen auch Fotos von Kontrollen auf Betrieben, die dem zustimmen, anonymisiert veröffentlicht werden, um ein korrektes Bild der Realität auf den Höfen darstellen zu können.

Parallel dazu werden wohl auch die Anforderungen steigen. Von 26 Richtlinien werden zehn überarbeitet, weitere werden folgen. Als Messlatte für andere Bereiche gilt dabei der Masterplan Schwein, mit dem man im Vorjahr, nach Eigendefinition, Meilensteine gesetzt hat. In Zukunftswerkstätten soll, auch mit externen Diskutanten, über künftige Anforderungen geredet werden. Parallel dazu will die AMA-Marketing die Zahl der Kontrollen erhöhen. „Wir werden die Frequenz erhöhen und auch das Verhältnis zwischen angekündigten und unangekündigten Besuchen verändern“, sagt Christina Mutenthaler-Sipek. Offen bleibt einstweilen die Frage, welchen Anteil an den jüngsten Skandalen persönliche Fehlleistungen Einzelner haben und wie viel systemimmanent ist und auf jedem Betrieb vorkommt. Ein klassisches Beispiel dafür ist die Genetik von Masthühnern. Hier einen nennenswerten Markt für langsam wachsende Rassen zu schaffen, wird eine der großen Aufgaben der neuen Führungsriege sein.

Kammerpräsident Josef Moosbrugger will sich schützend vor die überwältigende Mehrheit der Landwirte, die ihre Tiere gut behandelt, stellen. „Und auch wenn vieles, was da gezeigt wurde unentschuldbar ist, müssen wir uns schon die Frage stellen, ob manches nicht einem System geschuldet ist, das enormen Druck erzeugt.“ Fast alle aufgezeigten Fälle hätten gemeinsam, dass sie aus einer Situation der persönlichen Überforderung heraus entstanden sind. Moosbrugger verweist in diesem Zusammenhang auf das Projekt „Lebensqualität Bauernhof“ und das bäuerliche Sorgentelefon, die Hilfe bei Problemsituationen wie Burnout, Sucht oder Suizidgedanken anbieten. So könnte manche kritische Situation schon vor der Eskalation entschärft werden. Der Funktionär bleibt dennoch realistisch: „Egal, wie weit unsere Bemühungen, Kontrollen und Appelle verstärkt werden, zu hundert Prozent lassen sich Überschreitungen nie verhindern.“

www.haltung.at