Foto: ÖRV

Eine Rückkehr zur alten Zeit ist nicht mehr denkbar

Der brutale Krieg in der Ukraine sendet auch massive Schockwellen durch die agrarischen Märkte. STEFAN NIMMERVOLL hat den Raiffeisen-Experten JOSEF PLANK um eine Einschätzung für die kommenden Wochen und Monate gebeten.

Blick ins Land: Wie nervös ist man als Raiffeisen-Manager, wenn man die aktuellen Nachrichten aus der Ukraine sieht?

Josef Plank: Eine gewisse Angespanntheit ist nicht zu leugnen. Wir stehen vor einer Situation, die wir uns nicht vorstellen wollten.

Wie groß sind die Auswirkungen für die Unternehmen im Raiffeisenverband?

Man prüft im Bankbereich für Russland alle Optionen, bis hin zum Rückzug. Ein ungeordneter Ausstieg ist aber eine nicht verantwortbare Vernichtung von Vermögen und löst keine Probleme. Alle Überlegungen müssen auf einer nüchternen strategischen Analyse aufbauen. Im Bereich der agrarischen Unternehmen, die dem Raiffeisensektor zugerechnet werden, haben wir natürlich auch Produktionsstandorte in diesen Ländern. In der Ukraine herrscht Stillstand. Dort hat man versucht, den Beschäftigten und ihren Familien weiterzuhelfen.

In Deutschland wird Sonnenblumenöl gehamstert. Plötzlich reden wir von weltweiter Getreideknappheit – ein Szenario, das die breite Öffentlichkeit überhaupt nicht mehr am Radar hatte. Werden wir im Herbst noch genug von allem haben?

In Österreich und in vielen Ländern der Europäischen Union sehen wir derzeit noch nicht die große kritische Entwicklung, weil wir in diesen Bereichen einen guten Selbstversorgungsgrad haben. Die Verwerfungen auf den Märkten gehen aber auch an uns nicht spurlos vorüber. Wir sehen mit Sicherheit Zeiten entgegen, in denen agrarische Rohstoffe, aber auch Betriebsmittel teuer sein werden. Das wird uns begleiten, unabhängig davon, ob es bald eine Entspannung der Lage in der Ukraine gibt oder nicht.

Das wird sich auch auf die Versorgung mit Futtermitteln auswirken.

Die europäische Tierproduktion wird einen Dämpfer bekommen. Kurzfristig das Futter von irgendwo anders herzubekommen, wird nicht möglich sein. Jene Betriebe, die sich gut mit eigenem Futter versorgen können, wie in Österreich, werden aber nicht so stark darunter leiden.

Bei uns ist Dünger nahezu unleistbar oder schlicht gar nicht verfügbar. Erntehelfer fehlen. Um wie viel wird denn die Erntemenge im schlimmsten Fall heuer zurückgehen?

Für die heurige Saison haben die Genossenschaften für ihre Kunden gut vorgesorgt. Aus Kostengründen wird aber bei der Ausbringung von Betriebsmitteln gespart werden. Das wird auch Auswirkungen auf die Ergebnisse haben, die sich aber noch nicht quantifizieren lassen.

Sollte es bald zu einem Waffenstillstand kommen: Wie lange wird es dauern, bis es wieder zu einer geordneten Produktion in der Ukraine und zu Waren­strömen wie bisher kommen kann?

Falls das optimistischere Szenario eintritt, dass es bald wieder zu stabileren Verhältnissen kommt, ist die ukrainische Bevölkerung motiviert, schnell wieder zurückzukehren und zumindest die bisher nicht betroffenen Agraraflächen zu bestellen. Bis zu einer Rückkehr zu „alten Zeiten“, in denen die Ukraine einer der wichtigsten Exporteure von Getreide und Ölsaaten war, wird es aber selbst im optimistischsten Szenario sicher bis zur Ernte 2024 dauern. Zusätzlich stellt sich dazu noch die Frage, wie groß die Zerstörung in der Logistik und in den Häfen, die es für den Export braucht, sein wird.

Kann die Lebensmittelproduktion in der westlichen Welt mittelfristig auf wirtschaftlichen Beziehungen zu den beiden Agrargroßmächten Ukraine und Russland verzichten, wenn so etwas wie ein neuer „Eiserner Vorhang“ entsteht?

Für Russland, die Ukraine und auch Weißrussland kann man nicht so schnell Alternativen finden. Sie liefern wichtige Rohstoffe und Betriebsmittel für Europa. Man muss aber auch realistisch bleiben: Die Auswirkungen dieses „europäischen Kriegs“ sind am Kontinent natürlich deutlich intensiver spürbar. Ein größerer Teil der Welt wird sich um die Sanktionen der Europäischen Union nicht kümmern. Es würde also zu einer Verlagerung der Warenströme kommen. China und Teile Afrikas würden verstärkt dort einkaufen.

Die Ukraine galt bisher auch als ein Schlüssel zur Umstellung der Fütterung auf gentechikfreies europäisches Soja. Ist das Projekt gestorben, wenn man stattdessen wieder in Brasilien einkaufen muss?

Nein. Man muss die Ziele beibehalten, allerdings den Pfad etwas flexibler anlegen. Kurzfristig wird es fraglos einen Einbruch bei der Versorgung geben. Die Ukraine-Krise wird aber auch ein enormer Treiber hin zu einer europäischen Eigenversorgung bei wesentlichen Komponenten sein. Die Handelsströme werden anders ausschauen als jetzt.

Ist die aktuelle Krise vielleicht sogar eine Chance, höhere Fleischpreise bei gleichzeitig höheren Produktionsstandards und niedrigerem Konsum zu realisieren?

Wir haben die ganz offene Diskussion in Gruppen der Gesellschaft, dass es gut wäre, wenn ein Teil des Fleischkonsums wegkippen würde und damit weniger Ressourcen verbraucht werden. Die Schwierigkeit dabei ist aber, dass diese Rechnung am Reißbrett komplett ohne die bäuerlichen Familien geführt wird, denn gerade kleinere und mittlerer Betriebe können erst über die tierische Veredlung ein angemessenes Einkommen erzielen.

Von Seiten der Tierhalter wird gefordert, die industrielle Verwendung von Getreide zurückzufahren, um stattdessen leistbares Futter zur Verfügung zu haben. Soll die Agrana aus Solidarität ihre Stärkefabrik in Aschach und ihre Bioethanolanlage in Pischelsdorf drosseln?

Tatsache ist, dass wir in diesen Anlagen aus einem Rohstoff mehrere Endprodukte herstellen. Wenn ich heute mit Bioethanol aufhöre, habe ich Einbrüche in der Stärkeproduktion und auch kein genfreies Eiweißfutter als Beiprodukt mehr. Dann kippt das gesamte System weg und es entsteht sofort Druck auf andere Eiweißquellen. Wir tun also gut daran, den langfristig ausgelegten Weg der Bioökonomie auch in der Krise nicht zu verlassen; zumindest so lange, wie die Dinge nicht völlig eskalieren. Wenn der Gashahn zugeht, stellen sich viele Fragen der industriellen Produktion natürlich völlig neu.

Es scheint durchaus im Bereich des Möglichen, dass die Ukraine stärker an die EU gebunden wird. Was würden eine produktionsstarke Ukraine in der Union oder ein Freihandelsabkommen mit ihr für die europäischen Märkte bedeuten?

Auf kurze Sicht ist das nicht vorstellbar, weil es gewaltige Verwerfungen mit sich bringen würde. Die Strukturen bei den Betriebsgrößen und bei den Kosten sind nicht vergleichbar. In der Ukraine gibt es einen Geflügelproduzenten, der alleine mehr erzeugt als alle österreichischen Bauern zusammen. Spätestens wenn es darum geht, dort Flächenprämien zu bezahlen, wäre die Solidarität innerhalb Europas vermutlich zu Ende.

In den letzten Jahren hat die Agrarszene fast nur über Reduktionsziele im Green Deal und in der Farm-to-Fork-Strategie gesprochen. Jetzt werden die Stilllegungsflächen umgebrochen. Erleben wir gerade einen völligen Paradigmenwechsel?

Es gibt eine massive Veränderung der Prioritäten. Wir dürfen aber nicht so tun, wie wenn es die bisherigen Ziele nie gegeben hätte und sie nur ein Irrtum der Geschichte waren. Sie sind notwendig, um auf dem Globus eine nachhaltige Perspektive zu haben. Die Frage nach dem Ausstieg aus der fossilen Energie bleibt genauso bestehen wie der Klimawandel und die Sorge um die Biodiversität.

Ist es unter den momentanen Vorzeichen überhaupt denkbar, mit der nächsten Programmperiode der Gemeinsamen Agrarpolitik wie geplant 2023 zu starten?

Den Prozess der Genehmigung der Strategiepläne sollte man nicht abwürgen oder bremsen. Die GAP muss mit Jahresbeginn 2023 beginnen. Die Instrumente sind das Rückgrat für die bäuerlichen Familienbetriebe in den nächsten Jahren. Bei der konkreten Umsetzung wird man aber mehr Sensibilität an den Tag legen müssen.

Die Landwirtschaft hängt immer noch am Tropf der fossilen Energie.

Die aktuellen Energiepreise sind eine unmissverständliche Botschaft: Wir müssen endlich kompromisslos und klar alle Projekte umsetzen, die Richtung Ausstieg aus fossilen Rohstoffen gehen. Die gibt es alle, sie sind nur gerne immer wieder zurückgestellt worden. Es ist schon erstaunlich, wie viele jetzt grünes Gas als Problemlöser präsentieren, die sich jahrelang als Blockierer jeder Lösung und jedes Fortschritts bei Biogas ausgezeichnet haben.

Was ist da ein realistischer Zeithorizont?

Vom technischen Standpunkt her wäre innerhalb von zehn Jahren viel möglich. Dafür müssen aber auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen passen, damit investiert wird.

Kurzfristig gibt es aber kaum Möglichkeiten, auf viele Betriebsmittel zu verzichten.

Ressourceneffizienz wird ein zentrales Thema. Wie wir auf die preislichen Verwerfungen reagieren, ist letztlich auch eine Frage an die Politik. Richtig kritisch wird es dann, wenn wir nicht mehr nur über die Preise, sondern auch über die tatsächliche Verfügbarkeit reden müssen.

Ist die aktuelle Situation eine Zeitenwende für die Lebensmittelproduktion oder werden wir, wenn sich alles wieder beruhigt hat, zu alten Verhaltensmustern mit globalen Warenströme zurückkehren?

Nur regional und klein wird nicht möglich sein. Der Welthandel wird nicht verschwinden. Es gibt aber eine gesteigerte Sensibilität, das Produkte, die von zentraler Bedeutung sind, tatsächlich in Europa produzieren sollte. Dafür wird es auch vermehrt staatliche Weichenstellungen brauchen.

Lebensmittel werden damit teurer werden.

Versorgungssicherheit kostet Geld. Die Kurve, dass Menschen immer weniger für Lebensmittel ausgeben, kann man nicht mehr fortschreiben. Es wird auch soziale Auswirkungen haben, wenn manche Produkte plötzlich viel mehr kosten. Auch dafür wird man verträgliche Lösungen brauchen.

 

Zur Person

Josef Plank ist einer der profiliertesten Kenner der Agrarmärkte in Österreich. Der Mostviertler war in seiner langen Karriere bereits Vorstandsvorsitzender der Agrarmarkt Austria, Agrarlandesrat in Niederösterreich, Geschäftsführer der RENERGIE, Präsident des Dachverbands Erneuerbare Energie Österreich und des Österreichischen Biomasseverbands, sowie Generalsekretär sowohl bei der Landwirtschaftskammer Österreich als auch im Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus. Derzeit leitet der 63 Jährige die Abteilung für Wirtschafts-, Agrar- und Europafragen im Österreichischen Raiffeisenverband.