Energiegeladene Pläne
Bis 2030 will sich Österreich zu 100 Prozent mit grünem Strom versorgen. Dazu wird es auch Photovoltaikanlagen auf Äckern und Wiesen brauchen. Die Wende zur erneuerbaren Energie ist jedoch ein zweischneidiges Schwert, hat STEFAN NIMMERVOLL im Raabtal erfahren.
Es wäre eine Untertreibung zu behaupten, dass der Solarstrom in Österreich boomt. Viel mehr kann von einer wahren Explosion der Nachfrage geredet werden, seit die Bundesregierung vor einem Jahr einen Ausbau der Erneuerbaren auf 27 Terrawattstunden Kapazität versprochen hat. Das bestätigt auch Vera Immitzer, die Geschäftsführerin des Verbandes Photovoltaic Austria: „11 TWh sollen von PV-Anlagen kommen. Wenn wir dieses Ziel in nicht einmal einem Jahrzehnt erreichen wollen, müssen wir die aktuelle Leistung versechsfachen und jährlich das zubauen, was in den letzten sechs Jahren errichtet wurde.“ Jedes verfügbare Scheunendach, jede Industriehalle, aber auch Parkplätze bei Supermärkten und Lärmschutzwände entlang von Autobahnen werden dafür herhalten müssen. Selbst damit wird es aber wohl nur gelingen, die Hälfte des Bedarfs abzudecken, rechnet Immitzer. Bis zu, je nach Quelle, 8.000 Hektar an Paneelen werden auf sogenannten Freiflächen entstehen müssen.
Neben Deponien und ohnehin brachliegenden Sanierungsflächen werden dafür auch fruchtbare Äcker und Wiesen in Frage kommen. In den letzten Monaten ziehen daher Projektbetreiber quer durchs Land und versuchen passende Grundstücke zu akquirieren. Eine Voraussetzung ist dabei die Möglichkeit, die gewonnene Energie über ein Umspannwerk ins Netz einzuspeisen. Ein solches befindet sich in Hofstätten an der Raab in der Steiermark. Rund um den Stromknoten wurden Grundeigentümern daher um die 4.000 Euro pro Hektar und Jahr angeboten, wenn sie auf ihren Äckern für 30 Jahre Photovoltaikanlagen statt Kukuruz pflanzen lassen. Bis zu 30 Hektar sind laut Bürgermeister Werner Höfler von der Planung umfasst. Angesichts der kolportierten Summen würden sich zudem manche Eigentümer außerhalb des eigentlichen Projektgebiets um eine Ausweitung des Projekts auf ihren Besitz bewerben.
„Wir als Gemeinde müssten diese Flächen jedenfalls für eine Sondernutzung widmen“, meint Höfler. Egal wie der Gemeinderat letztlich entscheidet, besteht für den Bürgermeister die Gefahr, sich bei der Entscheidung gehörig die Finger zu verbrennen. Denn einerseits besteht für einzelne Landwirte die Möglichkeit mit ihren Feldern einen Umsatz zu machen, der mit klassischer agrarischer Nutzung undenkbar wäre. Andererseits sind die Grundstücke im ohnehin flächenbegrenzten Schweinegürtel der Oststeiermark auf Jahrzehnte für die Produktion von Futter verloren. Der Ferkelzüchter Manfred Wallner stellt das plakativ dar: „Zwei Drittel der rund 50 Hektar, die ich bewirtschafte, gehören mir nicht. Ersatzflächen für den Mais, den ich brauche, zu finden wäre kompliziert.“ Der Druck am Grundstücksmarkt würde steigen. Zudem befürchtet Wallner, dass auch seine bisherigen Verpächter ihre Preisvorstellungen anpassen könnten, wenn sie hören, welch phantastische Summen plötzlich in der Gemeinde bezahlt werden. Ein Durcheinandergeraten der Relationen zwischen den einzelnen Betriebszweigen könnte die Folge sein.
Für Hannes Hütter überwiegen bei der Photovoltaik am Acker hingegen eher die Chancen als die Risiken: „Bis jetzt haben sich andere Branchen an der Landwirtschaft bereichert. Jetzt wird es endlich einmal umgekehrt sein.“ Unabhängig davon, ob eine Fläche von ihm nun vom Projekt umfasst sein wird oder nicht, sei es Fakt, dass diese Flächen auch für die nächste Generation Ackerland bleiben, so der Ackerbauer „Immerhin werden die Anlagen ja betonlos verankert. Die Fläche wird also nicht versiegelt.“ Wenn man die PV-Elemente irgendwann wieder wegräumt, kann sie sofort wieder ausgesät werden. Bis dahin kann der Platz zwischen den Paneelen mit Schafen oder Hennen genutzt werden. In Deutschland wird in einer Versuchsanlage sogar herkömmlicher Ackerbau, bei dem der Mähdrescher zwischen oder unter hochgestellten Solarplatten fährt, betrieben. Diese sogenannte Agrarphotovaltaik gilt als Zukunft einer Symbiose von Landwirtschaft und Sonnenstrom. Bis sie endgültig praxistauglich sein wird, kann es aber noch dauern. Vera Immitzer verweist auch auf die Möglichkeit der Energie-Raumkonzepte, die gemeinsam mit den Gemeinden erarbeitet werden und jene PV-Flächen ausweisen, die Kriterien wie Netzanschluss und Bodenqualität beachten, um etwaige Konflikte zu verhindern.
Welche Nutzungsform bei dem Projekt im Raabtal letztlich kommen würde, ist, wie so vieles, noch offen. Jedenfalls scheint klar, dass die 16 Tonnen Trockenertrag an Mais, die auf den fruchtbaren Böden geerntet werden, so nicht mehr möglich sein dürften. Weidetiere als Alternative sind im Vergleich dazu wohl bestenfalls als äußerst extensive agrarische Nutzung zu betrachten. Für die Landwirtschaftskammer Steiermark sollen ertragreiche Ackerböden für die Ökostromproduktion daher tabu sein. „Ziel muss es sein, dass die besten Flächen in einer Gemeinde erst gar nicht in Betracht gezogen werden“, heißt es in einem entsprechenden Positionspapier. „Nur so kann das Spannungsfeld Energie- und Nahrungsmittelproduktion und Raumordnung entsprechend in Einklang gebracht werden.“ Die Landwirtschaft muss aktiver Partner oder sogar selbst Betreiber von Photovoltaik-Projekten werden. Denn steht eine Freifläche nicht im Besitz eines Bauern, geht beides verloren: Die Fläche ist für die intensive Produktion blockiert, die Pacht-Tausender fließen aber zum agrarfernen Grundeigentümer in die Stadt.
Im Dezember wurde in der Steiermark eine Gesetzesvorschlag zur verpflichtenden Errichtung von PV-Anlagen auf Gebäuden eingebracht. Beim Schutz wertvoller agrarischer Flächen ist Niederösterreich schon einen Schritt weiter. Dort wurde im Herbst vom Landtag eine Novelle der Raumordung erlassen, die unter anderem PV-Projekte über zwei Hektar stark einschränkt. Nur bis zu dieser Grenze darf eine Gemeinde die Widmung dafür eigenständig ändern. Darüber hinaus muss die Fläche in einem Zonenplan des Landes ausgewiesen sein. „Wir wollen so verhindern, dass die 50 Prozent der produktivsten Flächen unseres Bundeslandes für die Stromproduktion hergenommen werden“, heißt es aus dem Büro von LH-Stellvertreter Stephan Pernkopf. Da für die Erstellung einer solchen Zonierung das Jahr 2023 als Zieldatum formuliert wurde, wird es in Niederösterreich auf absehbare Zeit gar keine solchen Großprojekte geben.
Für manche Bauern, die schon einen warmen Geldregen auf sich zukommen sahen, ist diese Entscheidung bitter. Photovoltaic Austria-Geschäftsführerin Vera Immitzer: „Es wurden schon Gutachten erstellt und Verträge abgeschlossen. Das ist alles mit einem Schlag hinfällig.“ Sie hätte sich stattdessen eine Übergangsfrist für bereits baureife Projekte gewünscht. Allzu sicher dürfen sich laut der Expertin aber auch jene Landwirte, die anderswo gerade die ihnen vorgelegten Dokumente studieren und den Stift zur Unterschrift ansetzen, aber auch nicht sein. „Das entsprechende Erneuerbaren Ausbau-Gesetz von Umweltministerin Leonore Gewessler ist noch nicht beschlossen. Danach müssen erst die Flächen umgewidmet werden“, so Immitzer.
Auch Hofstättens Bürgermeister Werner Höfler will noch abwarten und abwägen. „Ich habe bisher kein offizielles Ansuchen am Tisch liegen. Außerdem sehe ich aktuell gar keine Mehrheit dafür im Gemeinderat.“ Er wünscht sich eine einheitliche Linie innerhalb der 12 Gemeinden umfassenden Energieregion Weiz-Gleisdorf. „Wir werden das bei unserem nächsten Meeting auf der Tagesordnung haben“, so Höfler. Manfred Wallner und Hannes Hütter sind zwar nicht einer Meinung, hoffen aber, dass es nicht zu Unfrieden oder Neid zwischen den noch verbliebenen Landwirten des Raabtals kommt. Hütter: „Letztendlich geht es uns beiden darum, unser Einkommen als Bauern abzusichern. Egal, was herauskommt: Wir werden gute Kollegen bleiben.“