Foto: ARGE Rind

Mit dem Rücken zur Wand

Rindermast Sollte Großbritannien ohne Abkommen aus der Europäischen Union austreten, wird das zu massiven Verwerfungen am Rindfleischmarkt führen. Unter einem „harten Brexit“ würde auch Österreich leiden, erzählt der Geschäftsführer der ARGE Rind, Werner Habermann.

Wie erleichtert sind Sie, dass der Brexit verschoben wurde?

Sehr. Gelöst ist das Problem ist aber nicht. Wenn Irland Großbritannien als Kunden verliert, wird die europäische Eigenversorgung mit Rindfleisch von einem Tag auf den anderen von 99 auf 115 Prozent steigen. Diesen Druck merkt man heute schon. Die Iren suchen in Europa alternative Märkte.

EU-Agrarkommissar Phil Hogan kann sich Hilfsmaßnahmen vorstellen. Wären beispielsweise Interventionslager beim Rindfleisch denkbar?

Ich bin kein Fan davon. Alles, was auf Lager gelegt wird, muss irgendwann auch wieder ausgelagert werden und belastet dann den Markt. Wir werden eher schauen müssen, dass wir Exportmärkte in Drittländern stärker bedienen können. Dass Irland nach China liefern darf, ist sehr wichtig. Dort wird man aufgrund des steigenden Wohlstandes Rindfleisch brauchen. Dafür sollte die Kommission Geld freigeben.

Sollte das nicht gelingen: Werden wir dann in Österreich bald irisches Beef im Regal haben?

Im Lebensmitteleinzelhandel wird es nicht auftauchen, weil der Konsument da kaum Interesse an ausländischem Fleisch hat. In der Gastronomie hat die Ware aber kein Mascherl. Da meinen viele Kunden, dass sie ein österreichisches Steak essen. Das ist es zu 80 Prozent aber nicht.

Also gibt es heute schon irisches Rindfleisch am Teller im Wirtshaus?

Wenig. Auch Irland ist momentan noch zu teuer. Gekauft wird eher das Billigpreissegment aus Argentinien und Brasilien. Südamerika hat nochmals höhere Produktionsmengen und braucht hochpreisige Märkte in Europa. Vor Weihnachten waren wir damit konfrontiert, dass die Brasilianer die Märkte, im Rahmen ihres Zollkontingents, im Edelteil-Bereich mit Billigangeboten überschwemmt haben. Beiried hat im Großhandel acht Euro pro Kilo gekostet – das ist die Hälfte von dem, was bei uns ein Stier-Beiried kostet.

Also wäre das Freihandelsabkommen Mercosur eine noch größere Gefahr als der Brexit?

Langfristig ja.

Auch mit den USA gibt es Diskussionen rund um die Steigerung des Kontingents für Rindfleisch.

Grundsätzlich sehe ich die Vereinigten Staaten nicht als großen Konkurrenten. Die Ware, die jetzt hereinkommt, ist wesentlich teurer als unsere eigene.

In Übersee werden Hormone und massiv Antibiotika in der Rindermast eingesetzt. Ist es fair Produkte hereinzulassen, die mit Methoden hergestellt wurden, die hier eigentlich verboten sind?

Nein. Aber auch unabhängig von Antibiotika und Hormonen sind die Auflagen und Produktionsbedingungen ganz anders. Ich habe in Südamerika Betriebe gesehen, wo 300.000 Rinder in einem System stehen. Da werden wir mit unseren im Durchschnitt 28 Rindern nie konkurrenzfähig sein.

Ist die Landwirtschaft nur mehr ein Abtauschgut für höhere wirtschaftliche Interessen?

Letztendlich kann man das so sehen. Die Landwirtschaft hat eine untergeordnete Rolle. Andere Wirtschaftsbereiche wie die Autoindustrie geben die Themen vor.

Wie kann Österreich in diesem Kontext bestehen?

Wir sehen eine klare Kennzeichnung in der Verarbeitung, in der Gemeinschaftsverpflegung und in der Gastronomie als einzige Chance, uns besser zu positionieren. Es ist ein Faktum, dass wir 145 Prozent Eigenversorgung haben. Daher brauchen wir neue Absatzmärkte. Die finden wir im Lebensmitteleinzelhandel nicht mehr. Dort sind wir mit fast 100 Prozent vertreten und die Umsätze sind leicht rückläufig. Wer in einen C&C-Markt geht, sieht aber, dass mindestens fünfzig Prozent ausländische Ware bei den Wirten landet. Die einzige Chance ist also im Außer Haus-Verzehr. Hier hoffen wir auf eine klare Kennzeichnung, wie es im Koalitionsabkommen steht.

Und im Export?

Der ist schwierig. Unser wichtigster Exportmarkt Italien ist komplett weggebrochen, weil Polen und Irland wesentlich billiger liefern können. Unsere einzigen Exportmärkte für höherwertiges Rindfleisch sind momentan Deutschland und die Schweiz. Wenn wir uns aber, wie jetzt gerade, mit unseren Aufschlägen zu sehr vom deutschen Preisniveau wegbewegen, fliegen wir auch dort aus den Regalen hinaus.

Dafür sorgen die Lebendtransporte von Kälbern ins Ausland für Aufregung.

Wir müssen aktuell 80.000 Kälber und Einsteller pro Jahr exportieren, weil wir die Mastkapazitäten im Inland nicht mehr haben. Die Kalbfleischproduktion in Österreich ist de facto eingebrochen. 60 bis 70 Prozent des Kalbfleisches in der Gastronomie sind aus Holland. Wir liefern Kälber ins Ausland und bekommen verarbeitetes Fleisch von 40.000 Schlachtkälbern wieder herein.

Brauchen wir da nicht Strategien, um mehr Kälber im Land mästen zu können?

Das ist ein politischer Auftrag. Das müsste man aber anders gestalten: Nicht klassisch mit Vollmilchaustauscher, sondern rosé, etwas schwerer und älter. Das wäre auch kostengünstiger.

Da braucht es aber auch die Zusage der Politik, dass die Gemeinschaftsverpflegung dieses Kalbfleisch dann auch abnehmen wird. Das würde einen Teil dieses Problems entschärfen.

Muss die Vermarktung, ähnlich wie bei Schwein und Geflügel, generell mehr auf Tierwohl setzen?

Wir machen ja solche Projekte. Die Nachfrage ist aber nicht so groß, wie wir sie und vielleicht auch der Handel eingeschätzt haben. Dem Konsumenten sagt der Begriff Tierwohl noch nichts. Da wird man weiter aufklären müssen.

Ist bei Bio der Plafond erreicht?

Ja. Projekte mit dem Handel, wie Ja! Natürlich, Spar oder Zurück zum Ursprung funktionieren gut und wachsen sogar noch leicht. Außerhalb davon müssen wir Ware exportieren. Da geht es nur mehr um den Preis. Im Bio-Schlachtkuhbereich sind wir von fast 70 Cent Zuschlag auf 26 Cent heruntergefallen. Bei dem, was die Deutschen zukaufen, ist ihnen egal, ob es aus der Ukraine oder aus Österreich kommt. Deshalb bin überzeugt davon, dass es auch bei den Bioprojekten eine Mengensteuerung, ähnlich wie beim AMA-Gütesiegel braucht. Übermengen gehen immer zu Lasten des Bauern, weil die Preise fallen.

Stichwort AMA-Gütesiegel: Auch hier ist der Markt gesättigt.

Es gibt einen Aufnahmestopp und eine Warteliste. Wir entscheiden zwei Mal im Jahr darüber, ob und wie viele neue Betriebe aufgenommen werden. Auch bei anderen Programmen merken eine gewisse Sättigung. 70 Prozent der von der ARGE Rind vermarkteten Schlachtrinder sind irgendwo in einem Qualitätsprogramm. Wenn hier mehr Ware kommt, brauchen wir neue Märkte dafür. Diese zu finden, wird die Herausforderung der nächsten zwei Jahre sein. Wir stehen mit dem Rücken zur Wand.

Aufgrund des Futtermangels wurde der Markt mit Schlachtkühen überschwemmt. Hat sich die Situation wieder normalisiert?

Ja, seit Jänner. Es sind wenige Schlachtkühe da. Man kann eine Kuh ja nur einmal schlachten. Die Preise sind wieder nach oben gegangen. Wenn die Niederschlagsentwicklung so weitergeht, wie sie sich jetzt abzeichnet, werden wir aber dasselbe Problem wieder haben.

Brauchen wir bei den Mutterkühen eine Rückkehr zu gekoppelten Zahlungen?

Ich halte nichts davon nur eine Stückprämie mit der Gießkanne zu verteilen. Jede Zahlung muss einen klaren Qualitätsanreiz haben.

Generell haben Rindermäster mit der Umstellung vom historischen auf das regionale Zahlungsmodell stark verloren.

Die Rindermast hat damit massiv an Einkommen verloren. Dieses wurde am Markt bisher nicht wieder erwirtschaftet. Damit ein Betrieb wieder investieren kann, braucht er einen Deckungsbeitrag von 400 bis 450 Euro pro Mastplatz. Aktuell liegen wir bei 200 Euro. Auch hier brauchen wir, ähnlich wie bei den Mutterkühen, einen Qualitätsanreiz in der Säule 2, damit Geld zu den Bauern kommt.

Interview: STEFAN NIMMERVOLL

ZUR PERSON

Werner Habermann (47) ist seit 2003 Geschäftsführer der niederösterreichischen Erzeugergemeinschaft Gut Streitdorf und unter anderem für die Rinderbörse sowie für Qualitätsprogramme verantwortlich. Seit Jänner 2018 ist er zusätzlich Geschäftsführer der Dachorganisation der Rindererzeugergemeinschaften in Österreich, ARGE Rind.