Rechtslage spricht für Isegrim
„Wolfsbeauftrager“ Georg Rauer im Gespräch mit BLICK INS LAND über das Streitthema Nr. 1: die Rückkehr des Wolfes nach Österreich.
BLICK INS LAND: Im Vorjahr wurde im Waldviertel ein Rudel Wölfe lokalisiert. Müssen wir uns an Isegrim – wieder – gewöhnen?
Rauer: Der Wolf ist ein sehr guter Kolonisator. Die Entwicklung der Populationen rund um Österreich nimmt zu. Nachdem vermehrt einzelne Jungtiere aufgetreten sind, ist im Vorjahr das Rudel am Truppenübungsplatz Allentsteig aufgetaucht. In den Westalpen ist das erste Rudel 1992 entstanden. Heute gibt es in diesem Raum fast 70. Die deutsch-polnische Population ist um 2000 entstanden und umfasst mittlerweile rund 100 Rudel. Das zeigt, wie rasch eine solche Entwicklung laufen kann.
Wurden Wölfe ausgesetzt?
Nein. Es gibt keinerlei Hinweise darauf. An den Gerüchten ist also nichts dran. Im Gegenteil, wir haben genug Nachweise, wie weit die Tiere wandern und können die Herkunft für einzelne Tiere auch genetisch nachweisen.
Welche Gebiete in Österreich eignen sich generell für den Wolf?
Dazu gibt es sicher verschiedene Ansichten. Von Natur aus ist zu erwarten, dass er sich in Waldgebieten aufhalten wird. Der Wolf ist aber sehr anpassungsfähig. Wo genügend Wild vorhanden ist, fühlt er sich wohl. Er braucht deshalb keine sehr abgeschiedenen Gebiete, sondern findet seine Nahrung und Rückzugsräume auch im besiedelten Raum.
Macht es Sinn Regionen zu definieren, wo man Wölfe nicht haben will?
Es wird Räume geben, wo es keine Wölfe geben kann. Mit dem Wolf im Stadtpark wird man nicht zurande kommen. Eine wildökologische Raumplanung wie in manchen Bundesländern für Rotwild ist aber für ein Tier, das weitaus größere Räume beansprucht und viel wandert, schwierig. Ebenso eine Abgrenzung frei nach dem Motto: Bei Euch wollen wir Wölfe und bei Euch nicht…
Als „Wolfsbeauftrager“ sind Sie mit der Schadensabwicklung befasst. Sind mit der Rückkehr der Wölfe die Schäden gestiegen?
Heuer sind insgesamt wenige Schäden aufgetreten. Noch sind keine 25 Tiere von Wölfen gerissen worden. Für Weidetiere aber ist der Wolf ein weitaus größeres Risiko als der Bär. Also ist damit zu rechnen, dass mehr Schäden auftreten, wenn mehr Wölfe nach Österreich kommen.
Gibt es auch Dunkelziffern?
Die 25 gerissenen Tiere sind erfasste und entschädigte Fälle. 2015 hatten wir auf einer Alm im Pinzgau 68 abgestürzte oder verschwundene Schafe. Die sind damals alle dem Wolf zugeordnet und entschädigt worden. Die Erfassung der Risse ist aber im alpinen Bereich schwierig.
Muss die Schadensabwicklung verbessert werden?
Derzeit funktioniert es. Aber es gibt Unterschiede zwischen den Bundesländern etwa im Umgang mit Fällen, die nicht eindeutig zugeordnet werden können. In manchen Ländern sind die Jagdverbände in die Abgeltung eingebunden und zahlen auf freiwilliger Basis. Rechtlich gibt es dazu aber keine Verpflichtung. Ein Tierverlust durch einen Wolf ist eigentlich so etwas wie „höhere Gewalt“. Ich wünsche mir daher Rechtssicherheit und ein klares Bekenntnis der Länder, dass solche Schäden abgegolten werden.
Ist die Abgeltung überhaupt finanzierbar, wenn mehr Wölfe da sind?
Die Frage ist eher, ob man das finanzieren will. Will die Gesellschaft diese Tiere haben, wird sie das etwas kosten, auch in Sachen Prävention. Die Schweiz gibt 2,4 Millionen Franken, also mehr als 2 Millionen Euro dafür aus und ist damit noch lange nicht flächendeckend.
Funktioniert Prävention auf Almen gegen Wölfe überhaupt?
Wenn man nicht will, dann nicht. Es gibt allerdings Beispiele, dass es funktionieren kann. Allerdings werden die jetzt bekannten Herdenschutzmaßnahmen nicht überall ausreichend sein.
Welche meinen Sie konkret?
Der Einsatz von Herdenschutzhunden in Kombination mit Behirtung oder Portionsweiden, wie es in der Schweiz gemacht wird. Dort werden die Hunde mit Futterautomaten versorgt, damit man nur alle paar Tage kontrollieren muss. In bestimmten Gebieten wird es auch allein mit Zäunen gehen.
In Südtirol wurden heuer frühzeitig Tiere von Almen geholt, um sie vor Wölfen zu schützen. Ein notwendiger Schritt?
Wie notwendig das dort war, kann ich nicht beurteilen. Es war aber sicher auch eine Prise Aktionismus dabei, um ein Zeichen zu setzen.
Von Bauernvertretern wurden „wolfsfreie“ Alpen gefordert. Wie realistisch ist das?
Das mag von deren Seiten ein legitimer Wunsch sein. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen werden sich aber nicht einfach ändern lassen. Den Bauern dies politisch vorzugaukeln ist nicht fair.
Gefährden die großen Raubtiere die Zukunft unserer Almwirtschaft?
Mit Horrorszenarien Weltuntergangsstimmung heraufzubeschwören, hilft uns nicht weiter. Es sind ja nicht die paar Wölfe alleine, die verhindern, dass Almen künftig bestoßen werden. Die Almwirtschaft steht ja auch wirtschaftlich unter Druck.
Sollen einzelne Tiere abgeschossen werden?
Das ist jetzt schon möglich. Die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie sieht Ausnahmebestimmungen vor, um besonders problematische Individuen zu entfernen. Allerdings nur mit sehr guter Begründung. Die Gefährdung von Almtieren allein reicht dafür nicht.
Sind Wölfe auch schon illegal verschwunden?
In allen Ländern, wo es Wölfe gibt, ist das ein Thema. Warum soll das in Österreich anders sein? Manche Politiker sprechen ja davon, dass es nur eine Jagdkarte brauche… Konkrete Daten und Fakten dazu gibt es aber keine. Wenn sich aber einzelne Tiere, etwa Bären, über Jahre in einem Gebiet aufhalten und dann plötzlich verschwinden, kann man sich schon fragen, was wohl mit ihnen passiert ist?
Wie sehr spielt der böse Wolf im Märchen eine Rolle?
Ich denke keine große Rolle mehr. Die Gesellschaft begrüßt die Rückkehr des Wolfes. Dass dieser gefährlich sein kann, steckt aber tief in uns Menschen drinnen.
Vor wenigen Wochen wurde in Griechenland angeblich eine Frau von Wölfen getötet. Ist das auch bei uns denkbar?
Denkbar ist vieles. Unbestritten ist, dass Wölfe nicht immer und überall ungefährlich sind. In Indien gibt es jedes Jahr Opfer von Wölfen. Beim Fall in Griechenland wurde bei der Überprüfung aber vieles nicht ausgeschöpft, weshalb nicht klar ist, ob wilde Hunde oder Wölfe die Frau getötet haben. Dort hat es immer wieder Todesfälle durch Hunde gegeben. Wenn Wölfe auffällig werden, entwickelt sich das langsam. Dass ein Rudel plötzlich aus dem Blauen heraus angreift, spricht gegen jede Erfahrung. Deswegen muss man wachsam sein, wie sich die einzelnen Tiere entwickeln.
Lässt sich die Streitdebatte über die Rückkehr von Canis lupus noch versachlichen?
Dazu müssen wir den Herdenschutz anpacken. Die Kosten dafür kann man aber nicht auf den einzelnen Bauern abwälzen. Dafür muss es Unterstützung geben. Nicht nur finanziell, sondern auch beim Know-how und bei den Strukturen. Auch das geht nicht von heute auf morgen. In Österreich haben keine Hirten und keine Hütehunde. Es macht aber keinen Sinn, sich prinzipiell gegen Herdenschutz zu verwehren. Wölfe werden weiter zu uns kommen und die Rechtslage wird nicht einfach zu ändern sein.
Interview: STEFAN NIMMERVOLL
www.vetmeduni.ac.at/fiwi/dienstleistungen/koordinierungsstelle-fuer-den-braunbaeren-luchs-und-wolf/
Zur Person
Dr. Georg Rauer vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde der Vetmeduni Wien ist „Bärenanwalt und Wolfsbeauftragter“ der „Koordinierungsstelle für den Braunbären, Luchs und Wolf“ der Bundesländer, dem Umweltministerium, den Landesjagdverbänden sowie dem WWF.