Ukraine-Beitritt braucht seine Zeit
Die Landwirtschaft befindet sich vor den Wahlen zum EU-Parlament in vielen europäischen Ländern im Aufruhr. STEFAN NIMMERVOLL hat mit dem Südtiroler Abgeordneten HERBERT DORFMANN über aktuellen Themen gesprochen.
Europaweit sind in den letzten Wochen Landwirte auf die Straße gegangen, um für bessere Bedingungen zu demonstrieren. Haben Sie Verständnis für die Proteste?
Ja, zum größten Teil schon. In den unterschiedlichen Mitgliedsstaaten gibt es unterschiedliche Schwerpunkte bei den Protesten. Der gemeinsame Nenner ist das schwindende Einkommen. In den letzten Jahren sind die Agrarpreise stabil geblieben, die Kosten aber gestiegen. Dass die Bauern sich da aufregen, ist richtig. Wofür ich weniger Verständnis habe, ist, wenn man gegen Umverteilungen protestiert, wie das in Italien der Fall ist. Diese habe ich mit beschlossen und dafür stehe ich mit ein. Wir schieben Geld von den größeren Betrieben zu den kleineren, von den Gunstlagen zu den schwierigeren Lagen. Es hat in Italien eine totale Bevorzugung der Betriebe in der Po-Ebene gegeben. Die Leute stehen jetzt auf der Straße und kritisieren das. Ich habe wenig Verständnis dafür, dass jene, die über Jahre eine bevorzugte Behandlung gehabt haben, protestieren. Zudem werden die Proteste in Teilen von extrem rechten Parteien genutzt, um Europa-Wahlkampf zu machen. Da sollten sich die Bauern nicht vereinnahmen lassen.
Fürchten Sie, dass sich die Stimmung auch auf das Wahlergebnis ihrer Europäischen Volkspartei bei der EU-Wahl auswirken wird?
Die Europäische Volkspartei und ihre Mitgliedsparteien in den Mitgliedsstaaten waren immer und sind die politische Heimat vieler Bauern. Wir haben in den vergangenen Monaten dafür gesorgt, dass einige Auswüchse des Green Deals zurechtgebogen wurden und wir haben auch die politische Stärke dazu. Jene links von uns haben diese Vorschläge verteidigt und jene rechts von uns haben nicht die politischen Mehrheiten im Europäischen Parlament etwas zu bewegen.
Als Reaktion auf die Proteste wurden einige Zielsetzungen des Green Deals ziemlich aufgeweicht.
Die Europäische Kommission hat die Verordnung zur Reduktion der Pflanzenschutzmittel zurückgenommen, nachdem sie gesehen hat, dass es keine parlamentarische Mehrheit mehr dafür gibt. Auch dem Wiederherstellungsgesetz der Natur haben wir den Zahn gezogen. Im Parlament werden wir außerdem das Signal geben, dass wir die Bedenken bei der Bürokratie verstanden haben. Wir werden alles tun, damit die Vorschläge zur Vereinfachung der Konditionalität in der ersten Säule, die die Kommission gemacht hat noch in dieser Amtszeit verabschiedet werden.
Ist die Farm to Fork-Strategie damit tot?
Ich war selber Berichterstatter für die Farm to Fork-Strategie im Parlament und war sehr skeptisch. Ich glaube immer noch, dass sie keine gute Strategie ist. Damit will ich aber nicht sagen, dass Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft kein wichtiges Thema ist. Teile der Strategie muss man aber überdenken. Sie sollte tatsächlich vom Hof bis zum Teller reichen und nicht wie jetzt vom Hof bis zum Hoftor. Eines der ganz großen Probleme ist, dass die Landwirtschaft in der gesamten Wertschöpfungskette an Einfluss verliert und nur mehr lächerliche Teile des Produktpreises an sie gehen. Die Kommission ist überhaupt nicht bereit, dieses Problem anzugehen. Wenn man den Bauern dauernd Geld wegnimmt und fordert, dass sie mehr leisten, wird das nicht funktionieren.
Noch immer herrscht keine Wettbewerbsgleichheit in der EU. Österreichische Puten werden zum Beispiel ganz anders produziert als italienische. Kann der Binnenmarkt unter solchen Vorzeichen funktionieren?
Das ist ein schwieriger Drahtseilakt: Einerseits fordern die Staaten zunehmend mehr eigenen Spielraum, wie es bei den nationalen Strategieplänen bei der GAP schon der Fall war. Wenn das Gestalten allerdings in einem anderem Mitgliedsstaat zum eigenen Nachteil geschieht, ist man plötzlich wieder bei mehr Europa. Man kann nicht auf der einen Seite mehr Spielraum fordern und den Spielraum dann kritisieren.
Braucht es mehr Außenschutz gegenüber Drittstaaten für Produkte, die nicht europäischen Standards entsprechen?
Wir müssen zunehmend Standards festlegen, die auch für Importwaren gelten. Meine Fraktion, die Europäische Volkspartei, hat sich zum Beispiel dafür ausgesprochen, dass wir die Käfighaltung auslaufen lassen, wenn wir garantiert bekommen, dass dann Eier, die importiert werden, unter den gleichen Voraussetzungen produziert werden. Es ist eine Scheinheiligkeit, wenn wir die Käfige bei uns abbauen und jenseits der Grenze irgendwo wieder aufstellen. Das ist weder im Sinne des Tierwohls noch im Sinne der Bauern.
Wie soll man mit den Getreideimporten aus der Ukraine umgehen?
Wir haben eine Mehrheit für einen Abänderungsantrag im Abkommen über Zollfreiheit mit der Ukraine gefunden, dass es auch im Getreidebereich, wie bei Geflügel und Eiern, eine Überwachung der Importmengen geben soll. Wenn es nun neue Regelungen bei einigen Getreidearten, wie Mais geben wird, dann ist das Verdienst des Parlaments. Das ist auch im Sinne der Ukraine. Sie tut sich nichts Gutes, wenn sie versucht nur europäische Märkte zu erschließen und traditionelle Weltmärkte, die sie immer gehabt hat, vernachlässigt. Wir müssen aber auch sehen, dass wir Produkte aus der Ukraine dringend brauchen. Wir haben 2022 leidvoll erlebt, was es für die Futtermittelpreise bedeutet, wenn Importe aus der Ukraine nicht zur Verfügung stehen. Wir brauchen einen kontrollierten Markt mit der Ukraine, nicht, so wie manche sagen, keine Importe mehr aus der Ukraine.
Wie stehen Sie zu einem EU-Beitritt der Ukraine? Kann die Gemeinsame Agrarpolitik einen derartigen Agrarriesen verkraften?
Da muss man die Zeiträume sehen. Ein Beitritt der Ukraine wird nicht morgen oder übermorgen passieren. Die derzeitige Agrarpolitik ist auf eine landwirtschaftliche Struktur wie in der Ukraine nicht anwendbar. Eine totale Öffnung der Märkte ergibt keinen Sinn. Wir müssen die Ukraine langsam heranführen und sie dazu bringen, Produkte herzustellen, die wir in Europa wirklich brauchen. Ich denke zum Beispiel an Eiweißpflanzen. Wir importieren derzeit 90 Prozent des Sojas, den wir in der EU brauchen, zum größten Teil aus Südamerika. Es wäre eine Chance, wenn wir in Zukunft mehr aus der Ukraine bekommen könnten. Wenn die Ukraine irgendwann in den nächsten zehn Jahren Mitglied wird, brauchen wir längere Einschleifzeiträume, wie bei der letzten EU-Osterweiterung mit der Arbeiterfreizügigkeit. Man muss gut aufpassen, dass es nicht zu Schocksituationen am Markt im restlichen Europa kommt. Sonst wächst der Widerstand gegen eine eventuelle Mitgliedschaft der Ukraine.
Ein anderes großes Thema in den alpinen Regionen ist der Wolf. Was ist da zu erwarten?
Ich hoffe, dass wir die Abstufung des Schutzstatus in der Berner Konvention noch in dieser Amtszeit auf den Weg bekommen. Es bleiben uns noch zwei Monate. Sie wäre dringend notwendig, weil der Wolf keinen strengen Schutz mehr braucht. Die nationalen und lokalen Behörden brauchen mehr Flexibilität beim Management der Bestände.
Kann Europa etwas von Österreichs Landwirtschaft lernen?
Sie ist in vielen Dingen der Südtiroler Landwirtschaft sehr ähnlich. Was man lernen kann, ist, dass die von Familien geführten Betriebe am Ende ein Erfolgsmodell sind. Der Generationenwechsel ist eines der größten Themen überhaupt in der europäischen Landwirtschaft. Strukturen, die an und für sich benachteiligt sind, werden viel öfters in die nächste Generation geführt, als solche in Gebieten, wo man meinen würde, dass es viel einfacher wäre. Von Österreich kann auch die starke Betonung des ländlichen Raumes lernen. Wir sehen das in Italien: Da ist Südtirol die gelobte Ausnahme. Der restliche ländliche Raum ist im alpinen Gebiet und im Apennin weitgehend zusammengebrochen. Dann bricht die Landwirtschaft auch weg. Österreich ist sicher ein Vorzeigeland, in dem immer viel Geld dafür eingesetzt wurde.
Herbert Dorfmann (55) stammt aus Feldthurns in Südtirol und war dort von 2005 bis 2009 Bürgermeister. Er war Lehrer an der Landwirtschaftsschule in Auer, Leiter der Abteilung für Landwirtschaft in der Handelskammer in Bozen und Direktor des Südtiroler Bauernbundes. Seit 2009 ist er für die Südtiroler Volkspartei, SVP, Mitglied des Europäischen Parlaments.