„Wenn es der Kunde wünscht, muss man danach handeln.“
Rinderzüchter-Obmann STEFAN LINDNER im BLICK INS LAND-Interview über Türkei-Exporte, neue Zucht-Paramater, den Aufreger „glyphosatfreie Milch“ und die Zukunft der Anbindehaltung.
BLICK INS LAND: Die bilateralen Beziehungen zwischen der Türkei und Österreich sind derzeit nicht die besten. Die Türkei ist der wichtigste Exportmarkt für heimisches Zuchtvieh. Fürchten Sie sich vor Recep Tayyip Erdogan?
Lindner: Nein. Unsere Beziehungen zur Türkei sind sehr gut, die Zusammenarbeit funktioniert. Dass die politischen Rahmenbedingungen so sind wie sie sind, brauche ich nicht zu kommentieren.
Was wäre, wenn Österreich keine Zuchtrinder mehr in die Türkei exportieren könnte?
Wir hatten im ersten Halbjahr 2017 eine Exportquote von 52 Prozent in die Türkei, dies ist für uns jener Markt mit den aktuell besten Preisen. Das Land hat ein enormes Potential, zählt 14 Millionen Rinder, in Österreich haben wir knapp zwei Millionen. Und von Ankara wird die Zweinutzungsstrategie mit der Rasse Fleckvieh politisch vorgegeben. Wir arbeiten deshalb an Kooperation und einem Know-how-Transfer. So werden wir erstmals österreichische Stiere in eine türkische Besamungsstation stellen.
Ist Österreich da so stark?
Unsere Stärke liegt in der Qualität der Genetik. Unsere Tiere kommen oft aus dem Berggebiet, sind Weide gewohnt und etwas widerstandsfähiger. Bei den Preisen der Deutschen können wir dagegen nicht mithalten.
Von einem deutschen TV-Sender wurden erneut Missstände rund um Tiertransporte und bei Rinderschlachtungen aufgedeckt. Ist es legitim, Tiere in arabische Länder zu verkaufen, wo man nicht weiß, ob sie dort auch gut behandelt werden?
Österreichs Zuchtrinder sind sehr wertvoll, weshalb auch beim Transport mit diesen sensibler umgegangen wird. Auch ich als Bauer werde zornig, wenn ich solche Bilder sehe. Klar ist: Die gesetzlichen Standards müssen eingehalten werden. Da gibt es nichts zu beschönigen. Auch wir überlegen, wie diese besser kontrolliert werden können. Auch unsere Züchter wollen wissen, wohin ihre Tiere kommen und wie es ihnen dort geht. Jene Betriebe in der Türkei oder Algerien, die wir persönlich besucht haben, sind in Ordnung. Und gerade habe ich ein Video von Tieren aus der Steiermark gesehen, die sehr wohlbehalten in Katar angekommen sind.
Es heißt, dass die Bauern im arabischen Raum nicht adäquat mit europäischen Rindern umgehen könnten…
Unsere Tiere sind nicht so hochgezüchtet wie amerikanische, kanadische oder holländische Rinder. Die Fleckviehkuh kann gut damit umgehen, wenn sie nicht total ausgefüttert wird. Dann produziert sie etwas weniger, hat aber keine großen Probleme. Wir waren in Kars in der Osttürkei, einer entlegenen Bergregion mit Hochplateaus. Die lokalen Rassen geben dort gerade einmal acht bis zehn Liter Milch pro Tag. Nun sind die Bauern dort total happy, wenn sie dank unserer Genetik 20 Liter Milch produzieren können. Die Städte, die dort heute gebaut werden, sind unseren durchaus ähnlich. Auch das Know-how der Rinderhalter wird zunehmend besser.
Wie steht es generell um das typische Zuchtrind in Österreich?
Ganz zufrieden darf man nie sein, sonst gehen einem die Ziele aus. Wir wollen bei der Langlebigkeit, der Fitness und bei den Gesundheitsmerkmalen besser werden. Je besser es den Viechern geht, umso leistungsbereiter sind sie. 2018 starten wir das Projekt „FoKUHs“, bei dem wir uns 40.000 Kühe genotypisieren, um die Faktoren Gesundheit und Fitness verstärkt in die Zuchtwertschätzung einzubringen. Bekommt eine Kuh derzeit im Schnitt vier Kälber, soll so irgendwann ein fünftes erreicht werden.
Die Milchleistung der Kühe zählt für viele aber nach wie als wichtigster Wert…
Sie ist ja auch wichtig, steht aber nicht alleine im Fokus. Leistung und Gesundheit schließen sich ja nicht aus. Das ist ähnlich wie beim Menschen: Wer einen Marathon laufen will, muss grundsätzlich fit sein.
Wie stark soll sich die Milchleistung beim Fleckvieh noch steigern?
Sie soll und wird sich immer wieder ein bisschen erhöhen, aber in einem vernünftigen Maß. Außerdem gibt es in Österreich verschiedene Regionen mit sehr unterschiedlichen Futtergrundlagen. Auf einem Tiroler Betrieb mit Almwirtschaft sind die Ziele anders als im Raum Amstetten.
Die ZAR arbeitet im Rinderdatenverbund stark mit deutschen Verbänden zusammen. Wie sehr macht es Sinn, sich mit großen Kuhbetrieben in Schleswig-Holstein zu messen?
Da geht es mehr um die Software und die Datenverwaltung, aber auch um die Werkzeuge, die der Bauer am Hof hat. Im Verbund halten wir die Kosten in einer vertretbaren Höhe. Ob ich eine App für 20 oder für 100 Kühe nütze, ist egal. Wären wir nicht so breit aufgestellt, könnten ein Bauer mit 20 Kühen die Datenbank vielleicht gar nicht nutzen.
Wie steht es um die Entwicklung der Kontrollbetriebe? Zufrieden?
Für den einzelnen Landwirt ist es wichtig, dass er möglichst viele Daten hat – als Fundament für Entscheidungen in der Betriebswirtschaft, aber auch für die Tiergesundheit. Und wir müssen so gut sein, dass unsere Betriebe wirklich einen Nutzen daraus ziehen können. Daher müssen wir die Daten mit Melksystemen und Brunsterkennungssystemen immer enger vernetzen. Allerdings müssen die Daten den Betrieben und nicht einem Konzern gehören.
Kurz zum Stichwort „genomische Zuchtwertschätzung“. Wird die Rinderzucht nicht zu sehr „wissenschaftlich“?
Unser Credo ist es, dass die Zucht weiterhin in bäuerlicher Hand bleibt. Dazu sind alle technischen Möglichkeiten, die ethisch vertretbar sind, als Werkzeug nötig. Deshalb kommen wir auch um die genomische Zuchtwertschätzung nicht herum. Eine echte Herausforderung wird sein, die vielen vorhandenen Werte einfach und verständlich zum Züchter zu transportieren.
Wird ein kleiner Milchbetrieb, der nebenher ein paar Zuchtrinder verkauft, künftig überhaupt noch mithalten können?
Unser System mit den Beratern der Zuchtverbände vor Ort sichert uns die kleinen Einheiten. Wir müssen aber weiterhin konkurrenzfähige Genetik bereitstellen. Deshalb müssen wir Wissenschaft, Forschung und Vermarktung in einer starken Dachorganisation bündeln. Die Zucht darf nicht im Labor passieren, wie es einige Konzerne bei neuen Züchtungsmethoden gerne hätten.
Für Biobetriebe solle es künftig einen eigenen Zuchtwert geben. Warum eigentlich?
Mit Dezember steht uns erstmals der ökologische Zuchtwert zur Verfügung. Der kann für die gezielte Stierauswahl extensiver oder reiner Biobetriebe wertvoll sein. Deren Gesundheits- und Fitnessmerkmale werden dabei noch stärker, Leistungsmerkmale nur sehr schwach gewichtet sein.
Welche Bedeutung hat der Milchmarkt auf die Rinderzucht?
Ein guter Milchpreis ist ein wesentlicher Faktor, weil er meistens den größten Teil des Betriebseinkommens darstellt. Zucht passiert stark über Selektion. Wenn die Bauern wirtschaftlich Erfolg haben, steigt die Bereitschaft dafür.
Sie sind auch Obmann der Tirol Milch. Diese, mittlerweile in der Berglandmilch, war einst Vorreiter bei der GVO-freien Fütterung. Kommt jetzt auch die „glyphosatfreie Milch“?
Unser Weg war es immer, höhere Standards zu haben. Nun haben wir in der Berglandmilch als erste Molkerei neben anderen die Entscheidung getroffen, dass auf den Wiesen und Äckern unserer Lieferanten kein Glyphosat mehr verwendet werden darf.
Gab es denn Rückstände von Glyphosat im Futter?
Nein, jedenfalls keine, die über den strengen Grenzwerten lagen. Die Futtermittel werden ja stichprobenartig überprüft. Das Thema Glyphosat ist aber ein sehr emotionales. Auch die Milchwirtschaft muss sich Gedanken über die Erwartungshaltung der Konsumenten machen. Wenn diese sehr klar ist, muss man danach handeln.
Als Konsequenz daraus muss auch Kraftfutter ohne Glyphosat hergestellt werden, oder nicht?
Wir haben unsere Absage an Glyphosat vorerst auf unsere eigenen Äcker und Wiesen beschränkt. Die gentechnikfreie Fütterung, der wir uns verpflichtet haben, schließt ja schon jetzt mit „Round Up-ready“ behandeltes GVO-Soja aus. Auch das Verbot von Palmfett im Milchaustauscher war ein solch klarer Schritt.
Als nächsten Schritt braucht es also ein „Glyphosatfrei“-Zertifikat vom Mischfutterwerk…?
Wir können nur einen Schritt nach dem anderen machen. Die Richtung haben wir vorgegeben.
Emotionell geführt wird auch die Diskussion rund um die Anbindehaltung. Ein Auslaufmodell?
Es gibt zwar intakte Systeme mit Anbindehaltung und Auslauf, die momentan noch ihre Berechtigung haben. Auch hier muss sich jeder, der demnächst investieren will, klar damit auseinandersetzen, was die Erwartungen der Konsumenten sind. Zur Kombinationshaltung habe ich aber eine ganz klare Meinung: Sie wird nicht das System der Zukunft sein.
Wie lange wird man die Anbindehaltung noch verteidigen können?
Jene Betriebe, die erst einigen Jahren in solche Systeme investiert haben, muss man vernünftige Übergangsfristen einräumen. Die Strategie muss aber sein, dass es Neuinvestition in Stallformen mit Anbindehaltung nicht mehr geben kann.
Wie groß ist die Gefahr, dass Handelsketten einfach sagen: „Milch aus Anbindehaltung verkaufen wir nicht mehr“?
Es gibt jetzt schon Milchsorten mit höheren Auflagen, für Kunden, die das nicht wollen. Für die Milchlieferanten von Standard-Produkten muss es für die nächsten Jahre Planungssicherheit geben. Das erwarte ich mir von der Agrarpolitik.
Gutes Stichwort! Ihr Wunsch an die neue Bundesregierung? Soll wieder eine Mutterkuhprämie kommen?
Es muss nicht überall eine Milchkuh stehen. Um aber alle Regionen flächendeckend zu bewirtschaften, braucht es eine Lösung für die extensive Haltung von Mutterkühen und Kalbinnen. Wie auch immer sie aussieht.
Interview: STEFAN NIMMERVOLL
Zur Person
Stefan Lindner, „Schörgerer“-Bauer aus Oberndorf/Tirol, ist seit März 2016 Obmann der Zentralen Arbeitsgemeinschaft der Rinderzüchter und Obmann der Tirol Milch.