Foto: Jürgen Pistracher

Tierärzte: Lieber Miau statt Muh

In Österreich fehlen nicht nur viele Landärzte. Auch bei der veterinärmedizinischen Versorgung droht ein Engpass, für Tierarztpraxen in abgelegenen Regionen finden sich kaum noch Nachfolger. STEFAN NIMMERVOLL hat sich umgehört.
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Es ist drei Uhr früh. Die Geburt gestaltet sich schwierig. Das Kalb will und will nicht kommen. Die Kuh brüllt, die Bauersleute sind nervös. Doch Hilfe ist im Anmarsch. Denn von weitem nähern sich zwei Scheinwerfer. Trotz nachtschlafener Zeit kommt der Herr Doktor rechtzeitig zum Hof und hilft mit seiner ärztlichen Kunst. Bald sind Kuh und Kalb gerettet. Noch ein schneller Kaffee – dann geht es für die zufriedenen Bauern weiter zum Melken und der Tierarzt ist schon unterwegs in die Praxis. So oder so ähnlich laufen veterinärmedizinische Notfälle heute hundertfach auf den heimischen Höfen ab: Ein kurzes Telefonat reicht, und ein Tierarzt eilt herbei.

Ob das, was heute so selbstverständlich scheint, auch in Zukunft so reibungslos funktionieren wird, ist aber alles andere als sicher. In manchen Gegenden gebe es bereits Versorgungslücken, berichtet der Präsident des Bauernbunds, Georg Strasser, von Gesprächen mit besorgten Tierhaltern: „Diese betreffen vor allem Bauernhöfe in entlegenen Gebieten. Dort ist es nicht mehr einfach, am Wochenende oder in der Nacht schnell einen Tierarzt zum Hof zu bekommen.“ Alleine in Tirol werden in den nächsten zehn Jahren 40 Tierärzte in Pension gehen, schlug die Landesregierung jüngst Alarm. Nicht selten fehlen die Nachfolger: Viele junge Verterinäruni-Absolventen sperren lieber eine Kleintierpraxis in Stadtnähe auf als sich mit Nachtschichten auf Viehbetrieben in abgeschiedenen Tälern herumzuschlagen. Das Land Tirol hat daher eine Machbarkeitsstudie für einen Studienlehrgang für Veterinärmedizin am Standort der Höheren Bundeslehr- und Forschungsanstalt für Landwirtschaft und Ernährung in Kematen beauftragt. Rund 25 angehende Tierärzte aus dem Westen Österreichs sollen ab 2021 jährlich diese „Alpen VetMed“ absolvieren. „Wenn die alten Haudegen aufhören, bekommen wir ein Problem“, analysiert der Obmann der Rinderzucht Austria, ZAR, Stefan Lindner, trocken. Solche „Einzelkämpfer“, die es als moralische Verpflichtung sehen, Tag und Nacht erreichbar zu sein, gebe es in der nächsten Generation nicht mehr. So mancher langgediente Kollege praktiziere auch weit jenseits der 65 noch, weil sonst kein Tierarzt mehr im Einzugsgebiet verfügbar wäre, bestätigt auch der Präsident der Tierärztekammer, Kurt Frühwirth:„Wiederkäuerpraktiker zu sein, war frühere in Lebensmodell. Heute muss die Work-Life-Balance stimmen. Eine geregelte Arbeitszeit ist wichtiger geworden.“ Ähnlich wie bei der Humanmedizin gehe es also darum, moderne, innovative Arbeitsmodelle, etwa in Gemeinschaftspraxen, zu entwickeln.

Vor allem für junge Tierärztinnen ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein wesentlicher Faktor. Immerhin sind mittlerweile vier von fünf Studenten der Vetmeduni Vienna Frauen, wie Kritiker des dortigen Aufnahmeverfahrens durchaus skeptisch anmerken. Deren Rektorin Petra Winter, die früher selbst als Nutztierpraktikerin aktiv war, hält es allerdings für eine veraltete Ansicht, dass Frauen keine Karriere als Großvieh-Tierärztin anstreben würden: „40 Prozent der Studierenden im achten Semester geben grundsätzlich an, regelmäßig mit Nutztieren arbeiten zu wollen. Die entsprechenden Lehrgänge sind immer ausgebucht.“ Zurzeit sei die Anzahl der Absolventen für die Aufrechterhaltung der tierärztlichen Versorgung in ganz Österreich also ausreichend, um auch die Pensionierungswelle abzufangen. „Eine Herausforderung ist es aber, diese zum richtigen Zeitpunkt an den richtigen Ort zu bringen.“ Daher habe man gemeinsam mit der Tierärztekammer und dem Gesundheitsministerium eine Studie in Auftrag gegeben, die klären soll, in welchen Regionen und in welchen Bereichen der veterinärmedizinischen Versorgung Handlungsbedarf besteht. „Die VetMed hat die Sicherung der veterinärmedizinischen Versorgung in ganz Österreich als strategisches Ziel in ihrem Entwicklungsplan 2025 formuliert“, so Winter.

Ein nicht zu vernachlässigender Faktor für die Motivation, eine Großtierpraxis zu übernehmen, ist jedenfalls das Einkommen. Kurt Frühwirth hält fest, dass die Wirtschaftlichkeit bei der Betreuung von größeren Beständenbesser sei. In Regionen mit kleinen Betrieben und weiten Distanzen zu Höfen und Almen ist es also auch finanziell weniger attraktiv, sich als Tierarzt niederzulassen. Für Hund und Katz, aber auch fürs Familienpferd, geben deren Besitzer bereitwillig mehr Geld aus. Den finanziellen Druck, den der Markt den Landwirten auferlegt, spüren auch die Tierärzte ganz klar. Wer kann, spart durch Eigenbestandsbesamung und bei der Klauenpflege. Medikamente dürfen Mitglieder des Tiergesundheitsdiensts zum Teil selbst verabreichen. Diese Einkommenskomponenten fehlen den Veterinären dann aber. Umso wichtiger sei es, dass Bereitschaftsdienste endlich in der Höhe abgegolten werden, wie sie honoriert werden sollten, fordert die Tierärztekammer.

ZAR-Obmann Stefan Lindner sieht das Bild des Veterinärmediziners generell im Wandel: „Ein guter Tierarzt ist ein Herdenmanager, der die Gesundheit der Tiere gemeinsam mit dem Bauern im Griff hat.“ Natürlich werde es immer Akutfälle geben. „Wenn eine Kuhmitten in der Nacht ein Problem hat, bedeutet das aber sowohl für die Familie des Landwirts als auch für die Familie des Tierarztes Stress.“ Es gelte daher, solche Notfälle durch gute Prävention möglichst hintan zu halten. Darüber hinaus regt Lindner auch die Ausbildung von „Rindergesundheitsprofis“ an, die in strukturschwachen Regionen Aufgaben von Tierärzten übernehmen undso die Basisversorgung sicherstellen könnten. „Dann muss nicht für jede Behandlung ein Tierarzt zwei Stunden lang auf eine Almfahren.“