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Offener BB-Brief wegen „doppelt kassieren“

Sehr geehrter Herr Grimm!
Ihren in der heutigen Ausgabe der „Presse“ erschienen Artikel haben Sie mit dem Titel „Wie Landwirte in der EU für Tun und Nichtstun doppelt kassieren“ versehen. Darin geht es um die Nutzungsfreigabe von Bracheflächen in Österreich und in der EU, um auf den Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine zu reagieren.
Ihre Darstellung, diese Maßnahmen wären gesetzt worden, damit die Bäuerinnen und Bauern in Österreich und in der EU „Doppelt kassieren fürs Tun und fürs Nichtstun“, weisen wir entschieden zurück. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine führte sofort die massiven Auswirkungen auf die weltweite Versorgunglage ebenso wie die europäische Abhängigkeit von Agrar-Importen deutlich vor Augen. Ein Maßnahmenpaket der EU-Kommission sollte einerseits die Ernährungssicherheit sicherstellen und gleichzeitig den Teuerungen entgegenwirken. Das wurde u.a. von Österreich beim EU-Agrarministerrat im März 2022 vehement gefordert.

Ein starkes Europa muss gerade in fordernden Zeiten fähig sein, sich selbst mit Lebens- und Futtermitteln zu versorgen. Zudem war es auch notwendig, sofortige Maßnahmen zu setzen, da man am Beginn der Anbausaison stand, was die Grundlage für die Ernte des Jahres darstellt. Ziel war die (zumindest teilweise) Kompensation der Ernteausfälle in der Ukraine. Die agrarische Situation in der Ukraine nach den ersten Wochen des Krieges stellte sich wie folgt dar:
• Schnell zeigten sich die massiven Auswirkungen des Krieges auf die Ernährungssicherheit weltweit.
• Der größte ukrainische Seehafen in Odessa war gesperrt – es konnte über diesen Weg kein Getreide mehr exportiert werden.
• Viele bäuerliche Betriebe konnten auch nicht anbauen, weil Betriebsmittel, Maschinen und Arbeitskräfte fehlen oder Flächen sowie Infrastruktur zerstört oder besetzt sind.
• Russische Streitkräfte griffen gezielt Agrarinfrastruktur an, um die Produktion zu verunmöglichen.
• Bereits im März wurden Ernteausfälle bis zu 60 Prozent der ukrainischen Produktion erwartet.

Primär war und ist nicht Europa betroffen, sondern die weltweite Versorgung der Menschen mit Lebensmitteln. Der Produktionsrückgang in der Ukraine führte zu enormen Verwerfungen und gefährdete v.a. die Ernährungssicherheit in Nord-Afrika, aber auch im Nahen Osten. Ein Großteil des von der FAO (Ernährungs-und Landwirtschaftsorganisation der UN) eingesetzten Getreides kommt aus der Ukraine. Diese Ausfälle mussten kompensiert werden.
Das besagt auch der Welthunger-Index 2022 der FAO: Dieser zeigt eine weltweit dramatische Hungersituation auf: Die Welt steht vor einem schweren Rückschlag bei den Bemühungen den Hunger zu beenden, wesentliche Hungertreiber sind Konflikte, Klimakrise und die wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Pandemie.

Es sei außerdem davon auszugehen, dass sich die Situation angesichts der sich überlappenden globalen Krisen noch weiter verschlechtern wird. Die weltweiten Getreidespeicherstände sind indessen im Sinken begriffen, ein Trend, der sich nach neuesten Prognosen fortsetzen wird. Aus diesen Gründen wurde die politische Entscheidung getroffen, dass der Ernährungsauftrag in Krisenzeiten essenziell und prioritär zu behandeln ist. Somit bekommen die Bäuerinnen und Bauern keine Prämie für das „Nichtstun“, sondern für die Produktion von Nahrungs- und Futtermitteln.

Mit freundlichen Grüßen

Georg Strasser, David Süß