Naturschutz auf dem Millimeterpapier
Der Nationalpark Hohe Tauern galt lange als Musterbeispiel für die Einbindung von Bauern in den Naturschutz. Mittlerweile (ver)zweifeln die Bauern in Salzburg aber an den Abläufen. STEFAN NIMMERVOLL hat alle Seiten angehört.
„Zeitgemäße Bewirtschaftung.“ Das ist der Begriff, an dem sich die Geister scheiden. Auf ihn pocht Georg Altenberger, Ammertalbauer in Mittersill und Obmann der Schutzgemeinschaft der Grundbesitzer im Nationalpark Hohe Tauern, beim Treffen mit BLICK INS LAND. Er konnte 1984 im Salzburger Nationalparkgesetz festgeschrieben werden und hat die Stimmung innerhalb der Bauernschaft letztendlich gedreht. „Die nachhaltige Bewirtschaftung war damit gleichrangig mit dem Schutz der Naturlandschaft“, erzählt Altenberger, der heute über 70 ist und schon bei den kontroversiellen Diskussionen an der Wiege des Parks dabei war. Daran, dass die Pinzgauer Bauern für die ambitionierte Idee gestimmt haben, hat Altenberger maßgeblich Anteil. „Wir glaubten absichern zu können, dass eine Weiterentwicklung der Landwirtschaft möglich ist.“ Denn immerhin liegen mit die besten Melkalmen des Bundeslandes im Nationalpark.
Eine davon betreibt Otmar Huber vom Schüttgut in Rauris. Er ist frustriert: „Heute hebeln die europäischen Vorgaben von Natura 2000 und der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie das Landesgesetz aus. Plötzlich wird über unsere Köpfe hinweg entschieden, was noch erlaubt ist.“ Tatsache ist zudem: Österreich hat mit der Ratifizierung der Aarhus-Konvention zusätzlich zu den in den Bundesländern installierten Umweltanwaltschaften auch gelisteten Umweltschutzorganisation weitreichende Einspruchsrechte bei Genehmigungsverfahren in Natura 2000-Gebieten eingeräumt. Und als Salzburg von der EU aufgefordert wurde, einen gewissen Anteil der Landesfläche dafür zu benennen, wurde der Nationalpark Hohe Tauern ausgewählt, weil er ohnehin schon unter Schutz stand. Heute verzögert genau diese Parteienstellung von NGOs, wie jene der Landesumweltanwaltschaft LUA, die Bewilligung von Maßnahmen, die notwendig sind, um die Bewirtschaftung aufrecht zu erhalten, beklagen die Bauern. „Die Forderungen der Naturschützer werden immer radikaler. Anscheinend will man, dass die Flächen verwildern“, so Huber.
Gishild Schaufler von der Salzburger Landesumweltanwaltschaft, die als Formalpartei die Interessen des Umweltschutzes in Verwaltungsverfahren vertritt, bestätigt, dass es manchmal dauern kann, bis Entscheidungen über eine Naturverträglichkeit getroffen werden. „Wenn ein Antrag im Herbst gestellt wird und es einen Lokalaugenschein braucht, muss man warten, bis es am Berg wieder aper ist und die Lebensräume und ihre Vegetation beurteilt werden können.“ Richtig sei auch, dass die LUA vier Wochen Zeit habe, um Genehmigungen der Behörde zu beeinspruchen. (NGOs werden sogar sechs Wochen ab deren Veröffentlichung eingeräumt.) Erfolgt ein Einspruch, kommt es zur Überprüfung durch das Verwaltungsgericht, „Wir sind aber nicht gegen alles, wie gerne behauptet wird. Von 800 Verfahren pro Jahr im gesamten Bundesland Salzburg nehmen wir an 400 teil. Nur bei durchschnittlich 11 sind wir zum Verwaltungsgericht gegangen und bei zwei in die Revision.“ 97 Prozent der Anträge seien von der Behörde bewilligt, zwei Prozent wegen fehlender Unterlagen zurückgewiesen und nur ein Prozent abgelehnt worden.
Oft gehe es im Nationalpark um Hubschrauberflüge zur Versorgung der Hütten oder zur Bringung von Zirben, die aufgrund der gestiegenen Nachfrage nach dem als gesund beworbenen Holz rentabel geworden ist. „Dabei handelt es sich um einen massiven Eingriff, weil viele Rotationen nötig sind, durch die es zur Störung von Wildtieren kommt. Deshalb haben wir uns gegen Genehmigungen für mehrere Jahre im Voraus gestellt, weil nicht vorhersehbar ist, wo die geschützten Vögel in der jeweiligen Saison der kommenden sieben Jahre brüten werden.“ Anders ist es bei der Wiederherstellung nach Katastrophen. Hier wird ohne Verfahren unverzüglich gehandelt um die Flächen wieder bewirtschaften zu können. „Leider sehen wir aber, dass die Fließgewässer dabei immer weiter begradigt und die Ufer befestigt werden. Die Almflächen rücken damit näher an die Bäche heran“, kritisiert Schaufler.
Besonders heiß ist das Thema, weil die EU-Kommission im Sommer 2023 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich eingeleitet hat, weil es nichts gegen die Verschlechterung der natürlichen Lebensräume im Nationalpark Hohe Tauern unternehme und die FFH- und die Vogelschutz-Richtlinie nicht richtig umsetze. Die Politik ist also im Zugzwang und muss wohl den Schraubstock für die Almbauern noch weiter zuziehen. Salzburgs Agrarlandesrat Josef Schwaiger sieht dabei vor allem darin ein Problem, dass die Rechtsprechung die Richtlinien stetig strenger auslegt. „Nichtdestotrotz nehmen wir die Kritik der EU ernst und erarbeiten Managementpläne zur Nutzung von Forst- und Almwirtschaft.“ Welche Erschwernisse diese für die Almbauern bringen werden, ist noch in Schwebe. „Mir ist jedenfalls die Handlungsfähigkeit der Grundeigentümer wichtig“, so Schwaiger, „denn rechtliche Rahmenbedingungen können, wenn sie auf dem Millimeterpapier umgesetzt werden, zu hohem Unfrieden führen.“
Georg Altenberger pocht auf eine Weiterentwicklung der Methoden, um eben jene „zeitgemäße Bewirtschaftung“ zu ermöglichen, die man sich vor Jahrzehnten ausbedungen hat. Dazu gehört für den Obmann der Schutzgemeinschaft eine entsprechende Infrastruktur, wie zum Beispiel die innere Erschließung der Almen. „Wenn man eineinhalb Stunden zu Fuß braucht und alles hinauftragen muss, um einen Zaun zu reparieren, wird das in Zukunft niemand mehr machen wollen.“ Es gelte, den Verlust von zwei Fahrspuren gegen die Aufgabe einer gesamten Alm abzuwägen, ergänzt Otmar Huber. „Man gerät sofort in Verdacht, zu intensivieren, wenn man etwas anpassen will“. Zu bedenken sei auch, dass, Untersuchungen der Versuchsanstalt Raumberg-Gumpenstein zufolge, aufgrund des Klimawandels je nach Höhenlage um 20 bis 40 Prozent mehr Biomasse heranwachse. Das sei per se für die Wirtschaftskraft der Nationalparkalmen gut, entwickle sich aber zu einem schleichenden Problem. „Der Vegetationsdruck nimmt vor allem in niederen Lagen zu. Sie drohen zuzuwachsen, weil die Großvieheinheiten beschränkt sind.“
Die LUA will sich nicht den Schwarzen Peter zuschieben lassen und unterstreicht, dass es nicht darum gehe, was sie sich wünsche, sondern was das Gesetz schütze. „Es gibt Regelungen, die nicht nur das Land Salzburg, sondern auch die EU macht“, präzisiert Gishild Schaufler. Allzu oft müsse der Naturschutz als Sündenbock für fehlgeleitete Entwicklungen in der Gesellschaft und Landwirtschaft herhalten, so die Umweltanwältin. Der Rationalisierungsdruck mache auch vor dem Nationalpark nicht halt; Steine und Felsen herauszunehmen und Almen durch Wege zu erschließen, sei aus Sicht der Bauern, die unter immensem Wettbewerbsdruck stehen, nachvollziehbar. „Man will alles maschinentauglich herrichten. Früher wurde zudem im Kreislauf gewirtschaftet.“ Jetzt werde mit Kraftfutter zugefüttert und damit Energie von außen zugeführt. Dadurch entstehe mehr Gülle, die wieder ausgebracht werden müsse. So werde auch der Eintrag von Stickstoff mehr. „Die ,zeitgemäße Bewirtschaftung´, auf die sich die Landwirtschaft beruft, entwickelt sich immer weiter zur einfacheren Bearbeitung und höheren Produktivität. Das wirkt sich aber negativ auf die Naturräume aus.“