Foto: HV Winkler

Ignoranz, die schmerzt

Der Vorstandsvorsitzende der Österreichischen Hagelversicherung, KURT WEINBERGER, ist ein Mahner für den Erhalt der Böden. STEFAN NIMMERVOLL hat ihn gefragt, warum er sich dieser Aufgabe mit derartig viel Herzblut widmet.

Wie ist das Schadensjahr bisher gelaufen?

Wir haben das wärmste Jahr, seit es Aufzeichnungen gibt, also seit 1766, hinter uns und hatten es mit einer massiven Dürreschadenswelle zu tun. Der Gesamtschaden in der Landwirtschaft liegt heuer bei 250 Mio. Euro. Davon betreffen 170 Mio. Euro alleine Dürre. Das zeigt, dass sich die Anfälligkeit der Landwirtschaft auf Wetterextreme erhöht. Heute wird schon fast regelmäßig mehr als die Hälfte der Entschädigung für Dürre und Frost geleistet.

Inwieweit sind die Bauern selbst in der Verantwortung, ihre Wirtschaftsweise so anzupassen, dass gar kein Schaden für die Österreichische Hagelversicherung auftritt?

Das Phänomen Dürre kannten wir bisher nur aus Südeuropa. Heute haben wir das alle drei bis vier Jahre auch in Österreich. Wo es möglich ist, muss bewässert werden. Und wir sehen, dass die Landwirte mit der Fruchtfolge reagieren. Südlich von Wien wird kaum noch Mais angebaut.

Sind Sie für eine Pflichtversicherung bei gewissen Gefahren?

Das System der Versicherung in der Landwirtschaft, wo sich Bund und Länder mit einem Prämienzuschuss für die Bauern von je 27,5 Prozent beteiligen, ist international anerkannt. Damit wird Risikomanagement für den Bauern und für den Staat kalkulierbar. Letzterer braucht im Schadensfall keine Akutzahlungen mehr leisten.  Der Landwirt ist auch kein Bittsteller mehr bei der Politik, weil es eine vertragliche Vereinbarung gibt.

Bei steigenden Schäden und Risiken werden Versicherungen üblicherweise teurer. Wie werden sich die Prämien der Hagelversicherung in Zukunft entwickeln?

Da sehe ich vor allem beim Risiko Dürre eine Herausforderung. Unser Ziel ist es, über Österreich hinaus auch in anderen Ländern tätig zu sein, um einen besseren Risikoausgleich zu schaffen. Zwei Drittel unserer versicherten Flächen sind heute schon in Osteuropa, in Tschechien, der Slowakei, Ungarn, Rumänien und in Slowenien. In Österreich hatten wir heuer ein schlechtes Ergebnis, konnten aber aufgrund unseres Engagements im Osten positiv abschließen.

Sehen Sie ein Szenario, in dem die Versicherungsbranche nicht mehr in der Lage ist, die Auswirkungen von Ereignissen abzudecken?

Ja, wegen des Risikos Dürre haben wir kleinere Rückversicherer bereits verloren. Wenn wir einmal gar keinen Rückversicherer mehr bekommen, werden wir uns die Frage der Versicherbarkeit stellen müssen. Das wird allerdings abhängig von der globalen Entwicklung der Dürreschäden sein. Wenn diese Schadensfälle explodieren, wird der Moment kommen, wo die Rückversicherer nicht mehr bereit sind, dieses großflächige Risiko in Deckung zu nehmen.

Ein wichtiges Thema für Sie ist die Versorgungssicherheit. Wie ist Österreich da aufgestellt?

Wir sind jetzt schon sehr verletzbar, weil wir in vielen Bereichen keinen hundertprozentigen Selbstversorgungsgrad haben, zum Beispiel bei Getreide, bei Erdäpfeln, bei Obst- und Gemüse. Beim Futtermittel Soja liegen wir nur bei 30 Prozent. Dass Österreich Selbstversorger bei heimischen Nahrungsmitteln ist, das ist ein Märchen. Durch die rasante Verbauung haben wir diese Situation mitverschuldet.

Aber am Binnenmarkt und global sind solche Produkte doch verfügbar.

In einer Krise wird jeder Nationalstaat schauen, dass er seine eigene Bevölkerung ausreichend mit heimischen Lebensmitteln versorgen kann. Da ist jedem das Hemd näher als der Rock.

Sie treten öffentlich stark gegen den Bodenverbrauch auf. Warum?

Ich trete nicht gegen etwas auf, sondern ich trete für den Erhalt unserer Böden ein. Wir haben in Österreich in den letzten 20 Jahren 130.000 Hektar beste Böden durch Verbauung zerstört. 72.000 Hektar davon waren Äcker. Alleine damit können wir laut WIFO um 480.000 Menschen jährlich weniger ernähren. Das ist ein hausgemachtes Problem. Wir haben zu wenig Respekt vor der Lebensgrundlage Boden. Wenn wir so weitermachen wie in den letzten 20 Jahren, dann gibt es hochgerechnet in 200 Jahren keine Agrarflächen mehr. Das dürfen wir nicht zulassen.

Österreich ist aber weit vom 2,5-Hektar-Flächenverbrauchssziel bis 2030 entfernt.

Im Regierungsprogramm steht, dass statt aktuell 11,5 Hektar täglich nur mehr 2,5 Hektar verbaut werden sollen. Die Raumordnung funktioniert aber nicht. Sie ist in Wahrheit eine Raumunordnung, das zeigen uns aktuelle, aus den Medien bekannte, verantwortungslose Beispiele. Boden ist vielfach zu einem Spekulationsobjekt verkommen.

Was müsste die Politik machen, um der Verbauung Einhalt zu gebieten?

Sehr vieles. Zum Beispiel: Das jetzige System der Raumordnung mit der Genehmigungspflicht der Länder durch weisungsgebundene Beamte der Landesregierung funktioniert nicht. Da braucht es ein weisungsfreies Gremium. Und heute wird jene Gemeinde belohnt, die mehr Grund durch Verbauung zerstört. Die Grundsteuer B und die Kommunalsteuer steuern ganz klar falsch. Die Kommunalsteuer sollte vom Bund eingehoben werden und im Wege des Finanzausgleichs zurückgegeben werden. Gemeinden, die bodenschonend agieren, bekommen mehr zurück als jene, die grob fahrlässig die Böden zerstören.

Und bei den Leerständen?

Wir haben in Österreich 400 Millionen Quadratmeter leerstehende Immobilen. Da braucht es eine Abgabe, um einen sanften Druck auf die Eigentümer auszuüben, diese Gebäude zu revitalisieren oder zu veräußern. Aus den Einnahmen daraus könnte man auch Sanierungen fördern. Eine weitere Maßnahme ist eine Zweitwohnsitzabgabe.

Erkennen Sie die nötige Ernsthaftigkeit der Politik bei dieser Problematik?

In einer Handvoll Erde sind so viele Lebewesen wie Menschen auf der Erde. Diesen naturwissenschaftlichen Zugang gibt es vielfach nicht mehr. Das bedaure ich sehr. Die besten Agrarflächen müssen unter einen absoluten Verbauungsstopp gestellt werden. Und wir müssen unser Wirtschaftsdenken – je mehr Beton, desto besser – hinterfragen. Das ist ein Denken von vorgestern. Dazu müssen wir den Wohlstand einer Gesellschaft nicht nur am Bruttoinlandsprodukt, sondern auch am Natur- und Humankapital messen. Wie geht es der Natur und den Menschen bei dieser Form des Wirtschaftens?

Wieso befassen Sie sich als Versicherer so intensiv mit diesem Thema?

Aus wirtschaftlichen, aber auch aus gesellschaftspolitischen Gründen. Wir versichern über Hagel hinaus auch beispielsweise das Risiko Überschwemmung. Wenn Flächen rundherum versiegelt sind, erleiden die angrenzenden Agrarflächen massive Schäden. Dazu kommt meine unmittelbare Wahrnehmung aus meiner ehemaligen Heimatgemeinde Edt bei Lambach. Dort hat man beste Böden mitten am Land für einen großen Speditionsbetrieb geopfert. Die Folge dieser damaligen falschen Raumordnungsentscheidung war, dass die Gemeinde eine Umfahrung gebraucht hat, die 180 Mio. Euro gekostet hat. Heute ist diese Gegend dort für Mensch und Natur für immer tot.

Auch in Niederösterreich und der Steiermark drohen Bauern für Umfahrungsprojekte enteignet zu werden. Fehlt da die Lobby?

Ich halte es für notwendig, beim Straßenbau die Stopptaste zu drücken. Mehr Straßen bedeutet mehr Verkehr. Dieser Straßenbauwahn ist ein altes Denken. Wir haben in Österreich eines der dichtesten Straßennetze Europas, nämlich 15 Meter Straßenlänge pro Kopf, während man in Deutschland 8 Meter hat.

Österreich ist auch das Land der Supermärkte. Hat man verschlafen, bei der Struktur der Handelsketten regulierend einzugreifen? 

Ja. Wir haben die höchste Anzahl an Supermärkten pro Kopf in ganz Europa. Die Raumordnung hat hier völlig versagt. Die Konsequenz ist, dass wir um 15 Prozent höhere Lebensmittelpreise als in Deutschland haben. Da wir in den Supermärkten alle Gewerbe zugelassen haben, haben wir auch ein Bäcker-, Fleischer- und Gasthaussterben. Wenn das Möbelhaus ein Schnitzel um drei Euro anbietet, muss der Gastronomiebetrieb im Ort zusperren.

Das sind klare Worte. Sehen sie sich als so etwas wie das soziale Gewissen der Agrarbranche?

Ich sehe mich als „Anwalt“ für den Boden, weil ich die vielen dramatischen Konsequenzen der brutalen Zerstörung sehe. Das Verständnis für den Erhalt der Böden habe ich wahrscheinlich auch dadurch, dass ich unseren landwirtschaftlichen Familienbetrieb lange selbst mitbewirtschaftet habe. Die Politik schwärmt vielfach vom Industrieland Österreich und vergisst, dass wir auch Agrarland bleiben müssen. Diese Ignoranz schmerzt.

 Die Hagelversicherung ist tief im System der agrarischen Vertretung verankert. Bekommen Sie manchmal Anrufe aus dem ÖVP-Umfeld, wenn Sie ihre Standpunkte so offensiv vertreten?

Ich bekomme viel positives Feedback. Meine Rolle ist allerdings von der Parteipolitik völlig losgelöst. Ich versuche nach dem Maßstab größtmöglicher Objektivität aufzuzeigen, dass wir hier eine völlige Fehlentwicklung haben. Das ist wegen der Zunahme der Schäden meine kaufmännische Sorgfaltspflicht als Vorstandsvorsitzender der Hagelversicherung. Als Manager und als Vater von drei Kindern habe ich aber auch eine gesellschaftspolitische Verantwortung zum Wohle zukünftiger Generationen.