GMEINER MEINT

Foto: Daniela Koeppl

Eigenlob an den Grenzen zur Schwurbelei

Seit der Corona-Krise hat die heimische Landwirtschaft einen neuen Werbeschlager. „Auf uns Bauern kann man sich verlassen, wir liefern auch in Krisenzeiten“, tönt es seither von allen Seiten. Und die Agrarpolitiker und Standesvertreter werden nicht müde, von der hohen Selbstversorgung zu schwärmen.
Mit Verlaub – das alles grenzt an, um bei einem Wort aus der Corona-Krise zu bleiben, Schwurbelei. Österreichs Versorgung ist vor allem gesichert, weil die internationalen Lieferketten allen Problemen zum Trotz im Großen und Ganzen funktionieren. Und mit der Selbstversorgung schaut es alles andere als so gut aus, wie das der Bevölkerung gerne glauben gemacht wird. Davon sind wir meilenweit entfernt, außer wir wollen uns Tag für Tag mit Milch und Rindfleisch vollstopfen, die mit Selbstversorgungsgraden von 177 und 145 Prozent tatsächlich erstaunen.
In praktisch allen anderen Bereichen hingegen schaut es zuweilen sehr mau aus. Bei Schweinefleisch kommt man gerade nicht über die 100-Prozent-Marke, bei Geflügelfleisch ist man mit 77 Prozent weit entfernt von einer gesicherten Eigenversorgung. Mit einem Selbstversorgungsgrad von 94 Prozent bei Käse und gar nur 73 Prozent bei Butter ist man selbst in zwei gerne hoch gehaltenen Produktionssparten auf Importe angewiesen. Und da ist noch gar nicht die Rede von Getreide, Pflanzenölen, Eiern, Gemüse, Kartoffeln und Obst.
Klar ist zu berücksichtigen, dass nicht alles in Österreich wächst und auch Märkte und Preise eine große Rolle spielen. Aber die teilweise beachtliche Importabhängigkeit hat noch eine Seite, über die man gar nicht gerne redet – von der Abhängigkeit von Genetik und Zuchtmaterial aus dem Ausland ist in der tierischen Produktion genauso wenig die Rede wie von den Sojaimporten aus Übersee für die Fütterung. Auch nicht von den Pflanzenschutzmitteln und schon gar nicht davon, dass die größte heimische Düngerproduktion ans Ausland verkauft wurde. Und gar nicht zu reden von der Abhängigkeit von Energie­importen wie Treibstoffen und Gas, ohne die auch in der Landwirtschaft nicht viel laufen
würde.
Um nicht missverstanden zu werden – es ist nicht schlecht, wie wir in Österreich in Sachen Selbstversorgung dastehen, und man kann auch stolz drauf sein. Aber man sollte die Kirche im Dorf lassen. So gülden ist die Situation nicht. Darum sollte man sich mit diesem Thema ernsthaft auseinandersetzen und mit Hochdruck daran arbeiten, die heimische Landwirtschaft tatsächlich resilient, also widerstandsfähig und möglichst unabhängig von internationalen Entwicklungen, zu machen. Dass neuerdings gerne Verbote von Pflanzenschutzmitteln mit der Gefährdung der Versorgungssicherheit in Verbindung gebracht werden, ist nachvollziehbar, aber, mit Verlaub, zu wenig.
Das alles fügt sich freilich in ein seit Jahrzehnten bekanntes Verhaltensmuster der Landwirtschaft. Man lobt sich gerne selbst bis an die Grenzen des Selbstbetrugs, statt der Wahrheit ins Gesicht zu schauen und mit nachhaltigen Strategien zu reagieren, die den Namen wirklich verdienen – und den Bauern wirklich weiterhelfen.