Ein Lottogewinn, den keiner will
Nach der großen Borkenkäferkatastrophe steht in Osttirol noch viel Arbeit an. STEFAN NIMMERVOLL hat den Leiter der Bezirksforstinspektion, ERICH GOLLMITZER, getroffen.
Wie ist der Zwischenstand bei der Aufarbeitung der Schäden?
Wir haben in den vergangenen Jahren unglaubliche Mengen an Holz aus dem Wald gebracht. Vom Auftreten der ersten Schäden durch den Windwurf 2018 bis zum heutigen Tag waren das rund vier Millionen Kubikmeter. Nur 2024 sind es bis dato 410.000 Festmeter gewesen. 380.000 davon sind Käferholz. Ein normaler, nachhaltiger Einschlag wären rund 230.000 m³. Wir haben ganz stark den Fokus auf jene Bestände gelegt, die aufgrund einer direkten Objektschutzwirkung abgeräumt werden müssen, das heißt dass diese eine Gefährdung für Siedlungen oder Verkehrswege darstellen oder eine Waldbrandgefahr mit sich bringen. Von allen anderen „dürren Bäumen“, sogenannten „Dürrständern“, die irgendwo entlegen in den Tälern stehen, werden große Mengen stehen bleiben.
Wie schaut es heuer mit dem Neubefall aus?
Das heurige Jahr war für uns ein günstiges, weil der Waldboden immer gut mit Wasser versorgt war. Demzufolge haben sich jene Bestände, die halbwegs vital sind, besser gegen den Käfer wehren können. Wir haben in Osttirol eine Zweiteilung: Im Lienzer Talboden, wo wir tendenziell jüngere Bestände und eine bessere Durchmischung haben, merken wir, dass sich der Weiterbefall rapide verlangsamt hat. Allerdings im Defreggental, Villgratental und dem Tiroler Gailtal wo wir die massiv überalterten Bestände mit Bäumen mit einem Bestandesalter von 250 Jahren plus haben, ist diese Tendenz leider nicht bemerkbar. Der Käfer wütet dort weiter. Wir werden große Flächen nicht halten können.
Wie gelingt es, einen derartig großen Bedarf an Forstdienstleistern gleichzeitig aufzustellen?
Mit Learning by Doing. Die Mengen können schon lange nicht mehr von Osttiroler Unternehmern gebracht werden. Seit dem Beginn der Ereignisse haben wir uns ein Netz über den gesamten Alpenraum aufgebaut. Wir sind als verlässliche Partner bekannt. Dies hängt auch unmittelbar mit dem „Tiroler Gemeindewaldaufsehersystem“ zusammen. Die Unternehmen kommen von weit her. Sie erbringen mittlerweile auch andere Dienstleistungen als die Holzbringung. Wir müssen auch die Folgearbeiten wie die Aufforstung vergeben, weil wir dafür keine heimischen Arbeiter mehr zur Verfügung haben.
Wie gut haben die Waldbesitzer kooperiert? Mussten Eigentümer zur Beseitigung des Schadholzes gezwungen werden?
Zu Beginn des Borkenkäferbefalles hat man die Mechanismen des Forstgesetzes in Kraft gesetzt. Als man aber gesehen hat, dass es eine Massenvermehrung ungeahnten Ausmaßes wird und der Waldbesitzer nicht einmal mehr theoretisch in der Lage war, das zu bewältigen, hat man die Zwangsbescheide ausgesetzt. In der Coronazeit war es mit den wiederholten Lockdowns einfach nicht mehr möglich, ausreichend Unternehmen bereitzustellen. Heute arbeiten die Waldbesitzer im Bezirk gut mit, allerdings in sehr unterschiedlicher Intensität. Im Talboden geht einiges, in den Tälern hat die Landwirtschaft sehr oft Vorrang. Die Fenster für die Holznutzung waren da oft sehr knapp, weil wir Wege, zum Beispiel wegen der Almnutzung, nicht sperren konnten.
Wie hat der Markt das Aufkommen von gewaltigen Mengen an Schadholz verkraftet?
Er ist sehr dynamisch und reagiert mit krassen Preiseinbrüchen. Die Nachfragemuster sind sehr unterschiedlich. Es hat eine Zeit gegeben, da war das Energieholz unverkäuflich. Dann gab es mit dem Beginn des Ukraine-Krieges Preisexplosionen bei allen Energieträgern. Da war die Nachfrage enorm. Jetzt ist schnittfähiges Frischholz sehr stark nachgefragt, das Energieholz muss aber wieder zwischengelagert werden.
Werden die gewaltigen Mengen von den großen Sägewerken im Bezirk übernommen?
Letztes Jahr haben wir gemeinsam eine Million Festmeter bewältigt. Das wäre ohne Abfrachtung nach Kärnten oder Salzburg nicht möglich gewesen.
Und wie sieht es langfristig aus?
Es ist zu befürchten, dass es nicht mehr möglich ist, die heimische Industrie ausreichend mit frischem Rundholz zu versorgen, wenn das Schadholz aufgearbeitet ist. Es wird eine Lücke geben, bis die jungen Bestände wieder aufgewachsen sind. Da müssen sich die Unternehmen auf anderen Märkten umsehen. Das geschieht bereits zum jetzigen Zeitpunkt.
Besteht die Gefahr, dass es aufgrund fehlender Schutzwälder zu Lawinen oder Hangrutschungen kommt?
Wir arbeiten mit der Wildbach- und Lawinenverbauung extrem eng zusammen. Es gelingt uns sehr gut, vor allem gegen Steinschlag und Lawinen Vorsorge zu treffen. Das können einfache Maßnahmen wie hohe Stöcke und Querbäume oder durchaus aufwändigere, wie verschiedene Netzsysteme sein. Größere Sorgen macht uns das Wasser. Gegen den Oberflächenabfluss sind die Möglichkeiten sehr beschränkt. Wir tun also alles, um den Waldboden schnell wieder in Bestand zu bringen. Was uns hilft, ist die rasche Freisetzung von Stickstoff. Dadurch bildet sich eine enorme Schlagvegetation. Diese verhindert, dass der gesamte Regen zu Boden kommt. Starkniederschläge sind aber nicht beherrschbar. Da können wir auch nicht ausschließen, dass auch in besiedelten Gebieten Rutschungen passieren.
Bis wann werden denn die Kahlschläge wieder aufgeforstet sein?
Unser Plan sieht Aufforstungszahlen vor, die es so in Österreich noch nie gegeben hat. Wir forsten alleine heuer 1,5 Millionen Pflanzen auf. Das gesamte Bundesland Kärnten im Vergleich dazu insgesamt nur 1,1 Millionen. Dabei priorisieren wir und forsten zum allergrößten Teil im Objektschutzwald auf. Jene Bereiche, die weniger schutzwirksam sind, lassen wir zurück. Unsere Vision ist, in zehn Jahren die Hälfte der Kahlflächen aufzuforsten. Die andere Hälfte soll die Natur selber bewalden.
Welche Bedeutung hat der Waldfonds dafür?
Ein riesengroße, weil er exakt jene Art der Aufforstung mit Mischbaumarten unterstützt, wie wir sie betreiben. Wenn man die Arbeit selber macht, verdient man ungefähr einen Euro pro Pflanze. Wenn man sie auslagern muss, ist die Förderung so gestaltet, dass die Pflanze und ein sehr guter Teil der Arbeit gezahlt sind.
Ob eine neue Regierung weiter Geld in den Wald pumpen wird, ist aber offen.
Wir in Osttirol würden eine weitere Verlängerung des Waldfonds und eine Aufstockung, wie von Minister Totschnig schon einmal umgesetzt, für die nächsten zehn Jahre dringend brauchen.
Lange Zeit hat es geheißen, dass der Borkenkäfer ein Problem der niedrigen Lagen in Nieder- und Oberösterreich ist. Kann sich irgendeine Region in Österreich in Sicherheit wiegen?
Keine, wenn so eine Kumulierung von statistisch höchst unwahrscheinlichen Ereignissen wie bei uns eintritt. Jahr Eins Windwurf, Jahr Zwei krasser Schneebruch, Jahr Drei noch einmal krasser Schneebruch: Dieses Zusammentreffen gibt eine Wahrscheinlichkeit von Eins zu achthundert Millionen. Das ist ziemlich genauso wie ein Lottogewinn. Bei diesem Zusammentreffen ist als Folge eine Borkenkäfermassenvermehrung unausweichlich.
Über die Osttiroler Schadenssituation ist weit nicht so intensiv berichtet worden wie über das Waldviertel. Gibt es Waldbauern erster und zweiter Klasse?
Nein. Osttirol ist lediglich relativ weit weg vom Zentralraum. Und im Waldviertel ist die Situation zum ersten Mal aufgetreten und so richtig sichtbar geworden. Ich bin durchaus froh, dass das nicht immer an die große Glocke gehängt wird. Denn von den entsprechenden Ministerien und Fachabteilungen wurde erkannt, dass es entsprechende Mittel braucht. Bei uns sind acht von zehn Bäumen im Schutzwald. Im Waldviertel ist es in erster Linie ein großer wirtschaftlicher Schaden, bei uns kommt noch die öffentliche Schutzfunktion dazu.
Als nächstes kommt auf die Entwaldungsverordnung auf die Forstwirtschaft zu. Hat sich Osttirol damit schon beschäftigt?
Was momentan da drinnen steht, wäre eine verwaltungstechnische Katastrophe. Einerseits ist bei uns für Mengen unter 50 Festmetern, auch bei Frischholz, keine Bewilligung vorgesehen. Jeder Bauer, der meint, heute passt es, kann in den Wald gehen und Kleinmengen schlägern. Andererseits benötigt man auch keine Bewilligung für die anfallenden Schadhölzer. Das Sägewerk wird aber in Zukunft eine so genannte Referenznummer verlangen. Die bekommt der Forstwirt dann, wenn er sich in eine EU-Datenbank einloggt und dort einen georeferenzierten Punkt auf seiner Parzelle setzt. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass unsere Waldbesitzer, die mit solchen Dingen wenig Erfahrung haben, vollinhaltlich damit zurechtkommen. Unsere Waldaufseher sind natürlich behilflich, Daten einzugeben. Der Umgang mit Kleinstmengen, die oft den Weg zum Gemeindewaldaufseher nicht finden, und gar nicht finden müssen ist aber ungewiss. Wir sind deshalb gerade dabei zu überprüfen, ob aus der in Tirol in Anwendung stehender Walddatenbank die Georeferenzierung und entsprechende Grunddaten exportiert werden können. Die Kommissionspräsidentin von der Leyen hat zudem in Aussicht gestellt die derzeit gültige Frist zu erstrecken. Dem Vernehmen nach geht es um die Verlängerung von einem Jahr.
Wird die Osttiroler Forstwirtschaft je wieder so werden, wie sie war?
Es wird besser, aber anders werden. Die jungen Bauern werden ihren Wald nie mehr so alt werden lassen, und das ist gut so. Wir werden einen krass erhöhten Mischwaldanteil haben. Ich bin mir sicher, dass in einigen Jahren die ersten Exkursionen zu uns kommen und sich anschauen werden, was wir gemeinsam geschaffen haben.
Erich Gollmitzer stammt aus Thurn in Osttirol und hat nach der Ausbildung an der Höheren Bundeslehranstalt für Forstwirtschaft in Bruck an der Mur 11 Jahre beim Amt der Tiroler Landesregierung – Gruppe Forst gearbeitet. Seit 2000 ist er in der Bezirkshauptmannschaft Lienz bei der Bezirksforstinspektion tätig. Seit 2020 ist er deren Leiter. Berufsbegleitend hat er in Innsbruck und Wien Wirtschaftsingenieurwesen und Betriebswirtschaft studiert.