Ein Kampf mit ungleichen Waffen
Einiges an Zündstoff enthält der Mitte März veröffentlichte Bericht des Fairness-Büros. Über 800-mal haben sich Produzenten über unlautere Handelspraktiken beim Verkauf von Agrar- oder Lebensmittelerzeugnissen beschwert. Vor allem der Lebensmitteleinzelhandel steht im Fokus.
„Die Zahl zeigt schwarz auf weiß, wie groß die Macht der Handelsketten gegenüber kleinen Produzenten ist“, wird Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig in einer Aussendung zitiert, „mehr als 100.000 bäuerliche Betriebe und Verarbeiter stehen einer Handvoll Handelsriesen gegenüber. Das ist ein Kampf mit ungleichen Waffen.“ Um ein Ausnutzen von Machtpositionen zu verhindern, müsse man kontinuierlich handeln. Denn viele Produzenten würden fürchten, ihren Regalplatz zu verlieren und sähen sich gezwungen, unfaire Bedingungen zu akzeptieren, weil ihnen Alternativen fehlen. „Konkret stehen zum Beispiel Fleischerbetriebe unter großem Druck. Ihnen werden trotz steigenden Personalkosten Preisanpassungen verwehrt“, heißt es. In einem dokumentierten Fall erhöhte eine Kette den Konsumentenpreis um 30 Prozent, während der Produzent gleichzeitig zwei Prozent weniger erhielt. „Darüber hinaus nutzen Handelsketten sinkende Rohstoffpreise, um ihre Einkaufspreise weiter zu drücken, was die Existenz von Klein- und Mittelbetrieben gefährdet“, analysiert das Fairness-Büro.
„Bisher wurde vieles als branchenüblich akzeptiert“, erklärt die stellvertretende Leiterin des Fairness-Büros, Doris Hold, „jetzt ist, auch dank unserer Schulungen, das Bewusstsein dafür gestiegen, dass man solche Fälle absolut vertraulich aufzeigen kann. Das Vertrauen und der Mut ins Fairness-Büro sind gewachsen.“ Wird ein Anliegen als berechtig erkannt, fahren die Mitarbeiter des Büros direkt zu den Betrieben, um mit den Betroffenen im gewohnten Umfeld vor Ort zu reden. Hold berichtet vom Fall einer jungen Familie, die aus dem Nichts einen kleinen Produktionsbetrieb aus dem Boden gestampft hat, weil ein Einzelhändler sie zu hohen Investition motiviert hat. Die abgerufenen Mengen waren aber sehr volatil, weswegen sich die Familie zusätzliche Abnehmer gesucht hat. „Seitens der Handelskette wurde das mit reduzierten Bestellungen bestraft, obwohl dem Einkäufer bewusst war, wie abhängig man davon ist“, so Hold. Die Familie wurde so an den Rand der psychischen und finanziellen Existenz gebracht.
Gehört hat man von immensem Druck durch den LEH lange nur hinter vorgehaltener Hand. Seit 2022 steht mit dem im Landwirtschaftsministerium angesiedelten Büro eine Anlaufstelle zur Verfügung. Veröffentlicht werden auch von diesem keine Namen, sondern nur Zahlen und besonders prägnante Beispiele. An konkreten Konzernen lassen sich die Vorgänge daher nicht festmachen. Zumindest bei REWE – mit Läden wie Billa, Billa Plus oder Penny – ist man sich keiner Schuld bewusst. „2024 hat mit uns kein einziges Gespräch stattgefunden, weil ein solches offensichtlich nicht erforderlich war“, meint der Geschäftsführer der Billa-Eigenmarke, Ja! Natürlich und Leiter des Qualitätsmanagements bei REWE Österreich, Andreas Steidl. Er verweist auf die starke Partnerschaft mit der österreichischen Landwirtschaft, etwa als einziger Einzelhändler, der Frischfleisch zu hundert Prozent aus Österreich beziehe. Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass man etwa Hühnerfilets international deutlich günstiger beziehen könnte. „Wir würden es auch als einen Akt der Fairness sehen, wenn dieser aktive Schritt über die sonst üblichen Handelspraktiken hinaus seitens der Landwirtschaftsvertreter mehr anerkannt werden würde“, gibt Steidl kontra.
In der Kritik steht auch die Eigenmarkenpolitik des LEHs. „Durch gezielt hohe Preisaufschläge auf Qualitäts-Markenprodukte entsteht ein massiver Wettbewerbsnachteil. Gleichzeitig werden ,No Names´, die oft in den eigenen Werken der Handelsketten hergestellt werden, künstlich günstig gehalten“, hält das Fairness-Büro fest. Dies untergrabe die Qualitäts-Markenprodukte. Eine Argumentation, der der Ja! Natürlich-Verantwortliche nicht folgen kann: „Es geht nicht darum, Markenartikel zurückzudrängen. Wir brauchen sowohl starke Herstellermarken mit klarem Profil für unser Sortiment, aber auch Eigenmarken für die verschiedenen Marktsegmente und Zielgruppen.“ Auch hier liege der Fokus klar auf Österreich. Generell müssten Einkaufsgespräche von Sachlichkeit geprägt sein, nicht von Emotionen. „Unsere Mitarbeiter sind entsprechend geschult und halten sich an die gesetzlichen Regeln und jene des Unternehmens. Sollte es dennoch Probleme geben, werden wir selbstverständlich gerne darüber reden.“ REWE habe die Einsetzung des Fairnessbüros begrüßt und stehe für eine konstruktive Zusammenarbeit jederzeit zur Verfügung.
Auch Doris Hold versteht sich als Befürworterin eines fairen und gut funktionierenden Wirtschaftsstandortes: „Wir geben daher nur Fälle an die Bundeswettbewerbsbehörde weiter, wo es keine Lösung gibt. Unsere Hauptaufgabe ist, zu vermitteln, nicht hohe Kartellstrafen zu erwirken.“ Die Einrichtung des Fairness-Büros habe bereits Wirkung gezeigt. „Das Bewusstsein der Handelsketten hat sich geschärft, das Verhalten stark verändert.“ Die Erkenntnisse werden laut Ministerium auch regelmäßig an die EU-Kommission weitergegeben, um das Ungleichgewicht zwischen Produzenten, Verarbeitern und Lebensmittelketten auch dort zu thematisierten. Agrarkommissar Christophe Hansen hat in seiner Vision für die Landwirtschaft und Ernährung bereits Maßnahmen gegen unfaire Handelspraktiken angekündigt. Bis Ende 2025 soll dafür die EU-Richtlinie über unfaire Handelspraktiken, UTP, einer umfassenden Evaluierung unterzogen werden. „Lücken müssen vor allem beim grenzüberschreitenden Handel geschlossen werden“, sagt der ÖVP-Europaparlamentsabgeordnete Alexander Bernhuber, „wir müssen den Mut haben, aufzuzeigen, wenn Druck ausgeübt wird. Institutionen wie das Fairnessbüro müssen dabei als Eckpfeiler unterstützt werden.“
www.fairness-buero.gv.at