Die Staumauer in der Salatschüssel
Das wildromantische Platzertal, hoch in den Ötztaler Alpen gelegen, erscheint unberührt. Bald könnte dort aber ein 120 Meter hoher Staudamm stehen. Die Bauern, die ihre Tiere dorthin auftreiben, rebellieren.
Die Pläne des Tiroler Energieversorgers TIWAG sind hochtrabend und sollen die Stromversorgung Tirols langfristig absichern: Das bestehende Kraftwerk im Kaunertal soll zu einer ganzen Kette samt Pumpspeicher im Platzertal ausgebaut werden. „Erneuerbare Energien wie Windkraft oder Photovoltaik unterliegen bekanntlich starken wetterbedingten Schwankungen“, erläutert das Unternehmen in einer Anfragebeantwortung die Notwendigkeit. Pumpspeicherkraftwerke seien hingegen regelbar. „Herrscht ein Überangebot an Strom im Netz, kann dieser dafür genutzt werden, Wasser aus einem tieferliegenden Speichersee in einen höheren zu pumpen.“ Bei Versorgungsengpässen wird auf Turbinenbetrieb geschaltet und schnell Strom erzeugt. Da sich die Tiroler Landesregierung verpflichtet hat, das Land bis 2050 unabhängig von fossilen Energieträgern zu machen, sei ein Ausbau unumgänglich.
Eine Prüfung von fünf Standorten im Umfeld des bestehenden Gepatsch-Speichers habe das im Eigentum der Bundesforste befindliche Platzertal als ideale Variante ergeben, so die TIWAG. Allerdings wird dieses bisher mit Rindern beweidet. Bis vor ein paar Jahren stand hier sogar noch die höchstgelegene Sennerei Österreichs, dann wurde auf Galtvieh umgestellt. Almobmann Elmar Greil ist strikt gegen die Zerstörung jenes Almparadieses, auf das er und 25 andere Bauern 150 Stück Rinder auftreiben. „Wir würden rund ein Drittel der Fläche verlieren, das Tal wird ruiniert“, sagt er.
Greil, im Hauptberuf Rauchfangkehrermeister in Pfunds, am Eingang des Kaunertals, hat sich die Entscheidung, gegen das Kraftwerk aufzutreten, nicht leicht gemacht. Immerhin bietet die TIWAG Ersatzweideflächen an. Mit Maßnahmen wie Schwenden und Entsteinen werde die Weidequalität erheblich verbessert, was den leichten Rückgang der Almflächen von 891 auf 801 Hektar mehrfach ausgleiche, argumentiert man dort. „Ich habe mir das angeschaut und bin auch nach Kühtai gefahren, wo ein ähnliches Projekt umgesetzt wurde“, so Greil. Sein Resümee: Man werde höchsten 70 Stück auftreiben können, ein Teil der Bauern wird auf andere Almen ausweichen müssen. „Deshalb habe ich in der Jahreshauptversammlung abstimmen lassen. Eine überwältigende Mehrheit der Auftreiber ist gegen den Stausee.“
Unterstützung erhaltene die Pfundser Bauern von Bezirksbauernkammerobmann Elmar Monz, der ebenfalls aus dem Oberen Gericht stammt. „Unsere Region trägt heute schon überproportional zur Bereitstellung von Wasserkraft für die TIWAG bei“, erklärt er. Monz ärgert, dass keine Gespräche mit den Weideberechtigten mehr geführt worden wären. „Das Projekt gibt es schon seit Jahrzehnten. Mittlerweile treibt aber eine ganz neue Generation auf die Alm auf. Der Betreiber müsste ordentliche Aufklärungsarbeit leisten.“ Letztlich werde es für die Bauern aber ohnehin schwierig sein, positive Aspekte aus der Megabaustelle zu ziehen. Es stehe außer Zweifel, dass man Energie brauche, um wirtschaftlich wettbewerbsfähig zu bleiben, räumt Monz ein. Bis in vielleicht zehn Jahren aber die erste Kilowattstunde aus dem Kraftwerk gewonnen werden kann, gibt es eventuell ganz andere Möglichkeiten, überschüssige Energie zu speichern. „Momentan ist klar, dass wir das so nicht wollen.“
Elmar Monz ist auch erster Bauernbund-Obmannstellverteter in Tirol. Chef ist dort Landeshauptmann-Stellvertreter Josef Geisler, der als Mitglieder der Landesregierung für das Projekt ein- und auftritt. „Die Erweiterung des Kraftwerks Kaunertal mit dem Speicher im Platzertal ist unerlässlich“, meint er. Er sieht die Täler in einer besonderen Verantwortung für den Klimaschutz und für die Energiewende. „Bauen wir den Speicher Platzertal nicht, brauchen wir rechnerisch in jeder Tiroler Gemeinde 20 Fußballfelder, um die Energie aus Sonne und auch Wind in Batterien zu speichern. Und um dieselbe Menge Energie zu erzeugen, müssten wir zudem sämtliche hochwertigen landwirtschaftlichen Flächen im Ötztal mit PV-Modulen zupflastern.“ Es sei sonnenklar, dass es für die durch den Speicher Platzertal in Anspruch genommenen Weideflächen einen vollwertigen Ersatz brauche. „Die TIWAG muss das Gespräch suchen und weitere Lösungen anbieten. Möglichkeiten gibt es. Auch bisher war die Nutzung der Wasserkraft im Kaunertal nicht zum Schaden der Landwirtschaft, der Bevölkerung und des Tourismus. So wird es auch bleiben“, so Geisler.
Ähnlich argumentiert der Energieversorger: „TIWAG ist es ein Anliegen, dass insbesondere die Platzeralm und das dortige alte Bergwerk nicht nur als für Mensch und Tier wertvolle Lebensräume, sondern auch als attraktive Ausflugsziele erhalten bleiben.“ Die Nutzung als Weideland könne auch nach Errichtung des Speichers fortgeführt werden. Dieser werde ja am Talende errichtet und lasse weite Teile des Tales unberührt.
Die Bürgerinitiative „einzigartiges Platzertal“, in der auch Elmar Greil und einige andere Bauern aktiv sind, traut diesem Frieden nicht. Sie möchte die Bevölkerung mit an Bord holen und über das Projekt abstimmen lassen. „Die Salatschüssel unserer Kühe wollen wir nicht zustauen“, hat Elmar Greil bereits einen eingängigen Slogan parat. Er ist davon überzeugt, dass die Ablehnung bei einer Abstimmung groß wäre. Rechtlich sei eine Volksbefragung zwar nicht bindend, aber der Gemeinderat sollte sich danach richten. „Andere sagen vielleicht, was wollen sie wegen den hundert Hektar. Für uns sind es aber die besten Futterflächen, die wir haben. Deshalb werden wir uns nicht beugen.“
https://www.tiwag.at/unternehmen/unsere-kraftwerke/ausbauvorhaben/ausbau-kaunertal/