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Den Charakter der Kuh nicht unterschätzen

Homöopathie Die neuen schönen Laufstallhaltungen haben, neben immensen Vorteilen für die Tiere und Arbeitserleichterung für die Landwirte, auch ganz neue Aspekte bei den Kühen zum Vorschein gebracht.

von Nicole Herout

Sie haben nun die Möglichkeit, ihren Charakter sehr deutlich zu zeigen. Dies kann sehr nett, aber auch problematisch, bis gefährlich sein.

Kühe sind grundsätzlich Herdentiere, die einer Leitkuh folgen. Dieses Herdengefüge muss sich natürlich auch bei der modernen Laufstallhaltung etablieren und kann da, je nach Charakter der Bewohnerinnen, besser oder schlechter funktionieren.

In der Homöopathie gibt es sogenannte „Konstitutionsmittel“, die im Idealfall die Gesamtheit eines Individuums, sowohl auf der körperlichen als auch auf der geistigen Ebene, abdecken. Das heißt, dass für gewisse Konstitutionsmittel bestimmte Verhaltensweisen typisch sind, dass aber auch bestimmte organische Schwachstellen damit verbunden sind.
Hier ein kleiner Auszug der verschiedenen konstitutionellen Typen, die man sehr schön unterscheiden kann:

Calcium carbonicum Schwere, ruhige Kuh; mäßige Leistung, sie geht gemächlich raus, lässt sich durch nichts aus der Ruhe bringen, bleibt beim ersten Grasbüschel stehen und bewegt sich keinen Meter mehr, auch wenn sie dadurch einen riesen Stau verursacht, weil niemand an ihr vorbei kann. Sie legt keinen Wert auf Streicheleinheiten. Sie erkältet sich leicht und hat, besonders wenn sie jung ist, eine schwache Immunabwehr.

Phosphor und Calcium. Phosphoricum Das sind feine, grazile Kühe, eher empfindlich und nervös. Sie kann nicht schnell genug draußen sein. Engstellen liebt sie gar nicht, da muss sie so schnell wie möglich durchrennen. Ansonsten hat sie wenig Zeit zum Fressen, muss sie doch immer gucken und findet sicher auch etwas, wovor sie sich fürchten kann! Diese grundsätzlich gutmütigen Tiere brauchen eine ruhige, einfühlsame Hand im Umgang. Da sie sehr leistungsbetont sind, sind sie auch schnell einmal überfordert, was sich in häufigen subklinischen Mastitisschüben oder Klauenerkrankungen äußern kann. Eine Stärkung des Leberstoffwechsels wirkt sich da sehr positiv aus.

Pulsatilla Sie ist die Schmusekatze im Stall. Da sie schüchtern ist, schaut sie, dass sie mit niemandem aneckt, in kein Gedränge kommt, lässt die anderen vorbei und geht dann an einen ruhigen Fleck fressen. Sieht sie aber ihre Bäuerin und hat Lust auf ein paar Streicheleinheiten, boxt sie auch schon mal die Kolleginnen weg, damit sie die Erste und möglichst auch Einzige ist, die gestreichelt wird. Diese hochsensible Kuh verzeiht keine Fütterungsfehler und reagiert darauf entweder mit Durchfällen oder Euterentzündungen. Wenn sie nach der 1. Geburt verstanden hat, was Mutter sein bedeutet, ist sie eine freundliche, langlebige, stabile Kuh.

Sepia Dies ist meist eine ältere Kuh, bei der das Gewebe schlaffer wird. Sie liebt es, draußen zu sein und springt mit den verrücktesten Bocksprüngen über die Wiese, sodass Bauch und Euter nur so hin und her schwappen. Die Geburten können schwierig werden, da sie oft schon zu schwache Wehen hat, um das Kalb aus der schlaffen Gebärmutter zu pressen. Oft werden diese Kühe schon viel zu früh abgeschafft, das homöopathische Mittel kann da durchaus lebensverlängernd wirken.

Lycopodium Das ist eines der häufigsten Konstitutionsmittel in den heutigen Milchvieh-Herden. Es sind absolute Hochleistungstiere, die sich aber sehr oft übernehmen. Vom Wesen sind sie eher feig und oft hinterlistig und grob. Sie stoßen oder schlagen gern, wenn man von ihnen weg geht. Da sie mit der Leistung nicht zurückgehen, wenn es ihnen nicht gut geht, haben sie oft schwerwiegende Probleme mit der Lebergesundheit. Hier sind vorbeugendes Handeln und eine optimale, leistungsgerechte Fütterung absolut unumgänglich.

Causticum Sie ist auch schon älter und kontrolliert alle, sodass ja niemand fehlt, die ganze ­Familie muss beisammen sein. Sie bekommt Riesenstress, wenn sie nicht mitten in ihrer Herde steht. Sie neigt zur Warzenbildung, macht Probleme mit stiller Brunst und braucht eine optimale Fütterung für optimale Leistung.

Natrium chloratum Diese Kuh kann im Laufstall Probleme bereiten. Sie ist eine Einzelgängerin, würdigt keine andere Kuh eines Blickes und verzieht sich in einen entfernten Winkel der Weide oder des Stalles, wo sie ihre Ruhe haben möchte.
Sie neigt zum Knochigwerden, lässt auch in der Milchleistung jährlich nach, und hat immer wieder verschiedene chronische Probleme. Wenn ihr Fell trocken und struppig wird, ist es Zeit, die Leber zu ­unterstützen.

Sulfur Das ist eine sehr schmutzige Kuh, die es in jedem Stall schafft, völlig verdreckt zu sein. Sie geht gerne raus, sucht gezielt eine ordentliche Drecklache oder eine schöne frische Kuh-Flade, legt sie sich dann rein und genießt das Bad in kalt und feucht. Bei Sulfur-Kühen kommt es häufig zu stinkenden oder eitrigen Prozessen, egal ob es sich um Durchfall, Abszesse, eitrige Mastitis oder Klauenprobleme handelt. Auch sie ist sehr empfindlich auf der Leber.

Aurum Diese Kuh will man eigentlich nicht im Laufstall haben, obwohl sie sehr gute Leistung bringt. Sie brüllt, rempelt, ist bullig und unhöflich, und der Bauer sollte immer einen Stock in der Hand haben, denn ihr fällt es schon mal ein, dass man den Bauern auch ordentlich stoßen könnte. Sie kann richtig gefährlich sein und wird oft nur wegen ihrer ausgezeichneten Leistung behalten.
Hat man das Glück, das ideal passende Konstitutionsmittel für eine Kuh zu finden, ist dies äußerst wertvoll, da damit einerseits gewisse Verhaltensauffälligkeiten geregelt bzw. abgeschwächt werden können, aber, und das ist wesentlich, im Krankheitsfall mit diesem Mittel der Kuh jedenfalls geholfen werden kann, egal welches Organ betroffen ist. Jede tierärtzliche Behandlung kann mit dem richtig gewählten homöopathischen Mittel unterstützt werden.

Ein Pulsatilla-Beispiel Vor einigen Jahren wurde ich zu einer Kuh mit rezidivierenden Klauengeschwüren gerufen. Als wir dann die Sohlengeschwüre am Klauenstand öffneten, kam, zu meiner Überraschung, nicht der erwartete schwarz stinkende Eiter zum Vorschein, sondern eine hellgelbe, cremige, geruchlose Masse. Nach Anlegen des Verbandes bat ich die Bäuerin, sie möge die Kuh zurück in den Stall bringen; das Bild werde ich nie vergessen: die Bäuerin legte den Arm um den Hals der Kuh und die beiden gingen langsam eng umschlungen über den ganzen Futtertisch bis ans andere Ende des Stalles. Zu meiner weiteren Überraschung bogen sie aber nicht nach rechts in den neu gebauten Laufstall ab, sondern nach links, wo die alten Anbindestände waren. Dort blieb die Kuh eine ganze Weile stehen, bis sie dann auf ihren Platz stieg, wo sie sich völlig problemlos anhängen ließ: Auf mein Warum? bekam ich folgende Antwort: „Ja, wir haben die Resi natürlich auch in den Laufstall übersiedelt, aber da war sie nur 3 Tage, sie hatte solche Angst vor den anderen, dass sie sich nie zum Futter getraut hat. Nun steht sie wieder auf ihrem alten Platz, da ist sie ganz zufrieden, nur dauert es immer ziemlich lang, bis sie sich traut, über den Kotgraben zu steigen – komisch, man sollte meinen, den kennt sie jetzt endlich nach 8 Jahren!“ Ich meine, eine viel schönere Beschreibung der Pulsatilla kann man kaum bekommen, und man sieht, wie stark sich das Konstitutionsmittel auch organisch auswirkt, denn für Pulsatilla ist es ganz auffällig, dass alle Sekrete gelb, rahmig und geruchlos sind, egal ob es ein Kälberdurchfall, ein Mastitissekret oder eben ein Klauengeschwür ist!

Da es einerseits oft durchaus schwierig ist, das richtige Konstitutionsmittel zu eruieren, andererseits aber bei sehr vielen Kühen die Leber ein besonders empfindliches und meist sehr überfordertes Organ ist, empfiehlt es sich, Hochleistungskühe in der Milchproduktion in der Trockenstehzeit und Anfangslaktation mit hochwertigen Leberkräutern zu unterstützen und so die ihnen typische Organschwäche abzufedern.

Dr. med. vet. Nicole Herout ist Fachtierärztin  für Homöopathie.