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Absicherung ist das halbe Leben

Die Preise für Düngemittel sind in den letzten Monaten geradezu explodiert. Viele Bauern haben deswegen noch nichts eingelagert. Oberösterreichs Pflanzenbaudirektor HELMUT FEITZLMAYR rät dringend, sich einen Teil des Bedarfs zu sichern.

Wie hoch ist der Vorbestellungsgrad von Dünger in Oberösterreich?

Der Einlagerungsgrad liegt aktuell bei 40 Prozent. Normalerweise sind um diese Jahreszeit im Handel schon 80 Prozent auf Lager. Wenn ein Landwirt momentan Dünger kaufen möchte, geht das aber gar nicht so einfach. Er kann sich auf eine Liste setzen lassen und warten, bis er ein Angebot bekommt und dann zuschlagen oder eben nicht.

Am Markt ist angeblich gar nicht mehr ausreichend Ware verfügbar. Werden all jene, die aktuell noch nichts bestellt haben, überhaupt noch ihren Bedarf decken können?

Viele Landwirte erinnern sich an das Jahr 2008. Damals sind die Preise nach dem Börsencrash zunächst massiv gestiegen. Bis zum Frühjahr haben sie wieder nachgegeben. Dann wurde bestellt. Diesmal ist es anders. Der Erdgaspreis hat sich gegenüber dem Vorjahr bis Anfang Oktober versiebenfacht. Seither ist er etwas gefallen, aber immer noch auf dem fünffachen Niveau. Viele Düngerkonzerne haben ihre Produktion heruntergefahren, weil sie unrentabel geworden ist. Wenn sich die Energiepreise nicht rasch ändern, wird sich die Situation bis in den Mai des kommenden Jahres ziehen. Das wäre zu spät für die Frühjahrsgaben. Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie eine Lieferung bis zum Saisonstart überhaupt noch logistisch bewältigbar ist, zumal ja auch Transportkapazitäten und LKW-Fahrer fehlen.

Was raten sie Landwirten, die bisher noch keine Käufe getätigt haben?

Wer bei Phosphor und Kali eine ausreichende Versorgung in den Böden hat, kann ein Jahr aussetzen. Beim Stickstoff sollte man die Hälfte bis zwei Drittel des Bedarfs für die kommende Saison unbedingt kaufen; auch um 670 Euro die Tonne. Gleichzeitig sollte man bei den aktuellen Getreidepreisen Vorkontrakte über die kommende Ernte abschließen. Bei 270 Euro pro Tonne für Mahlweizen der Ernte 2022 geht sich die Rechnung immer noch schön aus. Bei alledem ist aber wichtig, dass sich der Landwirt selbst aktiv mit den Märkten und ihren Entwicklungen beschäftigt. Die Welt, in der sich jemand anderer um all das kümmert, gibt es so nicht mehr.

Wichtige Herkunftsländer von Düngemitteln haben sogar schon Exportbeschränkungen für diese eingeführt.  An sich gibt es in Österreich ja leistungsfähige Stickstoffproduzenten. Sehen sie die Möglichkeiten einer Verpflichtung, jene Ware, die die heimische Landwirtschaft braucht, hier zu behalten?

Bei der Borealis In Linz wird derzeit auf Volllast produziert. Wenn es irgendwie darstellbar ist, hoffen wir darauf, dass größere Mengen in Österreich bleiben. Es ist den Firmen aber nicht zu verdenken, wenn sie als international tätige Konzerne attraktive Angebote aus dem Ausland annehmen.

Hat eventuell der Agrarhandel eine moralische Verpflichtung, für die Aufrechterhaltung der Versorgung zu sorgen, zumal er ja teilweise sogar genossenschaftlich organisiert ist?

Das hat er 2008 gemacht und hat bitter dafür bezahlt. Er wird kein zweites Mal mit einem überteuerten Einkauf groß in Vorlage gehen und anschließend auf einer massiven Abwertung sitzen bleiben wollen.

Steigt angesichts der Verhältnisse auch der Wert von Gülle und Mist?

Sie sind ebenfalls erheblich teurer geworden. Für einen Betrieb, der den Wirtschaftsdünger auf den eigenen Feldern einsetzt, ist es kalkulatorisch interessant zu wissen, was er sich an Zukauf erspart. Eine andere Dimension bekommt das Ganze, wenn er seine Gülle an einen Marktfruchtbetrieb abgibt. Jetzt rasch von Mineraldünger auf Wirtschaftsdünger umzusteigen, stellt diesen aber auch vor Herausforderungen: Der muss überhaupt verfügbar sein, man braucht die richtige Technik, um ihn auszubringen und man muss auch pflanzenbaulich damit umgehen können.

In Europa gibt es einen schwunghaften Handel mit Gülle aus den intensiven Tierhaltungsgebieten wie zum Beispiel Holland. Wäre es nicht denkbar, sich auch von dort Nährstoff zu kaufen?

Wir empfehlen allgemein, nach Alternativen Ausschau zu halten, sei es zum Beispiel Restmelasse, Kartoffelrestfruchtwasser oder Carbokalk. Ich bezweifle aber, dass Gülleimporte eine Rolle spielen werden. Es ist sehr schwer einschätzbar, welche Qualität die gelieferte Ware haben wird und es fehlt uns schlicht die Erfahrung mit diesem System.

Wird es aufgrund der derzeitigen Situation zu einer Verschiebung der Kulturen in der Fruchtfolge kommen?

Betriebe, die selber ihre Futtergrundlage anbauen, haben wenig Spielraum. Sie brauchen Mais und Getreide für ihre Tiere. Bei Marktfruchtbetrieben wird der Anbau von Sojabohnen zunehmen, weil sie keine Stickstoffdünung brauchen. Die Saatgutwirtschaft spricht in Österreich bereits von einer Ausweitung um 15 Prozent, von 75.000 auf 90.000 Hektar.

Eine andere Variante wäre eine Extensivierung mit bewusst niedrigeren Erträgen.

Jeder Landwirt wird sich fragen müssen, ob sich für ihn eine Qualitätsdüngung überhaupt bezahlt macht. Wer Premiumware für Italien erzeugen will, wird nicht zurückfahren können. Andere werden schon überlegen, ob sie statt Mahl- oder Qualitätsweizen nicht besser Ethanol- oder Futterweizen produzieren sollen. Grundsätzlich wird es aber nach wie vor sinnvoll sein, bedarfsgerecht zu düngen. Weniger als das hinzustreuen und dann einen um 30 Prozent geringeren Ertrag zu haben, wird sich betriebswirtschaftlich nicht rechnen.

Werden wir nicht ein Problem mit der Nahrungsmittelversorgung bekommen, wenn der Dünger schlicht nicht verfügbar ist?

Wir werden in jedem Fall in Österreich genug Brotgetreide haben, auch weil nur 20 Prozent der Ernte dafür verwendet werden. Weltweit ist die Situation aber beunruhigend. Die Hälfte des globalen Getreidelagers und zwei Drittel des Maislagers liegen in China, das aus geopolitischen Gründen vorgesorgt hat. Die internationale Versorgungslage ist schon seit Jahren knapp. Die Preise für Pflanzenöle sind zuletzt um 60 Prozent gestiegen, jene für Getreide um 30 Prozent. Wenn es eng wird, werden sich die reichen Länder ihre Lebensmittel schon noch leisten können. Entwicklungsländer aber nicht. Das kann zu Revolten, Kriegen und Migration führen.

Die Synthetisierung von Ammoniak braucht gewaltigen Mengen an Energie und fördert damit den Klimawandel. Im Rahmen des Green Deals der Europäischen Union soll auch der Nährstoffaustrag um 50 Prozent reduziert werden. Hilft die aktuelle Situation vielleicht sogar schon dabei, sich auf künftige Realitäten einzustellen?

Für die Zukunft muss sich jeder Ackerbetrieb tatsächlich Gedanken darüber machen, wie er seinen Düngereinsatz reduzieren kann. Wir werden auch mit weniger Betriebsmitteleinsatz anständige Erträge und Qualitäten liefern müssen. Dieser Lerneffekt ist aber der einzige positive Aspekt, den ich dieser Situation abgewinnen kann.

Die biologische Landwirtschaft kommt per Definition ohne Mineraldünger aus. Sehen sie bei den jetzigen Rahmenbedingungen einen höheren Anreiz umzustellen?

Die Ertragsdaten der AMA ergeben bei den wichtigsten Ackerkulturen in Oberösterreich im Durchschnitt um 42 Prozent niedrigere Erträge. Hier funktioniert die konventionelle Produktion an sich betriebswirtschaftlich sehr gut. Im Trockengebiet im Osten schaut der Unterschied schon geringer aus. Wenn die Düngemittelkosten aber weiterhin so immens hoch bleiben, kann das auch bei uns ein Anreiz zur Umstellung sein.

Werden die Preise so immens hoch bleiben?

Die Pandemie hat mit ihren Produktionsrückgängen und Lieferschwierigkeiten weltweit viel in Bewegung gebracht. Manche Staaten versuchen sich autark zu machen und weniger zu exportieren. Die Länder haben auch viel Geld für die Coronabekämpfung ausgegeben. Sie werden sich irgendwann entschulden müssen und damit die Inflation antreiben. All das weist darauf hin, dass die Preissituation längerfristig so bleiben wird. Wichtig ist, dass das landwirtschaftliche Einkommen nicht durch die aufgehende Schere von steigenden Betriebsmittelkosten und dem Niveau der Getreidepreise auf der Strecke bleibt.

Interview: STEFAN NIMMERVOLL