„Wir wissen, dass wir am Abgrund stehen“
Über die Einladung von Ministerin Köstinger, bei der österreichischen Ratspräsidentschaft ein „Impulsstatement“ zu geben, hat sich TV-Köchin Sarah Wiener „erfreut gewundert“. Ein Gespräch mit BLICK INS LAND.
BLICK INS LAND: Frau Wiener, Sie wurden eingeladen, vor den EU-Agrarministern zu sprechen. Ihre wichtigste Botschaft an diese?
Wiener: Dass wir alle Teil der Natur sind und wir gerade dabei sind, unsere natürlichen Lebensgrundlagen zu verlieren, speziell bei der Vielfalt unserer Lebensmittel.
BLICK INS LAND: Haben Sie auch eine Forderung an die Minister?
Wiener: Ich glaube, dass es sinnvolle Maßnahmen gäbe und geben muss, damit sich die Landwirtschaft verändert. Wir wissen, dass wir am Abgrund stehen, dass der Ressourcenverbrauch enorm hoch ist und dass ein „Weiter so“ nicht möglich ist, weil wir so viele Probleme haben und nur an deren Symptomen herumdoktern, aber nie an den Ursachen. So sind etwa flächengebundene Agrarzahlungen an die Landwirte nicht zielführend. Wir sollten lieber die Arbeit der Bauern besser bezahlen, das was sie für Vielfalt und die Gesellschaft mache, statt nach dem Gießkannenprinzip die reichsten und fettesten Betriebe und Großkonzerne zu subventionieren, die sowieso nirgends Steuern zahlen. Mit Steuern auf Finanztransaktionen könnte man wieder den Kleinbauern und deren Vielfalt helfen, die zu verschwinden droht. Und es ist absurd, dass mittlerweile bürokratische und hygienische Vorschriften die Vielfalt abschaffen.
BLICK INS LAND: Sie sind eine mittlerweile auch Biobäuerin in der Uckermark in Brandenburg. Üblicherweise trifft man sie in Berlin auch nicht auf der Grünen Woche, sondern unter den zehntausenden Kleinbauern, die nach dem Motto „Wir haben es satt“ im Regierungsviertel demonstrieren. Hat Sie die Einladung, hier in Österreich vor den Agrarministern zu sprechen eigentlich gewundert?
Wiener: Ja! (lacht) Erfreut gewundert! Aber Österreich hat ja auch einen gewissen Sonderstatus in der EU Hier gibt es ja noch viel kleinteilige Landwirtschaft, die sich abhebt von den riesigen Monokulturen in anderen EU-Ländern. Das macht die Bauern wohl auch sensibler für die eine ökologische Politik. Österreich ist ja weltführend im Biolandbau. Ein wichtiges Zeichen, dem weiter zu folgen. Wir brauchen regionale Lösungen und klare Deklarationen, wo und wie unser Essen hergestellt wurde. Das sollten wir den Menschen nicht verweigern.
BLICK INS LAND: Auf Ihrer „kulinarischen Reise“ durch Österreich sind sie einmal in Kärnten in einen Stall eingebrochen, haben ein Huhn geklaut und dieses geschlachtet.
Wiener: Richtig. Was sie noch alles wissen?!
BLICK INS LAND: Auch in Deutschland werden Stalleinbrüche vor Gericht als strafrechtliche Handlung verurteilt…
Wiener: Es ist doch schön, dass es noch Bräuche gibt, beim Nachbarn einzusteigen, um ein Hendl zu fladern und abzumurksen. Die Besitzer sind am Ende auch zum Essen eingeladen worden. Ein Aufruf in Ställe einzusteigen, um sich selbst zu bedienen, war das aber nicht!
Interview: BERNHARD WEBER
Nachtrag: Handelte es sich bei Wieners Statement um bestellte Systemkritik, welche Österreichs Agrarpoltiker selbst so nicht formulieren würden? Dazu Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger gegenüber BLICK INS LAND: „Uns war wichtig, einer breiten Meinung, wie sie auch in der breiten Bevölkerung vorherrscht, eine Stimme zu geben. Auch wenn bei der Komplexität des Themas nicht immer großes Fachwissen vorherrscht.“
EU-Agrarkommissar Phil Hogan konnte Wieners Plädoyer gegen EU-Agrargelder für Großbetriebe, für Biolandwirtschaft oder klarere Lebensmittelkennzeichnung indes nicht überzeugen: „Wir müssen 2050 knapp 10 Milliarden Menschen ernähren. Wie das gehen soll, darauf habe ich aus Frau Wieners Aussagen nichts entnehmen können.“