Grüner EU-Bauer: „Ich bin weniger ideologisch“
Thomas Waitz, grüner Bauer im EU-Parlament, im Interview mit BLICK INS LAND über das EU-Agrarbudget, Bürokratieabbau und welche Agrarthemen für ihn besondere Brisanz haben.
BLICK INS LAND: Sie sind nach dem Wahldebakel der Grünen im vergangenen Herbst einer der letzten Grünen Politmandatare Österreichs ein einer maßgeblichen Position – und Österreichs einziger Landwirt im EU-Parlament. Wie gehen Sie mit dieser Doppelrolle um?
Waitz: Die Arbeit im EU-Parlament ist arbeits- und zeitintensiv und ich bin ja auch noch für die Umweltpolitik der Grünen in Österreich zuständig. Alles in allem eine Herausforderung.
BLICK INS LAND: Österreich hat sich dem knappen EU-weiten Verbot der Neonics angeschlossen, war damit „Zünglein an der Waage“´. Ministerin Köstinger hat diese sogar als „Bienenkiller“ bezeichnet. Kanzler Kurz hat die Zulassung von Glyphosat nur wenige Tage nach der vorläufigen EU-Verlängerung als „zu gefährlich“ bezeichnet und einen früheren nationalen Ausstiegsfahrplan angekündigt. Sind die Türkisen die besseren Grünen?
Waitz: Ich glaube, die Ministerin erinnert sich noch gut an das Schicksal ihres Kollegen Berlakovich und dass Bienen für viele Menschen in Österreich eine große Bedeutung haben und war gut beraten, dem Verbot zuzustimmen. Bei Glyphosat hat es eine sehr breite Diskussion gegeben, der Wirkstoff ist zwar für Bienen weniger giftig als die Neonicotinoide, aber es werden davon in Europa ungeheure Mengen ausgebracht. Und Umweltschutz ist ja oft einfach nur eine Sache von Vernunft. Daher will ich den Türkisen und Kurz gar nichts unterstellen, sondern stelle fest, dass auch sie manchmal vernünftige Entscheidungen treffen.
BLICK INS LAND: Womit sind Sie nicht so sehr zufrieden?
Waitz: (lacht) Wie lange haben wir Zeit? Mit der Anbiederung Österreichs an Herrn Orban oder mit vielen Aussagen, die blaue Minister, Landesräte und Abgeordnete so von sich geben. Wenn man sich in Brüssel so umhört, lösen dort Vorgänge wie BVT-Affäre unter dem blauen Innenminister Kopfschütteln und Sorge über die demokratische Verfassung Österreichs und die Einhaltung der europäischen Werte aus. Dabei lebt Österreich ungemein stark vom Export und vom Tourismus. Das Ganze hat also auch eine ökonomische Komponente. Dass da vor allem ÖVP-Parlamentarier nicht stärker gegenhalten wundert mich sehr.
BLICK INS LAND: Wie stehen Sie zur diskutierten Kürzung des EU-Agrarbudgets? Österreichs neuer LK-Präsident will zwar keine Kürzung des Agrarbudgets, aber Gelder umschichten. Für konventionelle Produktion kann er sich weniger Förderungen vorstellen …
Waitz: Auch wir Grünen sind gegen eine Kürzung. Aber die Gelder müssen richtig verwendet werden. Wenn wir die Verteilung nicht ändern und weiterhin in der EU große Agrarbetriebe mit vier Millionen Euro jährlich fördern, die dann mit ihren Dumpingpreisen den Markt überschwemmen, kann auch gekürzt werden. So macht man nämlich mit Steuergeld eine vernünftige, nachhaltige, auch ökologische Produktion bäuerlicher Familienbetriebe kaputt.
BLICK INS LAND: Soll die Bioproduktion künftig verstärkt gefördert werden oder soll das der Markt regeln, wie Köstinger meint?
Waitz: Im Kapitalismus sollten alle realen Produktionskosten im Produktpreis inkludiert sein. Bei Agrarprodukten ist das bekanntlich nicht der Fall. Umweltgerechte, also nicht nur biologische Produkte beinhalten viele Leistungen, die von der Gesellschaft gefordert, aber nicht immer abgegolten werden. Und bei industrieller Landwirtschaft kommt oft noch ein Schaden dazu, für den am Ende die Öffentlichkeit aufkommen muss, etwa durch höhere Wasserkosten in gülleintensiven und damit nitratbelasteten Regionen oder ähnliches. Wenn es echte Kostenwahrheit bei landwirtschaftlichen Produkten gebe, dann wären Bioprodukte um ein Drittel billiger. Und dann könnte man deren Verkauf auch rein dem Markt überlassen.
BLICK INS LAND: Österreichs Ratsvorsitz hat mehr Bürgernähe und weniger Bürokratie als Ziele genannt. In einem Interview zu Jahresbeginn haben Sie erklärt: Diese Bürokratie regt mich als Landwirt auf! Glauben Sie (noch) an einen Bürokratieabbau im Agrarbereich?
Waitz: Ich bin skeptisch. Wenn sich die Renationalisierung der Förderungen durchsetzt, wird das zwar Einsparungen und Arbeitserleichterungen bei der Generaldirektion Agri der EU-Kommission bewirken, aber wohl kaum in den einzelnen Mitgliedsstaaten mit dann verschiedensten nationalen Verteilsystemen. Und auch das ist eher ein Thema, das die Beamten trifft. Für mich als Landwirt will ich ein möglichst einfaches Antragsformular und mich darauf verlassen können, dass die Behördenangaben dazu auch längerfristig halten und sich nicht in fünf Jahren dreimal ändern, verbunden mit Strafen und Rückzahlungen. Dagegen könnte die von Kommissar Hogan angekündigte Umstellung auf satellitengesteuerte Flächenbemessung sehr wohl auch für Landwirte eine Erleichterung bringen, wenn er nicht mehr selbst mit dem Maßband herumlaufen muss, um die Beschattung von Bäumen und Sträucher zu vermessen.
BLICK INS LAND: Diskutiert werden einmal mehr Förderobergrenzen? Wo liegt für Sie die Grenze beim Capping?
Waitz: Primär brauchen wir auch hier europaweit einheitliche Regeln, schließlich bedienen wir auch gemeinsame Märkte. An den Schlachthof in Graz liefern Bauern aus der Steiermark ebenso wie aus Slowenien oder Ungarn. Und zur Höhe: Hogan hat 60.000 Euro vorgeschlagen, vermutlich aus Taktik, um etwa 100.000 Euro oder mehr durchzubringen. Aber entscheidend ist, dass es einen Stopp bei den Millionenzahlungen an nur wenige Großbetriebe gibt. Und es geht um die Betriebsformen. Im Ackerbau kann mit entsprechenden Maschinen auch nur eine Person 600 Hektar bearbeiten, Gartenbau mit vielen Kulturen braucht auf wenigen Hektar oft Dutzende Mitarbeiter.
BLICK INS LAND: Asyl- und Integrationsfragen scheinen derzeit europaweit fast alle politischen Themen zu überdecken. Auf welche Themen versuchen Sie die Aufmerksamkeit zu lenken?
Waitz: Ich beschäftige mich viel mit Lebensmittelqualität, mit Pestiziden und wo diese ersetzt werden könnten, mit Tiergesundheit oder ob Europas Gesetze bei den Tiertransporten kontrolliert und eingehalten werden. In Österreich selbst gibt es damit mittlerweile kaum Beanstandungen, in anderen EU-Ländern oder bei Lebendtier- Transporten in Drittstaaten gibt es aber nach wie vor haarsträubende Missstände. Aber auch dabei ist EU-Recht einzuhalten.
BLICK INS LAND: Sie traten zuletzt gegen die Abholzung geschützter Urwälder in Rumänien oder gegen den massiven Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung auf…
Waitz: Das Thema Antibiotika und multiresistente Keime ist mir besonders wichtig. Wir müssen sicherstellen, dass es auch in Zukunft mindestens drei bis fünf Antibiotikastämme gibt, die ausschließlich für die Humanmedizin reserviert sind.
BLICK INS LAND: Warum ist es so schwer, mit solchen Themen auch eine Mehrzahl der Bauern und Agrarpolitiker ins Boot zu holen?
Ich bekomme zunehmend positive Rückmeldung von dieser Seite. Ich setze mich ja gezielt für die bäuerliche Landwirtschaft ein, und das über die Frage von Bio hinaus. In Österreich ist die Landwirtschaft größtenteils sehr divers, vielfältig und umweltfreundlich und damit gibt es auch mehr Bewusstsein als anderswo, worüber man sich als Grüner natürlich freut.
BLICK INS LAND: Als Österreichs einziger Bauer in Brüssel – wie gut ist die Zusammenarbeit mit Ihren offiziellen Gegenüber vom Bauernbund, Othmar Karas oder Herbert Dorfmann?
Waitz: Eigentlich sehr konstruktiv mit beiden. Mit Dorfmann bin ich zwar nicht immer einer Meinung, im Weinbau haben wir etwa beim Uhudler sehr unterschiedliche Zugänge. Hier agiert er oft wie ein Vertreter der klassischen Weinbaulobby und will diese Sorten verbieten. Karas wiederum versteht zwar nicht viel von Landwirtschaft und behauptet das auch nicht, ich schätze ihn aber als glühenden Europäer, klugen Denker auch über Parteigrenzen hinweg und als jemand, der zugibt, dass ihn auch die Argumente anderer beeindrucken.
BLICK INS LAND: Auch Grüne fordern Grenzen, nämlich im Freihandel. Sie sind gegen CETA und Mercosur. Warum eigentlich?
Waitz: Ich bin nicht grundsätzlich gegen Freihandel, halte – wie auch die Mehrzahl der Österreicher – aber die Rechtsproblematik der Konzerngerichtsbarkeit langfristig für gefährlich, auch für unseren demokratischen Parlamentarismus. Und man darf für den leichteren Marktzugang der europäischen Maschinenindustrie in Südamerika nicht die Interessen unserer Bäuerinnen und Bauern opfern. Andernfalls müssen diese ihre Höfe zusperren. Und es müssen Europäische Standards für alle Agrarimporte gelten. Außerdem haben wir ohnehin reichlich Rindfleisch in Europa, da brauchen wir keines in großem Stil aus Südamerika importieren, das macht keinen Sinn.
BLICK INS LAND: Womit möchten Sie als Biobauer und EU-Politiker auch konventionelle Landwirte überzeugen?
Waitz: Ich habe mich schon als erster Grüne in den Gremien der LK Steiermark fünf Jahre lang zur Überraschung vieler Bauernbündler nicht nur für den Biolandbau eingesetzt, sondern generell für den Erhalt einer bäuerlichen Landwirtschaft. Ich bin auch weniger ideologisch, sondern einfach nur überzeugt davon, dass es mehr Sinn macht, Gründünger statt Kunstdünger am Acker auszubringen, in Zeiten des Klimawandels auf natürliche Bodenfruchtbarkeit und Wasserspeicherfähigkeit zu achten oder mechanische Unkrautbekämpfung durchzuführen, statt hektoliterweise Chemie zu versprühen. Und als Landwirt und Imker sind mir natürlich auch die Bienen wichtig.
BLICK INS LAND: Warum bräuchte es aus Sicht der Bauern wieder Grüne im Österreichischen Parlament?
Waitz: Die Gesellschaft stellt viele Forderungen an die bäuerliche Produktion: Tierwohl, pestizidarme Produktion, Bodenschutz, sauberes Grundwasser oder hohe Lebensmittelqualität. Und diese Anliegen wurden und werden besonders von den Grünen vertreten. Den Bäuerinnen und Bauern wird dies mit wenigen Cent für ihr Getreide oder die Milch aber kaum, sicherlich zu wenig abgegolten. Daher verstehe ich auch meine Berufskollegen, dass sie deshalb einen Grant haben und auch die Grünen dafür verantwortlich gemacht haben. Wir sollten aber alle Interesse an Natur-, Umwelt-, Tier- oder Klimaschutz haben. Es ist ja nicht egal, ob auch noch unsere Kinder und Enkelkinder einmal unsere Höfe bewirtschaften. Deshalb hoffe ich, dass mich und uns bei der nächsten Wahl wieder mehr wählen, auch Bauern.
Interview: BERNHARD WEBER
ZUR PERSON
Thomas Waitz, 45, Vater von drei erwachsenen Kindern, bewirtschaftet mit seiner Familie einen Grünland- und Waldbetrieb in Leutschach, Steiermark. Der Biobauer züchtet auch Krainer Steinschafe. Seit November 2017 ist er Abgeordneter der Grünen im EU-Parlament. Nach Brüssel oder Straßburg pendelt er bewusst auch nicht Economy per Flugzeug, sondern per Nachtzug.