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„Keine Bevorzugung für die Ukraine“

Im Mai 2022 ist der Tiroler NORBERT TOTSCHNIG vom Büro des Bauernbunddirektors in jenes des Landwirtschaftsministers gezogen. STEFAN NIMMERVOLL hat den Bundesminister zum ausführlichen Bilanz-Interview zu Beginn eines wohl intensiven Wahlkampfes gebeten.

Die aktuelle Koalitionsperiode geht ins Finale. Wie zufrieden sind sie mit dem bisher Erreichten?

In den letzten eineinhalb Jahren, in denen ich die Verantwortung hatte, haben wir so viel erreicht, wie viele Jahre vorher nicht möglich war. Die Gemeinsame Agrarpolitik hat in die neue Periode gestartet. Wir haben stark geworben, damit wir wieder eine hohe ÖPUL-Teilnahme erreichen. Das ist gelungen: Wir haben stabile Zahlen. All die Entlastungsmaßnahmen konnten umgesetzt werden. Zuletzt konnten wir das 360 Mio. Euro Impulsprogramm für die Landwirtschaft mit Aufstockungen um acht Prozent im ÖPUL, bei der Bergbauernförderung und einer Anhebung der Investitionsobergrenze auf den Weg bringen. Auch ein wichtiges Signal: Der Waldfonds wurde um zusätzliche 100 Mio. Euro aufgestockt. Es ist sehr viel geglückt. Im vergangenen Jahr ist viel gelungen, weil wir mit dem Koalitionspartner konstruktiv zusammengearbeitet haben.

Die Erzeugerpreise sind längst nicht mehr dort, wo sie vor einem Jahr waren. Die Vorkosten sind aber weiter hoch.

2022 war ein krisenbedingtes Ausnahmejahr. Die Erzeugerpreise sind seit Anfang 2023 wieder stark zurückgegangen. Das sehen wir beispielsweise beim Getreide; zum Glück weniger stark bei tierischen Produkten. Wir erleben jetzt ein Einpendeln auf das Niveau von 2020. Die Energiekosten sind im Vergleich zum vergangenen Jahr nur leicht geringer. Aufgrund der volatilen Situation auf den Märkten ist die Wertanpassung beim ÖPUL, der Bergbauernförderung und der Investitionsförderung wichtig. Damit können wir die Inflation abpuffern.

Sie lassen gerade eine Vision 2028+ erarbeiten. Ziel ist es, den Bauern mehr Planungssicherheit zu geben. Was soll denn am Ende dieses Prozesses stehen?

Wir wollen, wissenschaftlich begleitet und unter Einbindung aller Stakeholder, sogar aller politischen Parteien, konkrete Perspektiven erarbeiten, und neue Betätigungsfelder erkunden, die für die Bauern attraktiv sein können. Es gibt neue Einkommensmöglichkeiten bei gleichzeitig veränderten Umständen. Diese wollen wir bis Mai klar herausarbeiten, um künftig geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen.

Spätestens im Herbst wird in Österreich gewählt. Niemand weiß, welche Partei dann den Landwirtschaftsminister stellen wird. Besteht nicht die Gefahr, dass der gesamte Prozess für die Rundablage sein wird?

Die Vision 2028+ ist keine Idee eines einzelnen, sondern ein breiter Prozess, der von allen mitgestaltet wird. Damit hat er eine breite Akzeptanz, unabhängig von Wahlen. Über eine Hausstrategie des Ministeriums wird keiner einfach drübersteigen können. Die Vision 2028+ wird aufgegriffen werden, davon bin ich überzeugt.

Der neue SPÖ-Vorsitzende Andreas Babler stellt die Wiedereinführung einer Erbschaftssteuer in den Raum. Das könnte Koalitionsbedingung werden.

Solche SPÖ-Steuer-Träumereien, die neue Belastungen bringen, wird es mit uns nicht geben. Österreich hat eine Abgabenquote von 43,5 Prozent. Wenn wir unsere Wettbewerbsfähigkeit erhalten wollen, braucht es Ideen, wie wir weiter entlasten, die Wirtschaft unterstützen und den Standort stärken.

Welche Regierungskonstellation wäre ihnen nach der Wahl am liebsten?

Zuerst wird gewählt, dann gezählt und schließlich werden wir sehen, welche Mehrheiten es für eine Koalition gibt. Wichtig ist mir eine stabile Koalition.

Stehen Sie auch für eine Regierung mit der FPÖ zur Verfügung?

Die ÖVP hat dazu eine klare Position, nämlich dass es keine Koalition mit der Kickl-FPÖ geben wird.

Und ohne Kickl?

Er ist der Parteichef der FPÖ und ich nehme an, er wird das vor und nach der Wahl sein.

In Deutschland kommt es gerade zu massiven Einschnitten im Agrarbudget. Zum Beispiel werden die Dieselrückvergütung und die KFZ-Steuer-Befreiung abgeschafft. Ist das für sie eine Folge davon, dass es keine Regierungsbeteiligung der CDU/CSU gibt?

Wir haben schon bei der Energie- und Inflationskrise gesehen, dass in Deutschland nur die „außergewöhnliche Anpassungshilfe“ in der Höhe von 180 Mio. Euro für die Landwirtschaft ausgezahlt wurde. In Österreich betrug diese EU-Hilfe 9 Mio. Euro. Wir haben im Vergleich 260 Mio. Euro zusätzlich aufgestellt. Alleine daran erkennt man, dass Österreichs Landwirtschaft eine ganz andere Unterstützung durch die Bundesregierung erfährt.

Der Europäische Rat hat Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine zugestimmt, da Viktor Orban seinen Widerstand aufgegeben hat. Hat er mit seinen Bedenken nicht letztlich recht?

Die Beitrittsgespräche waren ein geopolitisch erwartbares Signal für die Ukraine, dass sie auf die Unterstützung Europas zählen kann. Klar ist auch, dass es kein Fast Track-Verfahren und keinen Freifahrtschein in die EU gibt. Die Ukraine muss Schritt für Schritt zahlreiche Bedingungen erfüllen, die für alle anderen Staaten auch gelten, insbesondere bei den Fragen Demokratie, Transparenz, Korruptionsbekämpfung. Hier gibt es keine bevorzugte Behandlung. Damit ist die Ukraine für die nächsten Jahre einmal ordentlich gefordert.

Wie kann es gelingen, die übermächtige ukrainische Landwirtschaft in die EU zu integrieren? Muss man dafür nicht die gesamte Gemeinsame Agrarpolitik reformieren?

Die Frage, die sich zuerst stellt, ist, wie ein EU-Beitritt überhaupt aussehen könnte. Sollte das tatsächlich schlagend werden, dann muss die GAP auch in Zukunft so weitergeführt werden, dass eine flächendeckende und wettbewerbsfähige Landwirtschaft, die Unterstützung der Bäuerinnen und Bauern mittels Ausgleichszahlungen und die Nachhaltigkeitsziele insbesondere im Bereich Umwelt- und Klimaschutz erreicht werden.

Die stark reduzierten Preise werden auch auf den Export von Getreide in die EU zurückgeführt.

Die Getreidepreise sind deswegen so niedrig, weil sie global unter Druck stehen. Wir haben in Teilen der Welt gute Ernten gehabt. Es gibt russische Rekorde bei den Getreideexporten. Das drückt den Preis. Zusätzlich gibt es konjunkturbedingt eine geringere weltweite Nachfrage bei Getreide. Die Importe in die Union aus der Ukraine sind nicht federführend preisbestimmend, aber sie werden von einzelnen Händlern verwendet, um bei den Erzeugerpreisen bessere Konditionen herauszuschlagen.

Was kann dagegen getan werden, dass die ukrainische Ware in der EU hängenbleibt?

Wir fordern auf EU-Ebene mehr Transparenz. Die Transitrouten und die Häfen müssen ausgebaut werden, damit das Getreide schneller in den Nahen Osten und nach Nordafrika kommt. Drei Viertel des Getreides aus der Ukraine geht heute schon über die rumänischen Donauhäfen wieder hinaus. Zusätzlich gibt es, seit Russland das Schwarzmeerabkommen nicht verlängert hat, einen humanitären Korridor entlang der rumänischen Küste, durch welchen die Ukraine wieder direkt Getreide exportieren kann. Wir drängen dennoch stark darauf, dass die ATM-Verordnung, die den Marktzugang in die EU regelt, überarbeitet wird und Schutzklauseln für den Fall von Marktstörungen vorgesehen werden.

Es gibt Gerüchte über ukrainische Ware in österreichischen Fabriken. Wie viel an ukrainischem Getreide ist am österreichischen Markt vorhanden?

Wir beobachten sehr genau den österreichischen Markt. Seit vergangenen Jahr sind die Importe aus der Ukraine um mehr als die Hälfte zurückgegangen. Zusätzlich hat die BAES ihre Kontrollen wesentlich intensiviert und konnte bisher keine Auffälligkeiten hinsichtlich Rückstände oder  GVO-Pflanzen feststellen.

Die Bundesregierung hat die Reduktion des Bodenverbrauchs im Regierungsübereinkommen festgeschrieben. Von 2,5 Hektar ist man aber meilenweit entfernt. Was läuft da falsch?

Der Kampf gegen den Bodenverbrauch ist mir ein wesentliches Anliegen. Es liegt eine Bodenschutzstrategie auf dem Tisch, die gemeinsam mit allen Beteiligten erarbeitet worden ist. Sie umfasst einen Aktionsplan für die nächsten Jahre, der dazu beitragen wird, den Flächenfraß deutlich zu reduzieren. Der Schutz von Freiflächen wird von einigen Ländern schon umgesetzt, Stichwort landwirtschaftliche Vorrangflächen in Tirol. Die Zersiedelung wird einschränkt, in dem man überörtliche Grenzen definiert oder auch Zweitwohnsitze begrenzt. Der dritte Punkt ist die Innenentwicklung in den Dörfern zu fördern, um Leerstände zu vermeiden. Dafür gibt es von uns 26 Mio. Euro im Topf für die ländliche Entwicklung. Der vierte Punkt ist, Bewusstsein zu schaffen. Vor allem bei dem Punkt sehen wir, dass in den vergangenen Monaten viel passiert ist.

Dennoch werden die Ziele klar verfehlt.

Die Einschätzung ist die: Wenn man wirklich ganz konsequent diesen Aktionsplan umsetzt, dann ist ein Flächenverbrauch von 2,5 Hektar bis 2030 möglich. Wir sind bei der Zielformulierung noch in den Verhandlungen. Allerdings haben die Länder schon beschlossen, mit der Umsetzung des Aktionsplans zu starten, um keine Zeit zu verlieren. Um in Hinkunft Fortschritte beim Bodenschutz dokumentieren zu können, ist ein Monitoring aufgesetzt worden. Die ÖROK hat ein Datenmodell konzipieren lassen, das seit Dezember online ist. Damit gibt es erstmals Daten zum Bodenverbrauch ganz genau für jede Gemeinde – wie viel Fläche tatsächlich in Anspruch genommen und wie viel versiegelt worden ist.

Ist angesichts des Rückgangs an agrarischen Produktionsflächen die Selbstversorgung überhaupt noch gewährleistet?

Die Bodenstrategie ist das eine. Das zweite ist, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Branche erhalten bleiben muss; vor allem im Bereich der Tierhaltung. Da geht es um Vertrauen der Bäuerinnen und Bauern und um Stabilität in der Agrarpolitik, aber auch um Rahmenbedingungen, die wirtschaften attraktiv für eine vergleichsweise kleinstrukturierte Landwirtschaft machen.

Sie haben beim jüngsten Agrarministerrat gegen die sogenannte Neue Gentechnik gestimmt. Nimmt man der europäischen Produktion damit nicht die Chance, international wettbewerbsfähig zu sein?

Österreich hat traditionell eine sehr umweltgerechte, nachhaltige Landwirtschaft mit Gentechnikfreiheit im Anbau. Damit waren wir am Markt in den vergangenen Jahrzehnten sehr erfolgreich. Das ist auch bei allen Akteuren entlang der Wertschöpfungskette sehr stark verankert, bis hin zum Lebensmitteleinzelhandel. Wir wollen diesen Weg fortsetzen. Der Entwurf der EU-Kommission würde große Einschnitte bringen, zum Beispiel bei der Wahlfreiheit, der Zulassung, der Kennzeichnung und bei der Patentierbarkeit von Sorten. Da gibt es zahlreiche Punkte, die wir nicht unterstützen können. Darüber hinaus gibt es ein Regierungsprogramm, in dem klar die Position der Bundesregierung festgeschrieben ist. Zusätzlich haben wir einhellige Beschlusslagen durch die Bundesländer und den Bundesrat, die die Bundesregierung binden. Im Agrarministerrat vergangenen Oktober hat es so ausgeschaut, als ob Österreich mit seiner Position relativ alleine bleiben würde. Beim Rat im Dezember hat sich gezeigt, dass nun mehrere Länder hinsichtlich Patentierbarkeit und Kennzeichnung unsere Bedenken teilen.

Wie stehen sie zu Mercosur? Hält das Nein innerhalb der ÖVP?

Es gibt eine klare Position im Regierungsprogramm und einen Beschluss im Nationalrat, der die Regierung bindet auf EU-Ebene gegen Mercosur zu stimmen. Die Verhandlungen rund um Mercosur stocken ohnehin, weil Frankreich und Deutschland noch ein Zusatzinstrument für mehr Klimaschutz und mehr Menschenrechte gefordert haben. Dieses wird seit Monaten verhandelt und ich weiß nicht, ob noch vor der EU-Wahl 2024 ein Abschluss erzielt wird. Derzeit schaut es nicht danach aus, auch angesichts des neuen Präsidenten in Argentinien.

Braucht es Importzölle für Produkte, die nicht nach europäischen Standards hergestellt worden sind?

Die Handelsspielregeln werden im Rahmen der Welthandelsorganisation vereinbart. Da sind wir Mitglied. Was Importe betrifft, so müssen die Produkte gewisse gesundheitspolizeiliche und pflanzenschutzrechtliche Standards – SPS-Standards – erfüllen. Alles darüber hinaus ist nicht möglich. Österreich kann hier keine eigenen Handelsbarrieren aufbauen.

Die europäische Landwirtschaft soll immer nachhaltiger werden. Die Interessensvertreter wehren sich aber massiv gegen die Zielvorgaben der EU-Kommission.

Die Bundesregierung bekennt sich klar zu den EU-Klima- und Umweltzielen. Allerdings bringt der Green Deal die Bäuerinnen und Bauern an ihre Grenzen. Das führt zu einem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Drittstaaten. Deswegen sind wir seit Monaten auf EU-Ebene unterwegs, um darauf hinzuweisen, dass es neben diesen Umwelt- und Klimazielen auch das Ziel der Versorgungssicherheit geben muss. Wir sind sehr froh, dass die spanische Ratspräsidentschaft das Thema strategische Autonomie der Europäischen Union auf die Tagesordnung gebracht hat. Da geht es um Chipherstellung, um Energie, aber auch um die Lebensmittelversorgung.

Sustainable Use Regulation und Wiederherstellung der Natur sind Reizworte für die Bauernvertreter.

Das EU-Parlament hat den Verordnungsentwurf der EU-Kommission zur SUR zu unserer Überraschung abgelehnt. Im Agrarministerrat wird weiter diskutiert. Wir haben in Österreich den Ansatz des Integrierten Pflanzenschutzes; so wenig wie möglich, so viel als nötig. Bei der Wiederherstellung der Natur-Verordnung wurde der Entwurf der Kommission im EU-Parlament und im Rat sehr stark abgeändert und muss noch final beschlossen werden. Aus Sicht der Landwirtschaft ist er wesentlich praktikabler geworden im Vergleich zum Kommisions-Vorschlag.

Künftig werden von der AMA auch Flächenbeiträge eingehoben. Dafür soll dann auch für Getreide geworben werden. Werden die fünf Euro pro Hektar wirklich durch das Gütesiegel kompensiert?

Ich stehe zu diesem neuen System. Es wird breit mitgetragen. Insgesamt sind wir mit dem Thema Herkunftskennzeichnung absolut im Trend. Es ist eine Chance, sich am Markt zu unterscheiden. Aus der Erfahrung der vergangenen Jahre konnte durch das AMA-Gütesiegel eine zusätzliche Wertwertschöpfung von ca. 65 bis 70 Mio. Euro erzielt werden. Diesen tatsächlichen Mehrwert gilt es nun auch beim Getreide zu erwirtschaften.

Die Risszahlen durch den Wolf sind im vergangenen Jahr zurückgegangen. Belegt das nicht, dass der Herdenschutz wirkt?

Im Gegenteil. Die Verordnungen zur Entnahme von Problemwölfen in den Bundesländern wirken. Die Schweiz hat 25 Jahre Erfahrung mit dem Herdenschutz und ist zur Erkenntnis gekommen, dass es allein damit nicht funktioniert. Von 33 Rudeln werden nun 11 präventiv entnommen. Ohne eine Regulierung des Wolfbestandes geht es nicht. Das hat auch die EU-Kommission erkannt. Wir fordern die Überarbeitung der 30 Jahre alten gesetzlichen Grundlage ein. Die Tiere vermehren sich mit einer Rate von 30 Prozent pro Jahr. Wir haben über 20.000 Individuen in Europa. Man muss jetzt einfach handeln.

 

Norbert Totschnig (49) stammt aus Tristach in Osttirol und hat Wirtschaftswissenschaften in Innsbruck studiert. Von 2002 bis 2007 war er Generalsekretär der Bauernbund-Jugend und von 2007 bis 2009 beim Maschinenring tätig. Nach unterschiedlichen Funktionen in der ÖVP wurde er 2017 Direktor des Bauernbundes und 2022 schließlich Landwirtschaftsminister.