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Zwist unter den Bioverbänden

Das rasante Wachstum von Naturland sorgt für Aufregung in der heimischen Bio-Szene. Der bisherige Platzhirsch Bio Austria droht seinen Alleinvertretungsanspruch zu verlieren und sieht seine Felle davonschwimmen. STEFAN NIMMERVOLL hat sich umgehört.

Einigkeit war in Österreichs Biobranche lange ein rares Gut. Verschiedene Verbände kämpften in der oftmals wirren Anfangsphase der Bewegung um die Deutungshoheit darüber, was gut und wertvoll ist. So lange, bis der damalige Landwirtschaftsminister Wilhelm Molterer einen Schlussstrich zog und die Streithähne dazu verdonnerte, unter der neu gegründeten Bio Austria einheitliche Vorgaben zu schaffen. Seither verpflichten sich rund 12.500 Biobauern, deren Regelwerk umzusetzen. Damit sind zwei Drittel der Biobauern im Verband organisiert. Dies verschafft den jeweiligen Obleuten auch die Legitimation, als Stimme für die biologische Landwirtschaft in Österreich zu fungieren. „Es war der politische Wille, dass es eine einheitliche Vertretung gibt. Deshalb haben wir auch die Strukturen, um Beratung und Bildung anzubieten“, meint die derzeitige Obfrau Barbara Riegler.

Die geordneten Zeiten könnten aber ein Ende haben. Denn seit einigen Jahren treibt sich auch Naturland als Verband für ökologischen Landbau in der Szene herum. Die Vereinigung mit Sitz in Deutschland war schon länger, vor allem im Geflügelbereich, mit überschaubaren Mitgliedszahlen in Österreich aktiv. Einen richtigen Schub, hin zu 2.300 Gesamtmitgliedern, hat sie aber bekommen, als es gelang, die Salzburg Milch auf ihre Seite zu ziehen. Mit einem Schlag konnten damit 1.500 Höfe dazugewonnen werden. „Österreich hat mehr Biomilch als es selber benötigt“, analysiert der Geschäftsführer für den Bereich Österreich, Josef Brunnbauer. Deshalb sei der Export wichtig. Sein Joker dabei: Es gelang mit Aldi Süd und REWE in Deutschland Verträge abzuschließen, nach denen deren Eigenmarken das Naturland-Siegel tragen müssen. Während hierzulande also der Lebensmitteleinzelhandel die Richtlinien vorgibt, ist in Deutschland die Verbandsmitgliedschaft entscheidend. „Damit liegt die Deutungshoheit, was Bio ist, in der Hand der Bauern“, verdeutlicht Brunnbauer den Unterschied.

„Wir führen unsere Molkerei wie ein Privatunternehmen und schauen, was am Markt erfolgreich ist“, begründet Salzburg Milch-Geschäftsführer Andreas Gasteiger den Schritt, die Genossenschaftsmitglieder zum Einstieg in Naturland zu verpflichten. Dieser sei alternativlos gewesen, denn „ohne Deutschland funktioniert der Biomarkt einfach nicht, weil wir 70 Prozent unserer Biomilch exportieren.“ Natürlich sei es eine Herausforderung gewesen, die Bauern genau in der Corona-Zeit zu motivieren, in einen neuen Verband einzusteigen. Die meisten Lieferanten seien aber mitgegangen. „Wir können einen Naturland-Zuschlag von zwei Cent bezahlen“, erklärt Gasteiger den Vorteil, der den Bauern erwachsen sei. Da in Bayern die Diskussion rund um die Anbindehaltung brodle und viele Höfe aus der Milchproduktion ausscheiden werden, seien die Marktchance für österreichische Biomilch auch in Zukunft abgesichert. „Wir haben aber niemandem gesagt, dass er aus Bio Austria aussteigen soll. Die meisten Landwirte haben eine Doppelmitgliedschaft“, erklärt der Milch-Manager, dass er zu beiden Verbänden gute Beziehungen pflegt.

Damit sich die Kosten für die Bauern in Grenzen halten, haben sich die beiden Verbände darauf verständigt, jeweils einen Rabatt auf ihre Mitgliedsbeiträge zu gewähren. Weiterführende Einigungen sind aber nicht absehbar. Bei Bio Austria beharrt man darauf, dass Naturland respektieren müsse, dass der Markt in Österreich seit 40 Jahren gewachsen ist. „Wir sind nach wie vor Europameister und kein Bio-Entwicklungsland“, kritisiert Barbara Riegler, dass die Entscheidungen, was wie gemacht werden soll, in Deutschland getroffen würden. „Eine automatische gegenseitige Anerkennung wäre der beste Weg. Wir strecken täglich die Hand aus, um die Dinge gemeinsam zu regeln.“ Man hätte die Verbands-Beratung gerne auch für Naturland angeboten. Damit stoße man aber auf taube Ohren.

Eindeutig in seinen Worten ist Oberösterreichs Landwirtschaftskammerpräsident Franz Waldenberger, der selber Berater für Bio Austria war und dem Landesverband von 2015 bis 2021 vorstand. Er rät seinen Mitgliedern dazu, sich nicht voreilig und vorbehaltslos dem Naturland-Regulativ zu unterwerfen. „Ich würde das Vorgehen verstehen, wenn man zum Beispiel in Peru einen Verband aufbauen will. In Österreich gibt es aber keinen Bedarf, eine Satellitenstruktur zu Deutschland zu schaffen.“ Dass Naturland auch die politische Vertretung seiner Mitglieder wahrnehmen will, schwäche den Sektor, der dann nicht mehr mit einer Stimme spreche. „Was für eine Forderung können Naturland-Mitglieder haben, die Bio Austria-Mitglieder nicht auch haben?“, so Waldenberger. Er unterstreicht, dass er sich nicht auf die Seite von Bio Austria, sondern auf die der Biobauern schlage. „Die Proponenten haben Verantwortung über das eigene Hoftor hinaus. Ich möchte nicht, dass irgendwann gesagt wird, warum hat niemand etwas gesagt?“ Mit neuen Strukturen würden auch neue Kosten und Auflagen entstehen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit von den Biobäuerinnen und Biobauern zu tragen sein werden; ein Vorgang, der nicht gutzuheißen sei, wenn man eigentlich eine Entbürokratisierung anstrebe.

Nicht akzeptabel ist für Bio Austria-Obfrau Barbara Riegler, dass Naturland seinen Mitgliedern zwar Bio-Futtermittel vorschreibt, deren Herkunft, anders als bei Bio Austria, aber egal sei: „Die entscheidenden Schlagworte sind  doch ,bio´ und ,regional´.“ Wenn Milch über Naturland, Jungvieh aber über Bio Austria vermarktet wird, könnte ein Vorgaben-Wirrwarr entstehen. Den Genossen bei den Molkereien sei man aber nicht böse. „Bis zu einem gewissen Grad muss man anerkennen, was Naturland mit Aldi und REWE gelungen ist. Letztlich ist die Macht, die Naturland hat, aber vom Handel verliehen.“ Riegler fürchtet, dass die Biobauern in eine Spirale von ökonomischem Druck getrieben werden. „Im Zentrum steht nicht der Bauer, sondern das Handelsinteresse. Denn Naturland-Verbandsware ist auch in Dänemark, Frankreich oder Belgien zu bekommen.“

Den Vorwurf, dass Österreich nur ein Anhängsel zu Deutschland sein werde, entkräftet Josef Brunnbauer damit, dass aktuell ein Staatenvorstand aus fünf österreichischen Bauern durch das Präsidium bestätigt worden sei. Dieser werde wesentlich die Strategie von Naturland Österreich bestimmen. „Wir sind kein internationaler Konzern, sondern der größte internationale Verband, der von Biobauern getragen und geführt ist. Das bringt immense Vorteile, wie zum Beispiel einen höheren Milchpreis“, so der Bayer. Dem Futtermittel-Thema will man damit begegnen, dass man sich aktiv auf die Suche nach umstiegswilligen Ackerbauern begeben wird. Damit will Brunnbauer der heimischen Biobranche neue Impulse geben. „Seit längerem schon ist die Umstellungsbereitschaft verhalten, die Zahl der Betriebe ist sogar gesunken.“ Das gelte es zu ändern. „Naturland bietet ein breites Spektrum an interessanten Marktzugängen.“ Das würden die Unternehmenspartner verstehen.

In der Milchwirtschaft rollt der Zug jedenfalls eindeutig weiter in diese Richtung. Auch Österreichs größte Molkereigenossenschaft, die Berglandmilch, hat mit Dezember 2024 eine Zertifizierung für ausgewählte Betriebe für ein Sonderprojekt für den deutschen Markt abgeschlossen. Weitere namhafte Unternehmen könnten folgen. Österreichs Biolandschaft wird also ohne Zweifel künftig von zwei bedeutenden Verbänden gelenkt.