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Gastro-Kennzeichnung wird kommen, AZ in Gefahr

Landwirtschaftsministerin ELISABETH KÖSTINGER fürchtet, dass die derzeitigen Unsicherheiten in der Versorgungslage erst der Beginn sind. Auf den Handel ist sie weiterhin nicht gut zu sprechen. Langfristig soll auch in der Gastronomie eine Herkunftskennzeichnung kommen. Kurzfristig muss um das System der Ausgleichszulagen gekämpft werden, sagt sie im Gespräch mit STEFAN NIMMERVOLL.

Die Bundesregierung ist bei einem Lieferstopp für Gas aus Russland, wie er von manchen europäischen Politikern gefordert wird, recht skeptisch. Welche Bedeutung hätte denn ein solcher Verzicht für Österreich und seine Landwirtschaft?

Er wäre verheerend. Wir tragen das fünfte Sanktionspaket der Europäischen Union mit, das große Auswirkungen auf die österreichische Wirtschaft hat. Beim Thema Gas wäre die Abhängigkeit aber viel zu groß. Das ist der Grund, warum wir uns gegen diese Art von Sanktionen ausgesprochen haben.

An welcher Stelle kommen denn die Landwirtschaft und die Lebensmittelherstellung, wenn es dennoch zu einer Zuteilung des Gasbezuges kommen muss?

Die Lebensmittelproduktion ist systemkritisch. Die Versorgung muss unbedingt aufrechterhalten werden. Dasselbe gilt für sämtliche Betriebsmittel, die man braucht, um Lebensmittel produzieren zu können. Deshalb wird im Klimaschutzministerium gerade das Energielenkungsgesetz diskutiert, das genau diese Priorisierung enthalten muss.

Schon bei Corona hat es geheißen, dass wir gewisse Produktionszweige wieder stärker in die eigene Hand nehmen müssen. Gehört die Lebensmittelherstellung dazu?

Wir haben schon in den letzten Jahrzehnten in der Agrarpolitik gezeigt, dass wir extrem hohen Wert auf einen ausreichenden Selbstversorgungsgrad legen. Durch Corona und die Auswirkungen des Krieges erfährt das Thema öffentlich mehr Aufmerksamkeit. Das halte ich für positiv, weil die Lebensmittelversorgung durch den Wohlstand in den letzten Jahrzehnten fast zu selbstverständlich geworden ist.

Gibt es in ihren Prognosen ein Worst Case-Szenario, bei dem die Versorgung mit Nahrungsmitteln in Österreich nicht mehr gewährleistet wäre?

Wir haben seit Beginn des Angriffskrieges Russlands einen Krisenstab im Landwirtschaftsministerium eingerichtet, wo wir uns Marktlage, Preisentwicklung und Lieferketten aktuell anschauen. Vor allem was die Inlandsproduktion betrifft, sind wir sehr gut aufgestellt. Wir hängen aber stark von Betriebsmittelimporten ab. Nicht zuletzt ist die Energiefrage ganz entscheidend.

Wie dramatisch kann die Lage tatsächlich werden?

Wir sind in einer außerordentlichen Zeit. Was wir jetzt an Unsicherheiten bei der Versorgungslage erleben, ist erst der Beginn. Je länger der Ukrainekrieg dauert, desto schwieriger wird die Logistik werden. Darauf müssen wir uns als Staat so schnell als möglich vorbereiten und alle möglichen Szenarien durchspielen

Sollen Krisenläger mit Getreide, Dünger und anderen Betriebsmitteln angelegt werden?

Wir sind seit einigen Wochen dabei uns Bevorratungsmodelle anzuschauen. Eine solche Situation haben wir seit dem 2. Weltkrieg nicht mehr erlebt. Der europäische Binnenmarkt hat da auch Vorteile. Offene Grenzen ermöglichen es uns, auf vielfältige Bezugsquellen zurückgreifen zu können.

Andere Staaten führen aber Exportbeschränkungen für ihr Getreide ein.

Gerade das Beispiel Ungarn hat gezeigt, dass das nicht mehr funktionieren kann. Auch dort hängt man sehr stark von Importen ab. Wenn das jeder macht, dann führt das sehr schnell zu Engpässen.

Ist es aktuell legitim, aus Getreide Industrierohstoffe herzustellen, während in Nordafrika eine Hungersnot droht? Braucht es eine Lenkung der Verwendungszwecke?

Die Qualität von Speisegetreide ist eine andere als die, die in der Ethanolproduktion landet. Außerdem fallen hochwertige Nebenprodukte, wie zum Beispiel Eiweißfuttermittel, an. Für Österreich ist es sehr gut darstellbar, dass industrielle Verwendung nicht auf Kosten von Lebensmitteln geht.

Ist es zu einfach gedacht, wenn man meint, dass mit weniger Tierhaltung mehr pflanzliche Lebensmittel für den direkten menschlichen Verzehr übrigbleiben würden?

Ich halte diese Diskussion für ideologisch falsch gesteuert. Der Nährwert tierischer Lebensmittel ist um ein Vielfaches höher. Sie gehören zum Speiseplan in Europa in jedem Fall dazu. Ich spreche mich aber absolut für einen bewussten Umgang mit Fleisch aus. Es soll wieder etwas Besonderes und Wertvolles werden. Wenn die Krise dazu führt, dass es hier ein Umdenken gibt, muss uns das in der Landwirtschaft recht sein.

Wie kann man die Leistbarkeit des Essens für Geringverdiener gewährleisten? Ist eine Obergrenze für Preise für Grundnahrungsmittel vorstellbar?

Die Teuerung betrifft die gesamte Gesellschaft in einem noch nie dagewesenen Ausmaß. Wir haben als Bundesregierung deshalb bereits zwei Entlastungspakete in der Höhe von vier Milliarden Euro in Umsetzung. Wir diskutieren gerade intensiv mit dem Koalitionspartner, dass wir weitere Maßnahmen zur Verfügung stellen.

Wäre es denkbar, die Steuern auf Lebensmitteln zu reduzieren? Immerhin nimmt der Staat bei höheren Preisen ja automatisch mehr ein.

Das Finanzministerium schaut sich unterschiedlichste Modelle sehr genau an. Vor allem Energie- und Rohstoffkosten sind aber derzeit die akuten Preistreiber. Deshalb brauchen wir zielgerichtete Maßnahmen, vor allem in der Erzeugung. Grundsätzlich sind sich viele Experten einig, dass solche Maßnahmen sinnvoller sind als die wenig treffsichere Senkung der Mehrwertsteuer. Die Experten des IMF haben gerade im Rahmen der Frühjahrstagung in Washington zur Bekämpfung der Inflation mittels struktureller Veränderungen statt temporärer Einzellösungen geraten. Auch WIFO-Agrarökonom Franz Sinabell hält fest, dass Senkungen bei Lebensmitteln nicht zielführend, sondern Stabilisierungen der Energie- und Agrarpreise notwendig sind.

Die Bauern verlangen einen Ausgleich für die hohen Energiepreise. Andere Länder unterstützen die Landwirte bei den Kosten für Betriebsmittel. Wird es in Österreich ähnliches geben?

Es wird in jedem Fall ein Entlastungspaket für die Landwirtschaft brauchen. Wir sind dazu in intensiven Gesprächen mit dem Koalitionspartner. Leider findet dabei dessen ideologische Grundhaltung stark Niederschlag. Es muss aber jedem klar sein, dass wir jetzt alles dafür tun müssen, dass die Betriebe in der Produktion bleiben. Vor allem die Veredelung ist da ganz entscheidend.

Die Opposition fordert einen Nachlass der Sozialversicherungsbeiträge für die Bauern.

Da haben wir in den letzten drei Jahren schon massive Entlastungsschritte gesetzt. Bei der Steuerreform wurde an vielen Schrauben gedreht. Jetzt ist es am entscheidendsten, die Teuerung bei den Betriebsmitteln auszugleichen.

Die biologische Produktion braucht per Definition weniger Betriebsmittel. Wäre mehr Bio ein Ausweg aus diesem Dilemma?

Wir kommen aus einer Überflusssituation. Diese Zeiten sind vorbei. Wenn man sich die aktuelle Versorgungslage und die Prognosen für Herbst anschaut, dann müssen wir in ganz Europa alles dafür tun, um wieder stärker zu produzieren. Dafür braucht es Betriebsmittel.

Heißt das, dass mit Bio die Versorgung nicht sicherzustellen ist?

Die Wirtschaftsweise ist egal. Auch im Biobereich sind wir aufgrund der Forschung und Entwicklung mit guten Erträgen gesegnet. Wer wie arbeiten will, ist aber eine betriebswirtschaftliche Entscheidung.

In der Freigabe der einjährigen Brachflächen wird von vielen Experten keine wirkliche Veränderung der Versorgungslage gesehen. Wird da der grüne Weg der Landwirtschaft für Symbole geopfert?

Vier Mio. Hektar in ganz Europa sind durchaus herzeigbar. Wir brauchen sie ganz dringend, auch weil wir wieder mit einem trockenen Frühjahr konfrontiert sind und wir davon ausgehen müssen, dass es kein besonders ertragsreiches Jahr wird. Anbauentscheidungen werden jetzt getroffen. Nächstes Jahr ist es zu spät darüber zu jammern, dass wir vielleicht den falschen Weg gewählt haben.

Sie haben jüngst ein Fairness-Büro geschaffen, das als Ombudsstelle unfaire Geschäftspraktiken im Handel unterbinden soll. Gibt es schon ein erstes Feedback dazu?

Aktuell haben wir viele Anfragen zu Informationen, welche Leistungen man in Anspruch nehmen kann. Die arbeitet das Büro gerade ab. Für ein erstes Resümee ist es aber noch zu früh.

Der Leiter Johannes Abentung kommt eindeutig aus dem Bauernbund-Universum. Konterkariert das nicht die Unabhängigkeit der Institution?

Keinesfalls. Johannes Abentung ist ein wirklicher Kenner der gesamten Wertschöpfungskette und ein ausgewiesener Rechtsexperte. Die Unabhängigkeit der juristischen Beratung ist damit absolut gesichert.

Zuletzt wurde auch medial mit harten Bandagen gekämpft. Die Handelsbosse und sie haben sich einige Unfreundlichkeiten ausgerichtet. Ist das Porzellan, das da zerschlagen wurde, noch zu kitten?

Ich habe mich so viele Jahre lang um ein faireres Verhältnis bemüht. Freiwillige Selbstverpflichtungen wurden unterzeichnet. Vieles waren nur Lippenbekenntnisse. Den Worten sind nur selten Taten gefolgt. Man macht mit den Bauern Werbung. Die Preiserhöhungen im Regal kommen aber bei weitem nicht bei ihnen an. Ich halte es daher für meine Pflicht, darauf hinzuweisen, dass einzelne Konzerne Krisengewinner sind.

Das Ministerium und die Länder haben 2021 den Verein „Land schafft Leben“ mit rund 760.000 Euro für die „Sensibilisierung der Konsumenten“ unterstützt. Sind Sie mit der Arbeit der AMA Marketing nicht mehr zufrieden?

Wenn man sich die gesellschaftlichen Diskussionen rund um die landwirtschaftliche Produktion anschaut, ist jeder, der einen Beitrag leistet, um zu erklären, wie wichtig die Arbeit der Bauern ist, willkommen. Es ist gut, wenn es Bäuerinnen und Bauern gibt, die sich in die Öffentlichkeit stellen und kommunizieren.

Produktionsstandards werden mittlerweile oft vom Handel festgesetzt. Wird es gelingen, mit den geplanten Adaptionen des AMA-Gütesiegels die Deutungshoheit zurückzugewinnen?

 Das AMA-Gütesiegel ist eine beispiellose Erfolgsgeschichte, die sich immer wieder weiterentwickelt hat, genauso wie sich die Betriebe weiterentwickelt haben. Die Gesellschaft wandelt sich und mit ihr die Bedürfnisse. Worauf ich Wert lege, ist, dass sich auch der Preis weiterentwickeln muss, wenn die Standards erhöht werden.

Die Aufdeckung der Zustände in einem Kärntner Schweinemastbetrieb hat das Vertrauen in das Siegel nicht gerade gestärkt. Muss da besser kontrolliert werden?

Es gibt bei den Kontrollen ein gutes, nachvollziehbares System. Eine Situation kann sich aber sehr schnell verschlechtern, wenn ein Betriebsführer gesundheitliche Probleme hat. Jeder einzelne Fall, bei dem Tiere gequält oder nicht adäquat gehalten werden, muss bestraft werden. Das steht komplett außer Zweifel. Ich werde mich aber immer vor die über 20.000 schweinehaltenden Betriebe stellen, weil einzelne Fälle nicht das Gesamtbild darstellen.

Österreich argumentiert immer mit seinem besonders hohen Tierwohlstandards. Wenn man auf die Schweine schaut, muss man aber feststellen, dass andere Länder da schon um einiges weiter sind. Passen da Selbstbild und Realität zusammen?

Wir haben zusammen mit der Branche den „Pakt für mehr Tierwohl“ ins Leben gerufen und wollen mit 120 Mio. Euro pro Jahr gemeinsam mit den Betrieben eine Weiterentwicklung schaffen. Ich bin überzeugt davon, dass uns das gelingen wird, wenn der Konsument bereit ist, etwas mehr für das Produkt zu bezahlen.

Das Land Burgenland möchte die Vollspaltenböden beim Verfassungsgerichtshof prüfen lassen. Auch der zuständige Tierschutzminister Rauch möchte diese lieber heute als morgen abschaffen. Hat das System noch Zukunft?

Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass der gängige Standard, der über 90 Prozent der Produktion in Europa ausmacht, rechtlich nicht halten soll. Das wäre im Widerspruch zum europäischen Binnenmarkt. In den Nachbarländern entstehen in Sichtweite zu unserer Grenze tausende Mastplätze mit häufig sehr niedrigen Standards, weil dort verfolgt wird, dass wir stärker auf Tierwohl setzen. Es kann nicht sein, dass wir bei uns die Produktion behindern und dann billiges Fleisch importieren.

Wie stehen Sie zu einer Haltungsformkennzeichnung auf den Produkten? Sonst ist es ja „der Sau wurscht, ob sie in Ungarn oder in Österreich auf Spaltenboden steht“, wie Gastronomieobmann Pulker gesagt hat.

Ich bin ein absoluter Verfechter einer Herkunftskennzeichnung. Wir sind seit vielen Jahren im World Animal Protection Index gemeinsam mit Schweden ganz vorne. Wer ein österreichisches Produkt kauft, kann sich sicher sein, dass es zu hohen Tierwohlstandards produziert ist.

Die Grünen wollen die Herkunft ja auch in der Gastronomie gekennzeichnet haben.

 Wir haben gemeinsam ein Regierungsprogramm erarbeitet, das die Herkunftskennzeichnung bei verarbeiteten Lebensmitteln und in Kantinen vorsieht. Das umzusetzen, ist ein echter Meilenstein für Landwirte und Konsumenten.

Den Verweis aufs Regierungsprogramm hört man aus der ÖVP immer. Sind Sie unabhängig davon dafür, dass diese Kennzeichnung auch bei den Wirten kommt?

Daran wird sowieso kein Weg vorbeiführen. Aber wir haben vereinbart, bei den Großen zu beginnen. Die Lebensmittelindustrie holt sich Millionen Tonnen und verarbeitet sie so, dass man den Eindruck hat, dass es ein österreichisches Produkt ist. Dabei kommt der Rohstoff aus Ländern des Ostens. Deshalb ist es wichtig, bei den Industriebetrieben zu beginnen und zuerst ein Rückverfolgbarkeitssystem aufzubauen, damit man überhaupt kontrollieren kann.

Österreich hat eine recht umfangreiche Rückmeldung zu seinem GAP-Strategieplan erhalten. Wie wird man dabei jetzt weiter vorgehen?

Ich bin grundsätzlich sehr zufrieden mit den Anmerkungen der EU-Kommission. Sie sind in großen Teilen allgemeiner Natur und haben fast alle Länder im selben Ausmaß getroffen. Wir waren schon im Erarbeitungsprozess in einem intensiven Austausch mit der EU-Kommission und haben immer schon einen Schwerpunkt auf Umweltambitionen und Klimaschutz gelegt.

Kritisch könnte es aber bei der Ausgleichszulage werden.

Wir haben ein zielgerichtetes System der Umverteilung, vor allem im Berggebiet. Solche Maßnahmen gibt es in anderen Ländern nicht. Das werden wir mit den zuständigen Kommissionsbeamten vertiefend klären.

Ist sie in Gefahr?

Die Ausgleichszulage ist ein sehr differenziertes Instrument, das keinesfalls in Frage gestellt werden darf.