Foto: Johannes Zinner

Völlig falsche Strategie?

Zum Jahreswechsel verlässt Willi Klinger die Österreich Wein Markting, ÖWM, nach 13 Jahren in
Richtung des Händlers Wein & Co. Im Abschlussinterview mit STEFAN NIMMERVOLL macht er sich auch
über die Milchwirtschaft Gedanken.

BLICK INS LAND. Warum räumen Sie das Feld? Ist Ihre Mission erfüllt?
Klinger: Ich konnte viele Akzente setzen und habe mich entschlossen, noch einmal eine spannende Position in der Privatwirtschaft zu übernehmen. Die Aufgabe als neuer Geschäftsführer von Wein&Co ist für mich eine emotionale Sache, weil ich schon bei der Gründung im Jahr 1993 die operative Geschäftsführung innehatte. Und die Herausgabe der „Weingeschichte Österreichs“ ist ja auch ein schöner Abschluss.

Ihr Nachfolger Chris Yorke stammt aus England und war Globaler Marketing Direktor der New Zealand Winegrowers. Hat es in Österreich nicht ausreichend geeignete Experten für diese Aufgabe gegeben?
Ich halte es für ein bemerkenswertes Zeichen von Mut und Weltoffenheit, dass sich der Aufsichtsrat für Yorke entschieden hat. Er kann bestimmt neue Impulse setzen, besonders für Märkte, wo wir den Neuseeländern noch nicht das Wasser reichen können, zum Beispiel in Asien.

Was erwarten Sie von ihm?
Er wird den österreichischen Wein zu neuen Höhenflügen führen. Ich habe ihm gesagt: Ich übergebe dir die Wiener Philharmoniker des Weins. Jetzt musst du sie nur noch nach deinen Vorstellungen dirigieren. Chris bereitet sich derzeit sehr gewissenhaft auf seine neue Aufgabe vor. Er spricht sehr gut Deutsch, sogar „Schwyzerdütsch“, weil er in der Schweiz aufgewachsen ist. Da wird er auch bald die Sprache unserer Winzer beherrschen.

Die Exportwerte des österreichischen Weins sind über die Jahre beständig gewachsen. Kann der Erfolg unbegrenzt weitergehen?
Unsere Produktionskapazität ist sicher nicht unendlich, aber das Ende der Fahnenstange ist noch lange nicht erreicht. Wir hatten 2018 einen Exportumsatz von 170 Millionen Euro. Mein Nachfolger  hat mit Neuseeland bei gleicher Produktionsmenge eine Milliarde gestemmt. Warum sollten wir nicht in fünf Jahren 300 Millionen schaffen?

Verstehen Sie die Kritik mancher Winzer, dass sie mit ihren Beiträgen das Marketing für große Spitzenweingüter, die ohnehin schon im Verkauf erfolgreich sind, unterstützen?
Wir müssen diesen Winzern noch stärker nahebringen, dass es auch für sie wichtig ist, dass die Spitzenweingüter neue Absatzmärkte erschließen und zu hohen Preisen verkaufen, vor allem im Export. Das schafft Platz für kleinere, lokal aktive Winzer. Was würden diese erst sagen, wenn die Großen auch noch auf den lokalen Markt drücken würden?

Gibt es so etwas wie ein Elitebewusstsein der Winzer anderen Landwirten gegenüber?
Sie sind tatsächlich unsere wirtschaftlich erfolgreichsten Bauern und zeigen auf, wie der Berufsstand im modernen Unternehmertum Platz findet. Der wichtigste Aspekt dabei ist, dass sich der Bauer nicht zum total abhängigen Rohstofflieferanten degradieren lässt, was er heute oftmals ist.

Was können andere Sektoren von den Winzern lernen?
Das Um und Auf wäre ein strategisches Herkunftsmarketing mit dem raschen Ausbau von geschützten Ursprungsbezeichnungen. Mein Heimatbundesland Oberösterreich hat jede Menge Milch, eine reiche Käsetradition und keine einzige in Brüssel eingetragene g. U. Die Bauern müssen zu Weltmarktpreisen produzieren, weil bei den Endprodukten von den Milchkonzernen eine völlig falsche Marketing­strategie gefahren wird. Wenn ich das unseren Agrarpolitikern sage, schauen sie mich höchstens ungläubig an. Dafür machen sie ständig irgendwelche Konzepte, die mangels einer strategischen Vision von Anfang an zum Scheitern verurteilt sind.

Also muss es ein völlig anderes Herangehen geben?
Definitiv. Nach dem Krieg war die Strategie der Bündelung der Aufgaben in der Urproduktion auf der einen und Verarbeitung auf der anderen Seite richtig, um die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Nahrung sicherzustellen. Danach kam es jedoch zu einem Kahlschlag bei den Verarbeitungsbetrieben. Molkereigenossenschaften wurden gnadenlos fusioniert, weil sich die Vision der sogenannten Strategen auf Rationalisierung und Industrialisierung und der Imitation französischer und italienischer Käsesorten beschränkte. Hätten wir das beim Wein auch so durchgezogen, gäbe es heute nicht diese unglaubliche Vielfalt an Weltklasseweinen, um die uns viele beneiden und die sich international gewinnbringend verkaufen lassen. Den Gewinn machen beim Wein nicht ein paar wenige Konzerne, sondern eine jährlich wachsende Zahl hochprofitabler Kleinbetriebe.

Alles eitel Wonne ist aber auch im Weinbau nicht. Gerade hier haben besonders viele Betriebe aufgehört. Am freien Traubenmarkt werden keine kostendeckenden Preise bezahlt.
Strukturwandel findet wie das Amen im Gebet statt, denn die Zeit bleibt nicht stehen. Gerade der freie Traubenmarkt sollte aber so schnell wie möglich verschwinden. Denn wenn ein Winzer beim Abschneiden der Traube nicht weiß, für welchen Wein sie verwendet wird, sitzt er in der Falle.