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Insektensterben-Studie wird „Unstatistik des Monats“

Heftige Kritik an deutschen Medienberichten über eine Studie zum „Insektensterben“ übt der Statistik-Professor Walter Krämer von der TU Dortmund. Er hat gemeinsam mit Kollegen die Studie wegen methodischer Mängel zur „Unstatistik des Monats Oktober“ gekürt. Diese Negativ-Auszeichnung wurde bereits zum zweiten Mal zu diesem Thema vergeben: Im August 2017 hatten verschiedene Medien gemeldet, dass „80% der Insekten in Deutschland verschwunden“ seien: In zwei Fallen in einem Naturschutzgebiet nahe Krefeld hatte man 1989 etwas mehr als 1 kg Flug-Insekten gefangen, 2013, also 24 Jahre später, seien es um 80% weniger gewesen. Man dürfe aus zwei lokalen Stichproben keine Schlüsse auf ganz Deutschland ziehen, bemängelten die Statistiker.

Im Oktober ging dieses Thema aufgrund einer größeren Stichprobe nochmals durch die Medien (unter anderem im „Tagesspiegel“, im Deutschlandfunk, in der „Welt“ und in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“). Dort wurde über eine Studie berichtet, die auf Daten von 63 Insektenfallen zurückgreift, die der Krefelder Verein zwischen 1989 und 2016 aufgestellt hatte. Nach diesen 27 Jahren hatte man 76% weniger Insekten-Biomasse in den Fallen. Jedoch war keine einzige dieser Fallen über den gesamten Zeitraum an einem Ort aufgestellt. Stattdessen – wie die Autoren der Studie selbstkritisch anmerken – wechselten viele Standorte von Jahr zu Jahr. An den meisten Standorten wurde keine einzige Wiederholungsmessung durchgeführt.

„Wichtig für die Bewertung dieser 76% ist aber auch ein allgemeines Prinzip des kritischen Denkens: Jede berichtete Abnahme zwischen zwei Zeitpunkten hängt davon ab, welchen Anfangszeitpunkt man wählt. Dies gilt besonders bei drastisch schwankenden Werten, wie bei Börsenkursen und eben auch bei Insekten. Hätte man das Jahr 1991 statt 1989 als Anfangspunkt gewählt, dann wären es statt 76% weniger Insekten nur etwa 30% weniger gewesen. Das ist immer noch ein Anlass zum Nachdenken über die Ursachen – eine Frage, worauf die Studie übrigens keine Antwort findet. Es ist aber auch ein Anlass darüber nachzudenken, warum man immer wieder versucht, uns mit möglichst erschreckenden Zahlen Panik zu machen“, kritisiert Krämer.

In einem Interview mit dem Online-Branchendienst „Meedia“ fordert der Statistik-Experte jetzt eine seriösere Berichterstattung über solche Studien. Auf der einen Seite orte er bei manchen Journalisten eine mangelnde Kompetenz, Statistiken richtig zu lesen und einzuordnen, andererseits gebe es Medien, die sich „wie die Junkies auf jeden Schrott stürzen, wenn er nur ihrer Sucht nach Bestätigung eines vorgefassten Weltbildes entgegenkommt“, so Krämer. Medien sollten „weniger predigen und mehr über Fakten berichten“.

Der Titel „Unstatistik des Monats“ wurde von Krämer gemeinsam mit dem Vizepräsidenten des Rheinisch-Westfälischen-Instituts für Wirtschaftsforschung, Thomas Bauer, und dem Berliner Psychologen Gerd Gigerenzer, Geschäftsführender Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, im Jahr 2012 ins Leben gerufen. Mit dieser Aktion hinterfragen die Wissenschafter jeden Monat sowohl jüngst publizierte Zahlen als auch deren Interpretationen. Diese Negativ-Auszeichnung soll dazu beitragen, mit statistischen Daten vernünftig umzugehen und sie korrekt zu deuten. Mit dem Titel „Unstatistik des Monats“ wurden unter anderem auch Studien über „34% mehr Parkinson durch fettarme Milchprodukte“ und über angeblich steigenden Pflanzenschutzmitteleinsatz in der BRD bedacht.