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Wenn die Rübe nicht mehr alles zahlt

Geht dem konventionellen Ackerbau zunehmend die Luft aus? Immer mehr Ackerbauern suchen ihr Heil in der Flucht in die biologische Landwirtschaft. STEFAN NIMMERVOLL hat nachgefragt.

Der agrarische Strukturwandel schreitet seit vielen Jahren in den Ackerbau-Gunstlagen weitaus schneller voran als im benachteiligten Grünland- und Berggebiet. Das zeigt etwa ein Blick ins Burgenland. 1990, wenige Jahre vor dem EU-Beitritt, zählte man dort noch 26.000 landwirtschaftliche Betriebe, aktuell nur mehr 5.800 Höfe. Alleine von 2013 bis 2016 betrug das Höfesterben laut Statistik Austria in den stark vom Ackerbau geprägten Bundesländern Burgenland und Niederösterreich 6,4 bzw. 5,4 Prozent. In Vorarlberg ging die Zahl der Bauernhöfe im selben Zeitraum nur um bescheidene 1,5 Prozent und in Tirol um 2,6 Prozent zurück.

Was aber sind die Gründe dafür, dass in den vergangenen Jahrzehnten mehr als die Hälfte der Ackerbauern ihre Traktorschlüssel für immer an den Nagel gehängt haben? Und haben die verbliebenen Höfe überhaupt noch Zukunft? Fest steht: Der wirtschaftliche Druck auf die Bauern in Sachen Produktionskosten und Preise wie auch der gesellschaftliche Druck in Sachen Betriebsführung, Umwelt und Tierwohl wird immer stärker. So ist etwa das zu erwartende endgültige Aus für umstrittene Spritzmittel mit Glyphosat nur ein weiterer Nadelstich für Getreidebauern – ebenso wie der drastische Verfall der Rübenpreise nach dem Ende der Zuckermarktordnung im vergangenen Herbst.

„Momentan leben wir konventionellen Ackerbauern alle von der Substanz“, seufzt Ernst Karpfinger im Gespräch mit BLICK INS LAND. Der Rübenbauern-Präsident wird derzeit von seinen Mitgliedern mit vielen Sorgen konfrontiert, allen voran wegen 50 Prozent geringerer Zuckerpreise. „Früher hieß es: Die Rübe zahlt alles. Aber das stimmt einfach nicht mehr.“ Dass sich Österreichs Rübenbauern im Vorfeld des Quotenfalls „in Vernunft geübt und ihre Flächen kaum ausgeweitet haben“, mache sich für sie jedenfalls nicht bezahlt. 2017 ist die Rübenfläche in der EU um 240.000 Hektar ausgeweitet worden. Das allein entspricht der sechsfachen Vertragsanbaufläche Österreichs.

Die enorme Ausweitung in anderen Ländern ließ die Preise in den Keller rasseln. Nun überlegt hierzulande so mancher Rübenbauer, ob er weiterhin Rüben im bisherigen Umfang anbauen soll. Die Agrana als Abnehmer wirbt bereits händeringend um ihre Lieferanten, wenn auch ohne bedeutsame Preiszuschläge. Die gebe der Markt derzeit einfach nicht her, wird betont. Gerade Rübenbauern droht derweil weiteres Ungemach: Die Ausnahmeregelung für die Beizung der Rübensamen mit Neonicotionoiden gegen Fraßschädlinge dürfte demnächst fallen. Eine EU-Entscheidung darüber wurde im Dezember vertagt. Allerdings sieht sogar die EU-Lebensmittelbehörde EFSA anders als den Wirkstoff Glyphosat die Neonics kritisch. Was deren Sonderzulassung wenig wahrscheinlich macht. Ein Neonics-Verbot würde den Strukturwandel im Ackerbau weiter befeuern, warnt die Industriegruppe Pflanzenschutz (IGP) und sieht als Ursache die Umweltschutzkampagnen der NGOs wie Greenpeace oder Global 2000. „Wenn Glyphosat und Neonics verboten sind, werden neue Wirkstoffe angegangen, bis der Resistenzdruck so groß ist, dass konventionelle Landwirtschaft nicht mehr möglich ist“, zeichnet Nils Bauer von Bayer CropScience Österreich ein düsteres Bild. Gehen noch diverse Fungizide wegen ihrer Hormonwirkung verloren, leert sich der Agrochemie-Werkzeugkasten eines konventionellen Ackerbauern.

Ohne einen solchen kommen Biobauern aus. Zudem war Österreich mit Förderungen der biologischen Produktion stets recht großzügig. So kommen immer mehr Ackerbauern nach nüchterner Kalkulation ihrer Kosten zum Schluss, nach dem Umstieg auf Bio finanziell besser zu fahren. „Wir haben derzeit zahlreiche Anfragen aus dem Weinviertel. Große Betriebe im Marchfeld sind schon umgestiegen“,  berichtet der Bio Austria-Landesobmann Otto Gasselich. Ähnliches höre er aus dem nördlichen Burgenland. Zwar liegen dem Verband noch keine konkreten Zahlen vor, aber in Dörfern, in denen die Hemmschwelle gegenüber Bio längst gefallen ist und die Landwirte sehen, dass biologisches Wirtschaften grundsätzlich funktioniere, würden immer mehr Betriebe umsteigen. Um das Biopreisgefüge nicht zu gefährden, brauche es aber auch ein Mitziehen der Verarbeitungsindustrie samt verstärkter Exportbemühungen.

Auch bleibt abzuwarten, wie sich die Bioförderungen bei einem verstärkten Run auf die Gelder entwickeln werden. Ernst Karpfinger warnt davor, dass man bei generell drohenden Kürzungen der EU-Agrarförderungen zudem durch Umschichtungen national bei herkömmlichen Ackerbauern sparen könnte. Karpfinger: „Wer meint, dass es den großen Betrieben im Osten gut geht, verkennt die Lage.“ Letztlich könnte Brüssel Österreich bei den besonders hohen Bio-Zuschlägen einen Strich durch die Rechnung machen. Diese dürfen nämlich, wie alle ÖPUL-Gelder, nur den finanziellen Mehraufwand abgelten, aber kein (Zusatz-)Einkommen sein. Kommt das EU-Agrarbudget etwa wegen des Briten-Ausstiegs unter Druck, könnten diverse Rechnungshöfe wohl einen genaueren Blick auf die gelebte Praxis werfen, befürchtet auch ein Mitarbeiter der LK Österreich. Und dann könnte der kalkulatorische Vorteil, mit dem manche momentan ihren Umstieg begründen, rasch passé sein. Das wissen auch die Biofunktionäre um Otto Gasselich. Von einer künftigen GAP wünschen sie sich daher eine Weiterentwicklung des Förderwesens: um der Argumentation, mittels ÖPUL würde derBiolandbau „überfördert“,entgegenzuwirken.