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Sind wir denn im Sozialismus?

In Niedersachsen haben sich neben intensiven Schweinemästern auch leistungsstarke Milchviehbetriebe
etabliert. Schwarz-weiße Superkühe prägen das Bild, berichtet STEFAN NIMMERVOLL aus dem Raum Bremen.

Im Jahr 1995 hat Frank Cordes einen Hof mit 39 Hektar Land und 24 Kühen von seinem Vater übernommen. Für damalige Verhältnisse in der BRD war der klassischer Familienbetrieb 40 Kilometer östlich der Hansestadt Bremen zwar „lebensfähig, aber eher klein“. Gut 20 Jahre später ist der „Milchhof Reeßum“ – benannt nach dem hiesigen Dorf – ein Besuchsziel für internationale Exkursionen, um zu sehen, wie ein Hochleistungs-Milchviehbetrieb funktioniert. 760 Holstein-Kühe stehen dort im Stall, samt Nachzucht sind es 1.330 Rinder, die heute mit der Ernte von 352 Hektar Acker- und Grünland gefüttert werden.

„Ich will immer vorwärts“, sagt Milchbauer Cordes. Anfangs sei er dafür noch belächelt worden. Für ihn gebe es aber „nur zwei Möglichkeiten: Gas geben oder es bleiben lassen.“. Der Berater der Landwirtschaftskammer hätte ihm sogar abgeraten, als er zu Beginn den Kuhbestand in einem einzigen Schritt von 24 auf 48 verdoppelte. Der Zweifel anderer seien für ihn aber geradezu „ein zusätzlicher  Motivationsschub“, meint Cordes. Denn Stillstand sei Rückschritt. So spricht Cordes auch schnell und viel, wenn er vom rasanten Wachstums seines Hofes berichtet. Mit seinen hochfliegenden Plänen wollten anfangs auch die Banken nicht so recht mitziehen. Also lachte sich der Milchbauer einen im Spielzeughandel reich gewordenen Bremer an, der sein Geld in die Landwirtschaft investieren wollten. An Bord geholt wurde auch Cordes‘ Nachbar, 2011 gründete das Trio eine KG, wodurch das heutige Betriebsausmaß erst möglich wurde.

Obwohl oder gerade weil Kapital von Dritten in den Anlagen steckt, kalkuliert der Milchhof Reeßum seine Kosten extrem genau. 27,5 Cent Milchpreis braucht das Unternehmen, um die Vollkosten abzudecken. Vor zweieinhalb Jahren lag dieser Betrag noch um vier Cent höher. Wobei Cordes für seine Planung weniger der absolute Betrag als die Entwicklung interessiert. „Wir müssen wissen, wie wir uns entwickeln. Jetzt haben wir den neuen Mais in der Ration – durch die Umstellung ist der erforderliche Mindestmilchpreis gleich um ein paar Zehntel Cent höher.“ Zwar ließen sich „mit den Futterkosten keine Welten bewegen, der echte Hebel für die Steigerung der Effizienz ist immer noch die Milchleistung“, verweist Cordes auf 12.100 Kilogramm im Herden durchschnitt. Während der Milchkrise, als an allen Ecken und Enden gespart werden musste, um die Verluste zu begrenzen, war man auf 10.000
Kilogramm herunten. Mittlerweile melke man wieder drei- statt zweimal pro Tag. „Momentan wird der Melkstand nicht kalt“, heißt das bei Frank Cordes. Wobei der letzte Liter Milch oft nicht unbedingt noch sinnvoll sei. „Wenn die Rechnung ergibt, dass wir mit 11.500 Kilogramm effizienter sind als mit 12.100, dann werden wir eben weniger melken.“

Abnehmer der Milch ist die Elsdorfer Molkerei. Diese habe Großlieferanten gesucht und zahle gemäß einer attraktiven Mengenstaffelung. „Über die Autobahn sind es nur 20 Minuten bis zu unserem Hof. Da können sie den Tankwagen füllen und müssen nicht noch etliche andere Stationen ansteuern.“ Ob er mit seiner Betriebsphilosophie nicht andere Milchbauern aus dem Markt dränge, beantwortet Cordes nüchtern: „Einige werden wie wohl ohnehin geplant aufhören. Aber damit wird Platz für andere, die sich entwickeln wollen. Wenn ich gut bin, dann schaffe ich es.“ Dass er damit nicht unbedingt sympathisch klingt, weiß Frank Cordes. Ihm wäre es durchaus lieber, wenn es mehr Kooperation und Solidarität unter den Milchbauern gäbe. Auch an einem Lieferstreik habe er sich beteiligt. Bloß sei dies sinnlos gewesen. „Wenn wir im Landkreis alle weniger liefern, machen wir nur den 95 Prozent anderen in
Deutschland eine Freude.“ Europaweit sei es ähnlich. Freiwilliger Selbstbeschränkung helfe nur der internationalen Konkurrenz, die das sofort ausnützen würde. Auch sollte sich kein Milchbauer „Luftschlösser bauen und glauben, dass ihm die Agrarpolitik helfen werde.“ Und überhaupt: „Wir leben ja nicht im Sozialismus, wo der Staat alles planen soll.“

STEFAN NIMMERVOLL