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Bauern haben längst Zwölf-Stunden-Tag

Seit rund einem halben Jahr haben wir eine neue Bundesregierung, und Bundeskanzler Sebastian Kurz packt viele Dinge an, die lange Jahre liegengeblieben sind und undurchführbar waren. Darunter auch die Flexibilisierung der Arbeitszeit, vielfach auch als „Zwölf-Stunden-Tag“ bezeichnet – auch wenn das nur bedeutet, dass an einzelnen Tagen jetzt auch zwölf Stunden lang gearbeitet werden darf und dafür an anderen Tagen weniger lange gearbeitet werden muss. Das macht natürlich Sinn. Bisher konnte es passieren, dass etwa Bauarbeiter aus dem Waldviertel oder der Steiermark ihre Baustelle in Wien abbrechen und heimfahren mussten, obwohl sie nur mehr wenige Stunden bis zur Fertigstellung der aktuell anfallenden Tätigkeit gebraucht hätten. Für diese wenigen Stunden mussten sie dann extra wieder lange anreisen, um die letzten Kleinigkeiten zu erledigen. In dieser Zeit hätten sie aber schon wieder ganz wo anders arbeiten können. Oder eben die Zeit daheim bei ihrer Familie nutzen.
Die neue Flexibilisierung lässt hier nun mehr Spielraum, was sowohl den Arbeitgebern als auch den Arbeitnehmern zugutekommen soll.
Die Firmenchefs können ihre Arbeitstrupps viel besser und flexibler einsetzen, während die Arbeitnehmer die Mehrarbeit, die manchmal natürlich anfallen kann, mit längeren Freizeitblöcken an anderen Tagen wieder ausgleichen. So weit so gut und vernünftig. Trotzdem regt sich großer Unmut bei den üblichen Verdächtigen. Das sind übrigens auch jene, die in Firmenchefs nicht Arbeitgeber, sondern Ausbeuter sehen. Eine Sichtweise, die vielleicht vor mehr als hundert Jahren ihre Berechtigung hatte, seitdem aber längst auf den Friedhof vergangener Klassenkampf-Ideologien gehört. Denn eines macht schon stutzig: Ganz viele Branchen arbeiten bereits jetzt länger als acht Stunden: Pflegerinnen und Pfleger, Ärztinnen und Ärzte oder viele andere im Schichtbetrieb. Selbständige sowieso. Und natürlich die Bäuerinnen und Bauern.
Vor wenigen Tagen hat mir ein Waldviertler Landwirt geschildert, was der massive Borkenkäferbefall für ihn bedeutet: nämlich vor Sonnenaufgang in den Wald zu gehen, um die Schädlinge zu bekämpfen und befallene Bäume zu fällen und abzutransportieren. Danach klettert er auf den Traktor oder Mähdrescher und erledigt anfallende Arbeit auf Feld und Hof. Das ist kein Einzelfall, sondern tägliche Realität. Die Weinbauern stehen während der Lese ab vier Uhr Früh im Weingarten, die Milchbauern gehen täglich zweimal zum Melken in den Stall, werktags wie auch an Sonn- oder Feiertagen. Die Bauern arbeiten dann, wenn die Arbeit anfällt und zu erledigen ist. Dafür brauchen sie kein Mitleid, aber Verständnis.
Ich kenne aber auch unzählige fleißige Handwerker, engagierte Mediziner, tüchtige Angestellte in allen möglichen Branchen. Sie alle fragen – wie die Bäuerinnen und Bauern – nie nach der Zeit, die sie im Büro, im Operationssaal, auf der Baustelle oder am Traktor verbracht haben, sondern was sie in der Zeit weitergebracht haben. Wir sollten stolz und dankbar sein. Denn ohne diese Einstellung wäre Österreich heute nicht dieses erfolgreiche und schöne Land, das es ist.