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Brexit-Folgen: Zittern auf der Grünen Insel

Besonders Irlands Farmer zittern vor den Auswirkungen eines Austrittes von Großbritannien aus der EU. Ohne Nachfolgeabkommen für den Agrarsektor hätte dieser aber auch enorme Konsequenzen für die Landwirte am Festland. STEFAN NIMMERVOLL war vor Ort.

Seit dem Wegfall der Milchquote zeigen Irlands Milchbauern, was bei mildem Klima mit primär auf Grasland basierter Kuhhaltung alles möglich ist. Seit 2015 haben sie die Milchmenge um 35 Prozent gepusht, bis 2022 werden zusätzlich 30 Prozent mehr Milch erwartet. Das Quotensystem ab 1984 empfanden viele Iren stets als Fessel. „Holland, Dänemark und Deutschland waren damals schon gut entwickelt. Dies hat man den irischen Farmern lange nicht ermöglicht“, sagt Pat O´Keefe, Manager beim irischen Molkereiriesen Glanbia. Nun hole Irland eben das in drei Jahrzehnten unterbliebene Wachstum binnen weniger Jahre auf.

Die Milch muss allerdings anderswo abgesetzt werden: Neun von zehn Liter werden auf der Insel nicht gebraucht, und daher exportiert. Das funktioniert derzeit angesichts enorm wettbewerbsfähiger Produktionskosten und Preisen, die nur knapp über 20 Cent pro Liter Milch ausmachen, recht gut. Und wie überall sonst in Europa schwärmen auch die irischen Milchmanager über das gewaltige Absatzpotential in China. Wobei: Vorerst ist man primär auf den Nachbarn Großbritannien angewiesen. Auch Glanbia liefert 40 Prozent seiner Milchprodukte auf die Nachbarinsel. Cheddar aus Irland ist dort allgegenwärtig.

Kommt es im Zuge des geplanten Brexit ab Ende März zu keinem Abkommen zwischen der EU und London auf für Agrarprodukte, so werde der Käse wohl zum Großteil durch neuseeländische Produkte ersetzt werden, befürchtet O´Keefe. Irland müsste sich für Milch, Butter oder auch Cheddar um neue Absatzmärkte umsehen, nicht zuletzt im Rest der EU. Das würde den Milchmarkt am Kontinent wohl massiv stören, räumt der Milchmarktexperte ein.

Ähnlich ist die Lage bei den Fleischrindern, die wie Milchkühe ein fixes Standbein für den Großteil der irischen Farmer sind. Auch 90 Prozent der Fleischproduktion gehen in den Export; die Hälfte davon nach Großbritannien, wo fünfmal mehr irisches Beef auf den Tellern landet als in Irland selber. „Die Gewinnspannen sind gering. Kommen im schlimmsten Fall 40 Prozent Zoll darauf, macht es keinen Sinn mehr, dorthin zu exportieren“, weiß auch Irlands Außenminister Simon Coveney. Zudem könnten die Briten künftig Australien und Südamerika und Australien einen zollfreien Marktzugang gewähren, um ihren Steakbedarf zu decken. „Das würde der irische Rindfleischsektor nicht überleben“, warnt der Präsident der Irish Farmers Association, Joe Healy. Das wäre ein Szenario mit Konsequenzen auch für Österreichs Rinderbauern: Nicht wenige irische Edelteile würden es dann wohl auch bis Mitteleuropa schaffen und dort auf die Preise drücken.

Vieles hängt auch davon ab, ob es künftig wieder Grenzkontrollen zwischen der Republik Irland und dem zu Großbritannien gehörenden Nordirland geben wird. Nach Jahren blutiger Auseinandersetzungen zwischen protestantischen und katholischen Extremisten ist der Norden mittlerweile voll in die Wirtschaftsabläufe der gesamten Insel integriert. So werde etwa gut ein Drittel der Milchproduktion in Nordirland im Süden der Insel verarbeitet, berichtet der frühere irische Agrarminister Simon Coveney. „Auch 500.000 Lämmer aus dem Norden werden im Süden geschlachtet und hunderttausende Kälber aus dem Süden werden auf Bauernhöfen im Norden gemästet.“ Eine neue Handelsbarriere nach dem Brexit würde unabsehbare Auswirkungen darauf haben.

Verloren gehen für die nordirischen Farmern mit dem Austritt natürlich auch jene Fördergelder, die sie bisher aus Brüssel erhalten haben – insgesamt rund 700 Millionen Euro im laufenden EU-Budget. Zwar hat ihnen London garantiert, die Zahlungen bis 2022 in gleicher Höhe fortzusetzen. Was danach kommt, weiß indes noch niemand. Dass 2016 auch eine Mehrheit der Farmer im Norden für den Brexit gestimmt haben, sorgt im Süden bis heute für Unverständnis: „Das ist doch, wie wenn ein Truthahn für Weihnachten stimmt.“
STEFAN NIMMERVOLL
BLICK INS LAND war auf Einladung der „Guild of Agricultural Journalists of Ireland“ in Dublin.