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Traum oder längst Realität? Der unbemannte Stall

Innenmechanisierung Arbeitserleichterung und Zeiteinsparung waren bereits vor über zwanzig Jahren die Triebfeder für erste Ansätze zur Automatisierung. Dank verschiedener Entwicklungsschritte verbesserte sich die Qualität der automatischen Arbeitserledigung, sei es beim Melken, Füttern, bei Kälbertränken oder beim Misten. Die Vision vom unbemannten Stall ist aber auf komplette Automatisierung ausgerichtet. Vorerst wird mehr davon gesprochen als umgesetzt.

Von Ruedi Hunger

Erfolgreich wird der unbemannte Stall erst sein, wenn neben Automatisierung auch Einsparungen bei den Baukosten möglich sind und zusätzliche Leistungssteigerungen aufgrund erhöhter Grundfutter-Aufnahme erreicht werden. Schließlich macht der unbemannte Stall nur Sinn, wenn eine wirtschaftliche Produktion garantiert ist.

Flexible Vernetzung Auf funktioneller Ebene werden automatische Melk-, Fütterungs- und Entmistungssysteme als „Ausführungshilfen“ bezeichnet. Als sogenannte „Managementhilfen“ gelten Herden- und Managementprogramme, also die Brunsterkennung, die automatische Kontrolle der Futteraufnahme, des Wiederkauens. Zu den Managementhilfen zählen auch Ortungssysteme und anderes mehr. Der unbemannte Stall erfordert hohe Flexibilität und eine lückenlose Vernetzung der einzelnen Systeme. Die Herausforderung für die Zukunft besteht folglich darin, Ausführungshilfen und Managementhilfen sinnvoll miteinander zu verbinden. Moderne Begriffe dafür sind „Smart farming“ oder „Milchproduktion 4.0“.

Ausführungshilfen

Automatisches Melken Der Trend zur Automatisierung ist im Bereich Melken weiter fortgeschritten als beim Füttern und ist der Inbegriff zur Automatisierung in der Milchviehhaltung schlechthin. Die Technik wird von verschiedenen Firmen laufend weiterentwickelt. Der Melkroboter, 1992 von Lely auf den Markt gebracht, ist damit eine Erfolgsgeschichte geworden. Durch die Umstellung auf 3D-Kamerasysteme (time of flight, TOF-Kamera) konnte die Ansetzrate der Melkbecher auf über 95 Prozent gesteigert werden. Schwachpunkte, wie die Milchqualität, werden laufend optimiert.

Automatisches Füttern Kraftfutter- und Tränkeautomaten sind seit langem Stand der Technik. Weil die manuelle oder teilautomatisierte Grundfuttervorlage oft noch mit hohem Arbeitsaufwand verbunden ist, bekommt die vollständige Automatisation im unbemannten Stall hohe Priorität. Im Vergleich zum Marktvolumen der Standardmechanisierung, dem Futtermischwagen, ist der Verbreitungsgrad zwar noch gering, doch das Interesse an dieser Technik steigt, selbst in unserem Land. Es gibt Förderbänder, schienengeführte und selbstfahrende Systeme. Automatische Fütterungssysteme bieten nicht nur Arbeitserleichterung und Arbeitsreduzierung, sie bieten auch mehr Flexibilität und reduzieren die Energiekosten um bis zur Hälfte. Im vergangenen Jahr wurde zudem ein selbstfahrender, vollelektrischer Futtermischwagen mit autonomem Fahrmodus von Siloking vorgestellt.

Automatisches Einstreuen & Misten Das automatische Ausmisten und die Spaltenreinigung mittels Roboter sind bewährte Elemente einer Teilautomatisierung. Die zuverlässige Funktion der automatischen Entmistungsanlage hängt ab von der technischen Ausführung und der baulichen Anordnung. Die Funktionssicherheit wird auch beeinflusst durch Art und Menge der Einstreu, der Temperatur (speziell Winter) und der Fest-/Flüssig-Trennung. Faktoren wie Unfallverhütung, Funktionssicherheit und Tiergerechtigkeit sind bei automatischen Anlagen sehr wichtig.
Das automatische Einstreuen ist ein weiterer Schritt im Bestreben, sämtliche Arbeiten im Stall zu automatisieren. Derzeit sind schienengeführte, fest eingebaute (PVC-Rohre) und mit einem Fütterungsroboter kombinierte Systeme erhältlich. Neben einer merklichen Arbeitszeiteinsparung wird laut Hersteller auch der Strohbedarf stark reduziert.

Managementhilfen

Tiererkennung & Tierüberwachung Tierbeobachtung ist eine der wichtigsten Aufgaben eines Landwirts. Mit zunehmender Automatisierung ändert sich das „Beobachten“ von der direkten Sicht auf das Tier zum Bildschirm von Computer, Tablet oder Smartphone. Dieser Wechsel ist mit zahlreichen Risiken verbunden, da die richtige Interpretation gelernt werden muss. Mit Sensoren werden Tieraktivitäten wie Liegen, Gehen, Stehen, Fressen und Wiederkauen erfasst. Ein Indoor-Ortungssystem zielt in die gleiche Richtung. Neuere Systeme für die Brunsterkennung sind mit 3D-Beschleunigungssensoren ausgerüstet. Mittels Wiederkausensoren werden Rückschlüsse auf den Stoffwechsel, die Erkennung einer anstehenden Brunst oder Kalbung gezogen.
„Indoor“-Ortungssysteme werden von verschiedenen Herstellern für die Tierüberwachung angeboten. Die Lokalisierungsgenauigkeit liegt zwischen 0,3 und 2,8 m. Damit lassen sich Bewegungsprofile der Kühe erstellen und die Verhaltensaktivität in einzelnen Funktionsbereichen (Liegen, Fressen, Laufen, Stehen) wird nachvollziehbar.

Sensortechnik Vom Einsatz verschiedener Sensoren zur individuellen Tierüberwachung verspricht man sich Verbesserungen der Tiergesundheit und des Tierwohls. Zahlen über die effektive Verbreitung einzelner Sensorsysteme sind kaum vorhanden. Ein Anhaltspunkt sind Melkroboterbetriebe. Melkroboter verfügen standardmäßig über Sensoren zur Mastitiserkennung. Eine Erhebung zur sensorgestützten Tierüberwachung in den Niederlanden zeigt, dass mehr als ein Fünftel der Betriebe über Aktivitätssensoren und ein kleiner Teil auch Wiederkausensoren einsetzt. Der Einsatz von Brunsterkennungssystemen hatte laut diesen Erhebungen nur einen kleinen Einfluss auf die Reproduktionsleistung dieser Herden. Insgesamt werden Sensoren zur Überwachung der Tiere noch sehr unterschiedlich genutzt. Den Hauptnutzen sehen die Betriebsleiter in der Arbeitserleichterung. In den Buchhaltungsdaten dieser Betriebe konnten keine Veränderungen bezüglich Produktivität festgestellt werden. Es ist daher naheliegend, dass der technologisch mögliche Fortschritt, den die Hersteller in Anspruch nehmen, vorerst in der Praxis (noch) nicht ankommt.

Benchmarking – Vergleichs­prozess Hersteller sind der Meinung, dass die jeweils auf einem Betrieb erfassten Daten durch Weitergabe oder gezielte Freischaltung einen größeren Nutzen generieren können. Die Euphorie einer weltweiten Datennutzung wird aber nicht von allen Betriebsleitern geteilt und daher nur sehr verhalten genutzt. Angesichts der gigantischen „Datenproduktion“ braucht es wohl Spezialisten, um die richtigen Rückschlüsse zu ziehen – nur wo sitzen diese Spezialisten?

Beispielsweise werden mit einem Melkroboter pro Tier und Besuch rund 120 Messungen gemacht. Bei einer Million Kühe, die von Robotern gemolken werden, und durchschnittlich 2,7 Roboterbesuchen je Tag kommen auf diese Art 324 Millionen Einzeldaten zusammen. Daher stellen sich selbst die Entwickler die Frage: „Was kann man mit diesen ­Daten (sinnvolles) tun?“

Fazit Noch wird mehr vom „unbemannten Stall“ gesprochen, als wirklich umgesetzt. Zentrales Element ist die ­Vernetzung von Ausführungshilfen und Manage­menthilfen. Gelingt dies, kann der unbemannte Stall tatsächlich Wirklichkeit werden. Die körperlichen Belastungen für den Landwirt nehmen ab, dafür prägen zunehmend neue Begriffe wie beispielsweise das Wort „Informationsergonomie“ das Mensch-Maschine-­Verhältnis. Wo früher aufgrund anstrengender physischer Arbeit körperliche Gebrechen im Fokus arbeitswissenschaftlicher Untersuchungen standen, sind es heute zunehmend die geistigen Herausforderungen aufgrund mentaler Überarbeitung.

Ruedi Hunger ist Agrarjournalist in der Schweiz.