Foto: Saatbau Linz

„Ohne Genom-Edition kommen wir ins Hintertreffen“

JOSEF FRAUNDORFER über die herausfordernde Suche nach hitzetoleranten Sorten, ungenützte Chancen biochemischer Zuchtmethoden und die langjährige Forderung der heimischen Saatzüchter nach Lizenzgebühren auch für Nachbau-Saaten.

BLICK INS LAND: Österreichs Ackerbau war auch heuer wieder von einer dramatischen Trockenheit betroffen. Wie hoch sind die Verluste bei den Saatgutvermehrern ausgefallen?

Frauendorfer: Wir stellen ein gewaltiges Ost-West-Gefälle fest, mit Ertragsverlusten im Osten von einen Drittel gegenüber 2016 und 15 bis 20 Prozent gegenüber einem Normaljahr. Unsere Vermehrungen sind ja vom Innviertel bis in den Seewinkel verteilt. Bei Weizen gab es in manchen Regionen Schwankungen von 2.000 bis 7.000 Kilogramm. Selten zuvor haben sich die verschiedenen Bodenverhältnisse so extrem ausgewirkt. Im Zentralraum Oberösterreichs hatten wir aber in etwa die gleichen Ergebnisse wie im Vorjahr, im Innviertel teilweise sogar noch bessere.

Kann sich die Getreidezüchtung auf solche Extremsituationen einstellen?

Ja, mit einem Fokus auf Hitze- und Trockenheitstoleranz. Wir haben unser Prüfnetz bereits bis in die Türkei ausgedehnt. In Anatolien gibt es extrem trockene Regionen. Dort können wir unsere neuen Getreidestämme unter extremsten Bedingungen testen. Dazu setzen wir tendenziell auf frühere Sorten, um mehr Stabilität bei der Kornreife zu erhalten. Frühere Sorten sind besser als späte Sorten in der Lage, trotz Hitze noch die Körner auszubilden. In einem Jahr mit guter Wasserversorgung muss die Sorte aber wieder ihr volles Ertragspotential ausschöpfen können.

Wie sehr gefährdet der Klimawandel die Saatzucht in Österreich?

Momentan ist es die Trockenstresstoleranz. Noch Anfang der 1990er Jahre haben wir in Oberösterreich alle zwei Jahre mit massiven Auswuchs gekämpft. Damals mussten wir Sorten mit einer höheren Fallzahlstabilität und Auswuchsfestigkeit finden.

Wann rechnen Sie mit der Marktreife der neuen hitzetoleranten Sorte?

Bis eine neue Weizensorte für den Landwirt verfügbar und registriert ist, vergehen ungefähr zehn Jahre. Was wir heute kreuzen, wird also nicht vor 2025 am Markt sein. Außer man verwendet neuen Technologien, mit denen man zielgerichteter arbeiten kann.

Sie sprechen die umstrittene biochemische CRISPR/Cas-Methode an, also Genom-Editing, wo gezielt die DNA geschnitten und verändert wird…

Ja. Als Züchter muss ich danach trachten, die besten Eigenschaften in eine Sorte hineinzubekommen. Die Frage ist, wer schneller ans Ziel zu kommt.

Die gezielte Veränderung im Erbgut wird aber wie die Gentechnik heftig kritisiert.

Rein wissenschaftlich gesehen ist das eine bestechende Technik, weil sie sehr einfach und relativ günstig einsetzbar ist. International wird das auch gemacht. In Europa zögern aber alle Züchter diese Methode einzusetzen, solange die Gretchenfrage nicht geklärt ist, ob das nun als Gentechnik eingestuft wird.

Und ist sie es – oder nicht?

Nüchtern betrachtet hat das nichts mit Gentechnik zu tun.

Von Umweltschützern wird diese Technologie aber kaum akzeptiert werden.

Da sind wir bei einem gesellschaftspolitischen Konflikt, das wir als Züchter nur wenig beeinflussen können.

Österreichs Agrarpolitik hat sich mit dem Gentechnikfreien Anbau auch per Gesetz bewusst positioniert. Wäre es nicht auch für die Saatzucht ein weiteres Alleinstellungsmerkmal, auf diese Technologien zu verzichten?

Theoretisch ja. Aber praktisch kann man sich dem Fortschritt auf Dauer nicht entziehen. Das wäre kurzsichtig. Die Gentechnik betrifft momentan in erster Linie die Resistenzen gegen Herbizide. Das haben einige wenige Konzerne in der Hand. Bei CRISPR/Cas kann man mit gezielten Mutationen ganz andere Ergebnisse erreichen, die man auch mit herkömmlicher Züchtung erreicht, aber in der dreifachen Zeit. Verlangt dann die Industrie gewisse Inhaltsstoffe als Standard, würden wir ins Hintertreffen kommen, wenn wir uns verschließen.

Das Gentechnik-Anbauverbot ist mittlerweile in Stein gemeißelt?

Aus heutiger Sicht sehen ich keine Möglichkeiten, dass die grüne Gentechnik in irgendeiner Form nach Europa kommen könnte, mit Ausnahme der Ukraine, auch nicht in Russland. Die gesellschaftliche Ablehnung ist mittlerweile so weit fortgeschritten, dass sich das auch nicht ändern wird. Auch die meisten großen Konzerne haben sich damit abgefunden.

Apropos Russland: Nach dem Importstopp für europäische Lebensmitteln boomt dort die Landwirtschaft. Auch die Saatbau Linz ist dort tätig. Wie läuft das Geschäft?

Als Saatgutlieferant sind wir von den Sanktionen zwar nicht betroffen. Aber es gibt es ein Umdenken in der russischen Agrarpolitik. Der Kreml will die Produktion im Land fördern und pumpt sehr viel Geld in die Landwirtschaft. Betriebe, die gewissen Förderungen bekommen wollen, dürfen aber maximal 30 Prozent ausländisches Saatgut einsetzen. Weil wir auch vor Ort produzieren, ist das für uns eine Chance.

Müssen sich Europas Landwirte vor Russland fürchten?

Nein, weder vor Russland noch vor der Ukraine. Dass Russland heuer eine Rekordernte hatte, liegt vor allem am milden Winter und ausreichend Niederschlägen. Die Zahl der Betrieben, die auf westeuropäischem Niveau arbeiten ist aber begrenzt, vor allem beim Management. Dass einige Betriebe momentan so gewaltig wachsen, liegt daran, dass nun die wenigen guten die bisher schlechten geführten übernehmen.

Im internationalen Saatgut- und Pflanzenschutzmittelgeschäft fusionieren mittlerweile die ganz großen Multis. Eine Gefahr für die Saatbau Linz?

Wir sind gut aufgestellt. Im Saatgutbereich ist es bereits zu einer gewaltigen Marktbereinigung gekommen. Unzählige kleine Züchter sind verschwunden oder übernommen worden. Aber es stimmt: die internationalen Konzerne haben im Pflanzenschutz- und Saatgutgeschäft eine immense Marktmacht. Dazu kommt, dass sie sich in Sachen Digital Farming engagieren und immer gezielter Produktionsdaten sammeln und auswerten. Deshalb gibt es quer durch Europa Ängste, dass noch mehr kleinere Züchter unter die Räder kommen könnten, was wohl zu einer Einschränkung des Sortenspektrums führen würde.

Daher wünscht sich Österreichs Saatbauwirtschaft als Gegenmaßnahme Lizenzgebühren für den Nachbau?

Darüber wird seit über zwanzig Jahren diskutiert. Vor zwei Jahren haben wir die Forderung in der Vereinigung „Saatgut Österreich“ wieder neu aufgenommen. Der Versuch, das Thema politisch zu klären ist kläglich gescheitert, wie in den zwei Jahrzehnten zuvor auch. Allerdings ist eine privatrechtliche Umsetzung machbar.

Wie würde das in der Praxis aussehen?

In Deutschland erhält jeder Landwirt einen Fragebogen, den er ausfüllt und retour sendet. Das könnten wir genauso in Österreich machen.

Und wer kontrolliert das?

In Deutschland macht das auf Basis einer Plausibilitätsprüfung die Saatguttreuhandgesellschaft. Eine solche haben wir auch in Österreich gegründet, nur ist sie noch nicht aktiv.

Anhand welcher Daten? Von der AMA oder den Landwirtschaftskammern?

Am Anfang wird man sich darauf verlassen müssen, was die Landwirte angeben. Die Datenbasis aufzubauen wird sicher eine Herausforderung und man wird nicht bis ins Detail alles überprüfen können. Aber es gibt im Sortenschutzrecht Auskunftspflichten, an die sich der Landwirt zu halten hat.

Unmut von Seiten der Bauern ist da wohl vorprogrammiert?

Das Verständnis in der Bauernschaft ist größer als wir geglaubt haben. Wir haben mit unseren Genossenschaftsmitgliedern gesprochen, aber auch mit den großen Gutsbetrieben, die das finanziell wirklich betreffen würde. Die Resonanz ist: „Bitte macht das endlich!“ Viele sind bereit, einen gewissen Beitrag dafür zu leisten, dass der Fortschritt am Feld ankommt. Aber nur, wenn sein Nachbar auch dasselbe bezahlen muss.

Und wenn jemand auf seinem Datenblatt schwindelt?

Wir wollen nicht jeden verklagen. Uns geht es in erster Linie ohnehin darum, dass der Bauer versteht, worum es geht. Wer weiterhin ordentliche Sorten haben will, muss das auch über Lizenzen für den Nachbau finanzieren.

Will man damit nicht eher das Nachbausaatgut zurückdrängen?

Nein. Aber früher war es so, dass man von einer neuen Sorte einige Jahre lang Z-Saatgut verkaufen konnte. Mittlerweile werden diese schon nach wenigen Ernten nachgebaut. Davon können wir nicht leben. Mit einer Nachbaulizenz verlängere ich den Lebenszyklus und den finanziellen Rückfluss einer Sorte. Gerade kleine Züchter fallen sonst aus dem Markt und nur die Großen bleiben übrig.

Wann rechnen Sie mit einer realistischen Umsetzung?

Wir könnten das sofort umsetzen, also bereits mit dem Herbstanbau. Auf den Sackanhängern werden die Landwirte schon darüber informiert. Allerdings hat sich inzwischen wieder die Politik dafür zu interessieren begonnen. Vielleicht gibt es ja noch konstruktive Gespräche auf Ministeriumsebene, die Pflanzenzüchtung so zu unterstützen, dass wir momentan noch von Lizenzgebühren Abstand nehmen können. Dann wir hätten mehr Zeit zu erklären was auf die Landwirte zukommt.

Interview: STEFAN NIMMERVOLL

Zur Person

DI Josef Fraundorfer ist gemeinsam mit DI Karl Fischer Geschäftsführer der Saatbau Linz. Er leitet die Sparte Saatgut.